Judith Butler

Kritik der ethischen Gewalt

Adorno-Vorlesungen 2002
Cover: Kritik der ethischen Gewalt
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518583616
Kartoniert, 144 Seiten, 14,90 EUR

Klappentext

Im November 2002 hat Judith Butler die Adorno-Vorlesungen an der Universität Frankfurt gehalten, die hier erstmals abgedruckt werden. In ihrer Kritik der ethischen Gewalt geht sie der Frage nach, wie man angesichts einer Theorie des Subjekts, dessen Entstehungsbedingungen sich nie restlos klären lassen, dennoch die Möglichkeit von Verantwortung und Rechenschaft bewahren kann. In Auseinandersetzung mit Adorno, Cavarrero, Foucault, Levinas und der Psychoanalyse zeigt Butler, daß jede dieser Theorien etwas ethisch Bedeutsames enthält, das sich aus den Grenzen ergibt, die jedem Versuch gezogen sind, Rechenschaft von sich selbst abzulegen: Noch in demjenigen, das wir "ethisches Scheitern" nennen, steckt eine ethischeWertigkeit und Bedeutsamkeit.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.07.2003

Moralische Regeln sind eine Form der Gewalt, sagt Judith Butler. Moment mal, hakt Ludger Heidbrink ein - nicht per se, sondern nur "wenn wir nicht wissen, warum wir uns nach ihnen richten sollen". Obwohl er weiß, was sie meint: Die Moralphilosophen müssen ein souveränes menschliches Subjekt postulieren, das "Urheber seiner Handlungen" ist und dem entsprechend in der Lage, sich darüber Rechenschaft abzulegen. Das aber, so Butler, sei nicht nur illusionär, sondern verberge und verwirkliche zudem partikulare Machtinteressen, während das Subjekt im Korsett der Regeln zugerichtet wird. Wenn man aber die Souveränität und damit das Rechenschaftsvermögen des Subjekts als Fiktion erkenne und gerade die eigene Unvollkommenheit zugrunde lege, dann begegne einem der andere "nicht als moralischer Adressat, sondern als lebendiges Gegenüber", das uns herausfordert, ihm bescheiden, großzügig und gewaltlos entgegen zu treten. Ein "Plädoyer für eine Moral des Sicheinlassens", konstatiert Heidbrink - und ein Paradox! Denn eine Ethik, die außer der Toleranz keinen Grund zulasse, sei "nicht mehr in der Lage, zwischen legitimen und illegitimen Forderungen zu unterscheiden". Und genau deshalb sei es eben doch richtig, die eigene Souveränität zu unterstellen, anstatt eine Moral von der "eigenen Unselbständigkeit" herzuleiten - denn nur so können wir unser Handeln auch kritisieren. Start und Ziel ...

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.06.2003

Ein Plädoyer für eine Moral "aus der Anerkenntnis der eigenen Widersprüchlichkeit" sieht Rezensent Friedrich Wilhelm Graf in Judith Butlers "bisweilen sehr dunklen" Frankfurter Vorlesung "Kritik der ethischen Gewalt". Anknüpfend an Adornos Kant-Kritik und mit Lacan und Foucault im Gepäck dekonstruiere Butler zunächst die Vorstellung einer autonomem Subjektivität, berichtet Graf. Die Idee, es gebe ein sich selbst transparentes Ich mit einer kohärenten Lebensgeschichte, entlarvt sie als "Pose der narrativen Beherrschung". Diese Absage an "homogenitätszentrierte Ich-Konzepte" fordert für Graf zu einem "konstruktiven Umgang mit Grenzen und Widersprüchen unserer selbst" auf. "Wunderschön" findet er dann auch die Reflexionsfiguren, in denen Butler die befreiende Wirkungen ihres Verzichts auf den Glauben an starke "Selbsttransparenz" darlege. Gegen die "ethische Gewalt", die Moralität auf den Menschen ausübt, empfehle Butler skeptische Bescheidenheit und die Anerkennung der eigenen Widersprüchlichkeit. Dass sie dafür auch religiöse Symbole gebraucht - etwa wenn sie vom Menschen als "fehlbaren Geschöpfen" spricht -, behagt Graf dagegen weniger. Auch Butlers Unterfangen, die Fähigkeit "anderen eine gewisse Art von Anerkennung zu verleihen" (Butler), aus der "eigenen Undurchsichtigkeit für mich selbst" abzuleiten, überzeugt Graf nicht wirklich. "Ein verletztes fragiles Ich", fasst er Butlers zentralen Gedanken zusammen, "soll sich dem radikal anderen schutzlos aussetzen und darin moralische Kraft gewinnen". Das kann für Graf nur gelingen, wenn der andere die Schwäche nicht ausnutzt - was niemand garantieren kann.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.06.2003

"Mit einer Eloquenz und einem intellektuellen Zauber, der seinesgleichen sucht", so Rezensent Thomas Assheuer, reagiert Judith Butler in ihrer Frankfurter-Vorlesung "Kritik der ethischen Gewalt" auf den Vorwurf des moralischen Nihilismus. Assheuer hebt hervor, dass es Butler nicht um eine Zertrümmerung der Moral geht, sondern um eine Ethik, "die ihre eigene Gewaltsamkeit reflektiert, die verletzbar ist und dem Einzelnen gerecht wird". Mit Adorno verstehe sie den Konflikt zwischen dem Besonderen des Einzelnen und dem Allgemeinen der moralischen Forderung als Zentralproblem jeder Moraltheorie - Moral könne eine andere Form von Gewalt sein, sofern sie nicht "lebendig" angeeignet werde, erklärt Assheuer. Auf die Frage, warum wir letztlich moralisch sein sollten, antworte Butler: "Weil wir alle verletzlich sind, sind wir allen verpflichtet." Radikal ethisch zu sein, führt Assheuer diesen Gedanken aus, heißt, moralisch zu sein, ohne einer Norm zu folgen.