Ece Temelkuran

Euphorie und Wehmut

Die Türkei auf der Suche nach sich selbst
Cover: Euphorie und Wehmut
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015
ISBN 9783455503739
Gebunden, 240 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Was ist das für ein Land, in dem Minderjährige ohne Prozess im Gefängnis sitzen? In dem der Vizepremier Frauen das Lachen verbieten will? Und in dem gläubige Muslime zusammen mit Fußballfans und linken Aktivisten gegen die Zubetonierung eines Parks demonstrieren? Die Türkei präsentiert sich gerne als perfektes Beispiel einer gelungenen Synthese aus moderatem Islam und westlicher Demokratie. Tatsächlich, so konstatiert Ece Temelkuran, befindet sich ihr Land in einem schizophrenen Zustand, pendelt zwischen Minderwertigkeitskomplex und übersteigertem Selbstbewusstsein, baut neue Brücken nach Europa und bricht zugleich längst bestehende ab. Die blutige Vergangenheit wurde nie aufgearbeitet, und nach der kurzen Hoffnung, die die Proteste um den Gezi-Park brachten, ist die Gesellschaft mehr denn je auf Konformität ausgerichtet, für Andersdenkende wie emanzipierte Frauen oder Atheisten scheint kein Platz mehr zu sein. Anhand von persönlichen Erfahrungen und aktuellen politischen Ereignissen gibt die Autorin Einblick in ein Land voller Widersprüche, warnt vor einer zunehmenden Totalisierung und plädiert kompromisslos für eine offene Gesellschaft.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.02.2016

Ece Temelkuras Buch ist für Luisa Seeling ein Aufschrei, keine nüchterne Analyse. Eher wie eine Granate, voll Zorn und Anklage. Grund genug, meint sie, hat die von der AKP drangsalierte Autorin. Grund genug, das Buch lesenswert zu finden, hat indes die Rezensentin, die Temelkuras Warnung vor Gleichschaltung und Faschismus in der Türkei sehr ernst nimmt. Hinter wilden Metaphern und ätzendem Sarkasmus entdeckt sie dann scharfsinnige Beobachtungen aus einem Land mit Amnesie, das in einem Kreislauf aus Gewalt gefangen scheint, und sogar einen Blick auf die reformorientierten Anfangsjahre der AKP.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.10.2015

An Faschismusvorwürfen herrscht in den Grabenkämpfen in der türkischen Gesellschaft weißgott kein Mangel, erklärt Rezensent Ingo Arend, doch wenn eine der besonneren Stimmen der undogmatischen Linken dieses Wort benutzt, ist Zuhören angezeigt. Die Autorin, so der Kritiker, befürchte eine zu Beginn noch schleichende, von Erdoğans AKP lancierte und von der Intelligenz im Land zumindest anfangs tolerierte Erosion der Demokratie in ihrem Land zugunsten einer "muslimisch grundierten 'Gehorsamsgesellschaft'", die durch zusehends rigorosere Repressalien durchgesetzt werde. Temelkuran beschränkt sich bei diesen Ausführungen allerdings nicht auf die Regierungszeit der AKP, sondern holt historisch aus, indem sie eine ganze Reihe von "nationalen Albträumen" im 20. Jahrhundert auflistet, so Arend. Dass der Rezensent nicht jedes rhetorische Manöver der Autorin geglückt findet, hält ihn nicht davon ab, das Buch wegen seiner "historischen und sozialpsychologischen Tiefendimension" zu empfehlen - zumal es ihm sehr sympathisch ist, dass die Autorin zur Revolte mittels ziviler Umgangsformen rät.