Gilles Rozier

Eine Liebe ohne Widerstand

Roman
Cover: Eine Liebe ohne Widerstand
DuMont Verlag, Köln 2004
ISBN 9783832178680
Gebunden, 167 Seiten, 16,90 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Mit der Stimme eines namenlosen Menschen berichtet uns Gilles Rozier von der Liebe zu den Büchern in der Sprache von Goethe und Goebbels, von der Liebe zum jüdischen Schneider aus Warschau im Kellerversteck und von der Liebe zwischen der Schwester und einem SS-Mann im Obergeschoss.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.05.2004

Ein bisschen gewundert hat sich Silja Ukena über das erzählende Ich aus Gilles Roziers Roman über die Okkupation Frankreichs. "Ohne Namen, ohne Gesicht und ohne Geschlecht" schildert der Autor die Hauptfigur, die Deutsch unterrichtet, Schriftstücke für die Gestapo übersetzt und schließlich einen polnischen Juden vor den Deutschen rettet. Bald aber erweist sich der Roman dann aber als ein Werk, "das über die Kategorie Erinnerungsliteratur" hinausgeht. Es sei Rozier nämlich nicht darum zu tun, Mann oder Frau sprechen zu lassen, sondern darum, das "Porträt eines Menschen" zu entwerfen, der an seinen unvereinbaren Identitäten scheitert. " Besonders gefällt der Rezensentin die "Sprachenvielfalt" aus Jiddisch, Französisch und Deutsch, die "noch vor den Körpern" Vehikel der Leidenschaft der Hauptfigur ist. "Schön" auch die Übersetzung von Claudia Steinitz, die mit einer einzigen Ausnahme den "verräterischen Pronominalfallen" dieser "traurigen" Geschichte ausweichen konnte.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.04.2004

In Gilles Roziers Roman "schillern die Ambivalenzen", staunt Steffen Richter. Schließlich hat sich Gilles Rozier, der hauptberuflich das Haus für Jüdische Kultur in Paris leitet, ein heikles Thema vorgenommen: die Jahre der Kollaboration und des Widerstands im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs. Die Ambivalenz beginnt damit, gesteht Richter, dass der Autor das Geschlecht seines Erzählers im Unklaren lässt; es könne ebenso ein Er wie eine Sie sein, der/die den polnischen Juden vor den Nazis im Keller versteckt und eine Liebesbeziehung mit ihm eingeht. Das Motiv des Helfers oder der Helferin wird nicht aus politischer Überzeugung gespeist, sondern ist ebenso menschlich wie egoistisch, meint Richter: die Liebe mache die Grenze zwischen Widerstand und Kollaboration durchlässig. Die einzig verlässlich Gedächtnisspur lege ohnehin nur die Sprache, die absurde Wege nehme. So lernt der polnische Jude im Keller durch die vielen Bücher die Sprache seines Feindes: Deutsch beziehungsweise Jiddisch. Rozier befasst sich mit dem Mythos der Resistance, der in Frankreich seit Jahren bröckelt, behauptet Richter, zugleich, betont der Rezensent, verletzt der Autor nie das Schamgefühl angesichts der Deportierten, auch wenn seine Geschichte von wenig Heldenmut und viel Ichbezogenheit zeuge. Gerade diese sich widerstreitenden Motive machen Roziers Geschichte so glaubhaft, bekräftigt Richter sein positives Urteil.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.03.2004

