Eva von Redecker

Bleibefreiheit

Cover: Bleibefreiheit
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023
ISBN 9783103974997
Gebunden, 160 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Selten wurde Freiheit so intensiv diskutiert wie in der Pandemie: die Freiheit zu reisen, sich uneingeschränkt zu bewegen, Menschen dort zu treffen, wo man möchte. Doch wie zukunftsfähig ist ein derart räumlich abgesteckter Freiheitsbegriff, da wir Zeiten entgegensehen, in denen die Orte schwinden, an denen es sich leben lässt und Klimakrise oder Kriege ganze Landstriche unbewohnbar machen? Die Philosophin Eva von Redecker denkt Freiheit darum ganz neu: als die Freiheit, an einem Ort zu leben, an dem wir bleiben könnten. Bleibefreiheit entfaltet sich zeitlich. Als auch künftig lebbare Freiheit rückt sie nicht nur die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen in den Blick, sie verringert auch den Abstand zwischen dem Freisein Einzelner und ihrer Gemeinschaft. Bleibefreiheit lässt sich nur gemeinsam herstellen. Und sie wächst, wenn wir sie teilen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.08.2023

Rezensent Jens-Christian Rabe verteidigt Eva von Redeckers Neufassung des Freiheitsbegriffs gegen Angriffe insbesondere aus dem libertären Lager. Wer in den Überlegungen der Philosophin über Schwalbentänze und Phantombesitz nur Naturkitsch sehe, solle das doch einmal mit der auch nicht kitschfreien Imagination einer auf grün umgepolten Wachstumsideologie vergleichen. Von Redeckers Orientierung an einem starken Naturbegriff kann der Rezensent gut nachvollziehen. Wenn man mit ihr Freiheit nicht mehr räumlich, sondern zeitlich - mithin als Bleibefreiheit - definiert, fährt Rabe fort, erscheint eben diese Freiheit nicht mehr als knappes Gut, das ständig verteidigt werden muss. Überhaupt sieht der Rezensent durchaus eine Nähe der Argumentation von Redeckers zu klassischen Vertretern des Liberalismus wie Isaiah Berlin. Ganz unwidersprochen möchte Rabe den Vorschlag, Beschränkung als Freiheit umzudeuten zwar nicht lassen; dennoch ein wichtiger Debattenbeitrag in Zeiten ideologischer Polarisierung, so das Fazit.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.08.2023

Eher kurz und nicht völlig überzeugt bespricht Tobias Schweitzer diesen viel rezipierten Band. Der Begriff "Bleibefreiheit" sei zwar ein "artifiziell wirkender Neologismus", aber er leuchtet ihm als Gegensatz zur "Bewegungsfreiheit", als die Freiheit häufiger dargestellt wird, durchaus noch ein. Er erklärt ihn als eine Art konservativ meditatives Programm, in dem sich der Mensch vor allem mit seiner Endlichkeit auseinandersetzt. Politisch stünden für Bleibefreiheit zudem etwa Gruppen, die sich für die Umwelt oder gegen Gentrifizierung einsetzen. Aber so ganz behagt Schweitzer der Begriff am Ende nicht, Redeckers Vorhaben durchwehe ein "defätistischer, resignativer Zug". Auch stört den Rezensenten, dass Redecker ihr Buch mit vielen persönlichen Anekdoten anreichert - ihren Gedankenfluss sieht er dadurch immer wieder unterbrochen.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.07.2023

Ijoma Mangold schlägt aus dem Buch ein Geruch von "totalitärem Biedermeier" entgegen. Er hält sich die Nase zu und hält dann tapfer dagegen. Um den Freiheitsbegriff wird derzeit ein Kulturkampf geführt, darin stimmt er mit der Philosophin Eva von Redecker überein. War "Freiheit" links, wird sie jetzt von rechts propagiert. Da für Redecker Freiheit aber auch das Recht auf Freiheit zum Zerstören der Demokratie und Umwelt umfasst, würde sie diese heute lieber eingeschränkt sehen, referiert Mangold. Deshalb schlägt sie einen neuen Freiheitsbegriff vor: den der Bleibefreiheit, Freiheit nicht gemessen am Besitz, sondern an der Freizeit, am besten ohne Kapitalismus. Als Vergemeinschaftung von Vermögen beschreibt sie das, und so klingt es viel "flauschiger" als das hässliche Wort Enteignung, spottet Mangold. Aber Redecker wolle ihre Leser nicht überfordern, darum übergeht sie den Politkommissar, der die Grenze zieht zwischen verantwortungsvollem Privatvermögen - das hier " immer knapp über dem Vermögensstand ihrer Leser. So bleibt die moralische Fremdverurteilung" mehrheitsfähig, ätzt Mangold - und verantwortungslosem Reichtum. Dass Bewegungsfreiheit auch nach vor gehen kann, hin zu einem grünen Wachstum, kommt Redecker nicht mehr in den Sinn, kritisiert Mangold, dem das nun wirklich zu quietistisch ist.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.07.2023

