Frank Meinshausen (Hg.)

Das Leben ist jetzt

Neue Erzählungen aus China
Cover: Das Leben ist jetzt
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518414712
Kartoniert, 260 Seiten, 18,90 EUR

Klappentext

Herausgegeben, aus dem Chinesischen übersetzt und mit einem Vorwort von Frank Meinshausen. Diese Anthologie mit 11 Erzählungen stellt vor, was sich zur Zeit in Chinas literarischer Szene tut. In Peking, Shanghai und Nanjing hat der Sinologe Frank Meinshausen ein Netzwerk junger chinesischer Schreibender aufgetan, deren Leben, Denken und Texte weniger von der Kulturrevolution als vielmehr vom westlichen Lebensgefühl des "Sex, Drugs and Rock'n'Roll" beeinflusst sind. Zhu Wen, Dai Lai, Bi Feiyu und die anderen in diesem Band vertretenen Autorinnen und Autoren wurden in den sechziger, siebziger Jahren geboren und veröffentlichten ihre Texte bislang in subkulturellen Literaturzeitschriften, im Internet und in Kleinverlagen. Dem offiziellen Literaturbetrieb und den inhaltsleeren Phrasen der früheren, sozialistischen Literatur setzen sie die Darstellung des schwelenden Generationenkonflikts und die drastische Beschreibung der von Materialismus und Werteverlust geprägten Wirklichkeit entgegen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.06.2004

Herausgegeben und übersetzt von dem Sinologen Frank Meinshausen biete dieses Buch, lobt Irmy Schweiger, "eine trotzige und staunenswerte Sammlung neuer Erzählungen aus China". Der laufende Umbruch Chinas, so die Rezensentin, werde hier zugleich dokumentiert und reflektiert, und die vorgestellten Autoren würden sich ausnahmslos als Kinder der postmaoistischen Zeit zu erkennen geben. Das ideologische Vakuum, das ihre Eltern nach dem Zerfall des Sozialismus noch gelähmt hat, belaste sie, so fand Schweiger es durch dieses Buch belegt, offenkundig wenig: es scheine, "als spielten sie mühelos auf der Klaviatur einer Postmoderne, die das Gestern und das Morgen programmatisch ausblendet". Natürlich machten aber Spaß und Pop alleine nun einmal auch in China nicht glücklich. Interessanterweise, so Schweiger weiter, seien es dann aber, neben einigen zugespitzten Konflikten mit überkommenen Moralvorstellungen, vor allem die Banalitäten des Alltags, die - vorgetragen "nicht nur mit schwarzem Existenzialistenseufzen, sondern auch mit bitterbösem Humor und Sarkasmus" - dafür sorgten, dass die Erzählungen sich nicht in der Darbietung angepasster, postmoderner Oberflächen erschöpften.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.06.2004

Wenn diese elf Erzählungen tatsächlich das Beste wären, was China derzeit zu bieten hat, stünde es nicht gut um das Land der Mitte, urteilt Christiane Hammer. Schön zwar, dass sich Suhrkamp auf alte Qualitäten als Vermittler chinesischer Literatur besinnt, aber was Frank Meinshausen hier in "schönster Unbedarftheit" zusammengetragen hat, vermittelt nur, dass er wohl nicht "die geringste Ahnung" der aktuellen fernöstlichen Literaturszene hat, schimpft Hammer. Die ersten beiden Geschichten lässt sie noch durchgehen, spätestens die dritte Erzählung offenbare aber "sämtliche Schwächen" eines Großteils der chinesischen Literatur: "Geschwätzigkeit, Formlosigkeit, doppelte Moral". Fast alle der Geschichten beschäftigen sich mit Sex, und Hammer freut sich über die daraus ersichtlichen gesellschaftlichen Öffnungstendenzen, literarisch verarbeitet ist das Ganze aber meist schon besser in der westlichen Literatur. "End- und Tiefpunkt" sei der "biedere Versuch" einer Satire des Amerikanisten Li Dawei, er vervollständigt den Eindruck einer Sammlung allenfalls "mediokrer Texte".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.12.2003

Die Rezensentin Susanne Messmer ist genauso fasziniert von der Entstehungsgeschichte dieser Anthologie wie von der Anthologie selbst: Frank Meinshausen hat sich nach China begeben und wurde, als klar wurde, worum es ihm geht, nämlich zeitgenössische Autoren der jungen Generation ausfindig zu machen, sehr schnell von einem Autoren-Wohnzimmer ins nächste gelotst. Elf Geschichten von elf Autoren hat er nach Hause gebracht, übersetzt und als Anthologie herausgegeben. Und aus diesen Geschichten, so Messmer, sprechen "sensationelle Neuigkeiten": Die Vergangenheit ist wieder "ins Spiel gekommen", und der Mensch ist Teil der Gesellschaft, ohne dass er darauf reduziert würde. Doch die Vergangenheit, "das große Thema" dieser Anthologie, verdecke nicht mehr die "vielschichtige Gegenwart", sie rage lediglich in die Gegenwart hinein, ohne dass man sie zwanghaft bewältigen und sich an ihr abarbeiten müsse. Wie zum Beispiel in Dai Lais Geschichte von Vater und Sohn, in der sich der Vater (der selbst an der Kulturrevolution teilgenommen hat) aus Protest gegen die Aufmüpfigkeit des Sohnes aufs Dach setzt und beschließt, erst herunterzukommen, wenn der Sohn Vernunft angenommen hat. Aus den Geschichten spreche auf wohltuende Weise ein "gelassenerer Zugriff auf die Wirklichkeit". Mit diesen elf Geschichten, so der deutliche Aufruf der Rezensentin, spricht Meinshausen "elf Empfehlungen an deutsche Verlage" aus, die auch gehört werden sollten.