Schade, dass die Übersetzerin Claudia Steinitz an einer Stelle gepatzt hat, meint Rezensentin Martina Meister, denn bei Gilles Rozier bleibe bis zum Schluss unklar, ob das Roman-Ich ein Mann oder eine Frau ist. Und das, so Meister weiter, ist von einiger Bedeutung. Schließlich gehe es um Liebe. Denn während die Schwester des Ichs sich mit einem SS-Soldaten vergnüge (was mit dem Satz quittiert wird: "Sie glich ihrem Land: leicht zu haben."), verstecke das Ich zwei Jahre lang den polnischen Juden Herman in seinem Keller und gehe eine Liebesgeschichte und eine deutsch-jiddische Bücherliebe mit ihm ein. Doch die Rezensentin möchte eins klarstellen: Das Ich ist kein Held der französischen Resistance, eher ein Mitläufer, der aufgrund seiner Deutschkenntnisse zum Dolmetscher für die Nazis wird und eines Tages genau die jüdische Haut rettet, die er "berühren" will. Letztlich, findet die Rezensentin, handelt es sich hier um einunddieselbe Grauzone, in Haltung und Liebe, und das ist es, was die "schlichte Eleganz" dieses Romans für sie ausmacht: Das "Sonderbare, Rätselhafte und letztlich Unentzifferbare". So wohnen auch, als Prinzipien, "Eros und Thanatos" in einem Haus, zuerst als Bedrohung, dann als Gewissheit, denn sowohl der SS-Soldat als auch Herman müssen sterben. "Eine Liebe ohne Widerstand", lautet das Fazit der Rezensentin, ist eine Liebeserklärung an die Liebe und an das Jiddische, das zur "Sprache der Liebe" wird.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.03.2004

Nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland hat man damit begonnen, stellt Jörg Magenau fest, die moralischen Grauzonen im Verhalten der Menschen während des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs zu erforschen. Und was bietet sich mehr an, fragt er, als die Literatur, die von jeher besonders geeignet sei, solche Grauzonen zu sondieren, in denen Gut und Böse keinerlei Eindeutigkeit mehr besaßen. In Frankreich sieht die Auseinandersetzung damit natürlich anders aus als bei uns ins Deutschland, dort war die "heroische Verklärung" des breiten Widerstands in der Resistance die "Kehrseite der Dämonisierung der Nazis in Deutschland", meint Magenau. Großes Lob erfährt von ihm der auch in Frankreich viel beachtete Roman des 1963 geborenen Gilles Rozier, einem Spezialisten für jiddische Sprache. Seine eigene Familiengeschichte könnte Rozier dazu angeregt haben, vermutet Magenau, diese Geschichte zu schreiben, die von der Liebe zur (deutschen) Sprache wie von der Liebe zwischen einer mit den Deutschen kollaborierenden Französin beziehungsweise eines Franzosen zu einem Juden handelt. Rozier lasse die Leser im Ungewissen, ob sein Ich-Erzähler männlich oder weiblich sei, erklärt Magenau, was für den Rezensenten einen ganz besonderen Reiz birgt. Rozier unterlaufe eben alle Eindeutigkeiten und liefere nebenbei eine linguistische Interpretation des Holocaust.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.03.2004

Nicht die leicht "ruchlose und auch ein wenig verworrene" Geschichte ist es, die den Rezensenten Volker Breidecker an Gilles Roziers Roman um ein heimliches deutsch-jüdisches Liebespaar unter der Nazi-Herrschaft fasziniert hat, sondern die "geniale Konstruktion einer namenlosen, hybriden Erzählerfigur von rätselhafter Geschlechtszugehörigkeit", die von der Übersetzerin "kongenial" ins Deutsche gerettet worden ist. In der Tat sei man als Leser zunächst geneigt, von einem männlichen Erzähler auszugehen, bis diese Lesart von der voranschreitenden Erzählung unmöglich gemacht werde, und sich erst durch die weibliche Lesart wieder ein stimmiges Bild ergebe. Doch was manch einer als zum Selbstzweck erhobenen "Kunstgriff" betrachten wird, eröffnet für den Rezensenten eine andere Sinnhaftigkeit: "Die Frage nach Mann oder Frau entpuppt sich als ganz so banal und zum Verwechseln ähnlich wie jene nach Jude oder Goi." Alles, so der beeindruckte Rezensent, ist "ein klein wenig verdreht" in dieser Geschichte, die es schafft, den Leser mit erstaunlich viel Wahrheit "an der Nase herumzuführen".
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