Mit dem Freiheitsbegriff des Liberalismus ist nicht mehr viel zu holen, lernt Rezensentin Kira Meyer aus Redeckers neuem Buch - allzu heftig toben gesellschaftliche Auseinandersetzungen um staatliche Regulierungen aus Umweltschutzgründen. Die entscheidende Pointe sieht Meyer in Redeckers Verzeitlichung des Freiheitsbegriffs, der anhand einer Schwalbenmetapher ausgearbeitet werde. Freiheit sei bisher einseitig räumlich, nämlich als ein Areal der freien Entfaltung um Individuen herum begriffen worden. Redecker identifiziert laut Rezensentin aber drei weitere Ursprünge von Freiheit, die mit unserer eigenen Sterblichkeit, mit der Möglichkeit radikaler Brüche und Wiederholungsstrukturen der Natur, zum Beispiel den Jahreszeiten, zu tun hätten. Der Essay verbindet ökologische mit feministischen Gedanken und ist in der aktuellen Situation dringend notwendig, schließt die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.07.2023

Die hier rezensierende Philosophin Olivia Mitscherlich-Schönherr schätzt ihre Kollegin Eva von Redecker und versteht sehr gut deren Aufbegehren gegen eine ideologische Verengung der Freiheit, wie sie etwa die AfD während der Pandemie oder die FDP auf den Autobahnen befeuert. Auch dass sie der Linken wieder zu einem emanzipatorischen Freiheitsbegriff verhelfen möchte, findet Mitscherlich-Schönherr richtig. Dennoch ist sie nicht überzeugt von Redeckers Dichotomie, die das traditionelle europäische Freiheitsdenken als räumlich charakterisiert, während es ein zeitliches bräuchte. Historisch, aber auch kategorisch findet Mitscherlich-Schönherr diese Gegenüberstellung zweifelhaft, "Die Freiheit, auch künftig auf Erden zu bleiben", die Redecker in einem eher konservativ-bewahrenden Duktus postuliert, können auch zerstörerische Lebensformen für sich in Anspruch nehmen, gibt die Rezensentin zu bedenken und bringt dagegen "die Freiheit erfüllter Gegenwart" ins Spiel.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.07.2023

Freiheit wird meist als Bewegungsfreiheit verstanden, und dem setzt die Autorin den paradoxen Begriff der "Bleibefreiheit" entgegen, berichtet der Rezensent Thomas Ribi in einer alles in allem sehr positiv angeregten Kritik. Freiheit als Bewegungsfreiheit, in der man nur tut, was man will, ist tendenziell eine, in der man sich von den anderen Menschen löst, so Ribi: Aber "Frei sein kann niemand allein." Gern folgt er Redecker darum bei der Entwicklung eines Freiheitsbegriffs, der Freiheit nicht mehr in Begriffen des Eigentums beschreibt, sonder eher in einem Bild der "erfüllten Zeit". Ausdrücklich lobt Ribi Redeckers zugleich scharfsinnigen und sehr subjektiven Stil.

Buch in der Debatte

9punkt 26.10.2023
Es gibt ein Erstarken der politischen Ränder, jedoch keine generelle Polarisierung der Gesellschaft, erklären die Soziologen Steffen Mau und Thomas Lux im Tagesspiegel-Gespräch mit Hans Monath. Trotzdem gibt es in der Gesellschaft bestimmte "Triggerpunkte": "Das sind Sollbruchstellen der öffentlichen Debatte, bei denen sachliche Diskussionen in emotionale umschlagen und sich die Menschen anders positionieren, als sie es zuvor getan haben", führt Mau aus. "Viele Menschen haben aus unterschiedlichen Gründen Vorbehalte gegen Gendersternchen, befürworten in ihrer großen Mehrheit aber die Gleichberechtigung und gleiche Bezahlung von Frauen und Männer. Ein Triggerpunkt, also Auslöser von politischer Emotionalisierung, sind in diesem Zusammenhang etwa Verhaltensvorschriften. Wenn bestimmte Akteure sagen, du musst dich grundsätzlich verändern, in der Art, wie du sprichst, und das auch in deinem privaten Raum, dann provoziert das Reaktanz, also Abwehr, und viele sagen: Das mache ich jetzt nicht mehr mit." Unser Resümee