Juri Andruchowytsch

Die Lieblinge der Justiz

Parahistorischer Roman
Cover: Die Lieblinge der Justiz
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783518429068
Gebunden, 299 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Die Lieblinge der Justiz, das sind Verbrechen und Verbrecher, echte und vermeintliche: Bohdan Staschynskyj zum Beispiel, ein KGB-Agent und Auftragskiller, der den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera in seinem Münchner Exil ermordet, dann aber wegen der Liebe zu einer ostdeutschen Friseurin mit ihr in den Westen flieht und sich stellt. Oder Mario, der Kolonialwarenhändler aus Kolomea im östlichen Hinterland der k. und k. Monarchie: Er ist jung, erfolgreich, seiner Frau Maria in schöner, wilder Liebe zugetan - aber seine geheime Verabredung mit einem karpatischen Molfar-Zauberer wird sich als so fatal erweisen, dass ihm nicht einmal mehr Kaiser Franz Joseph daselbst zu helfen vermag. Juri Andruchowytsch entfaltet in seinem neuen Buch ein die Jahrhunderte umspannendes Panorama von Mord, Liebe und Verrat, von der Monstrosität des Verbrechens und der Justiz. Und doch ist nicht alles, wie es scheint ...

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 18.07.2020

Die hier zum Roman zusammengefassten, literarisch aufbereiteten Kriminalfälle stammen alle aus der Realgeschichte und spielen in Galizien, weiß Rezensent Christoph Schröder. Ob es um einen adeligen Mörder im Zentrum eines Kreises von Banditen aus dem 17. Jahrhundert oder um die Erschießung der "Feinde des Dritten Reiches" von 1943 in Iwano-Frankiwsk geht: Jeder Fall wird vom Autor so aufbereitet, dass er zwar nicht die Schuld der Täter zurücknimmt, aber zeigt, dass Rechtsprechungssysteme nicht ausreichen, um menschliches Handeln eindeutig einzuordnen, so Schröder. Dafür braucht es die Literatur, hat der Kritiker gelernt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.07.2020

Rezensent Lerke von Saalfeld liest Juri Andruchowytschs Episodenroman über Recht und Gerechtigkeit als komischen Reigen von Räubern, Strauch- und Tagedieben. Gelungen scheint ihm, wie der Autor "parahistorisch" Lebens- und Mordkünstler in Szene setzt in Kriminalepisoden, die Saalfeld an den "Pitaval" von Anfang des 18. Jahrhunderts erinnern. Das halb fiktionale, halb historisch verbürgte der versammelten Texte zielt laut Rezensent auf die Frage nach Opfer- und Täterschaft. Die umkreist der Autor mit viel Witz, Sarkasmus, Ironie und funkelnder Sprache und sorgt so für reichlich Lesegenuss beim Rezensenten, durchaus auch verstörenden.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.06.2020

Falls Galizien bisher keinen Epos hatte, so hat es zumindest jetzt eines, konstatiert Rezensent Jörg Plath: Und zwar ein ganz grandioses - ein postmodernes Epos für die "Opfer der nationalen Idee". Es hat sich also gelohnt, solange auf das nächste Buch des ukrainischen Schriftstellers zu warten. Der "Parahistorische" Roman "Die Lieblinge der Justiz" erzählt von den Verbrechern und Verrätern aus 400 Jahren ukrainischer Geschichte, nur dass Andruchowytsch diesen Gestalten ihrem wohlverdienten Ende zuführt, statt sie wie Helden zu feiern, lesen wir. Zunächst in gewohnt überdrehten "Turboschwurbeleien" und akribisch festgehaltenen Gewaltexzessen, nach den ersten Geschichten jedoch in zunehmend ernster Manier demontiert der Autor den ukrainischen Heldenmythos, so der begeisterte Rezensent. Seine Geschichten erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, und wirken auch deshalb fragmentarisch, weil oft etwas fehlt - mal ein Kartoffelpuffer, mal der Kopf eines Toten. Ein Buch, das Komik und Tragik, Historie und Mythologie aufs Geschickteste miteinander vereint, so der überschwängliche Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.05.2020

Sehr überzeugt ist Rezensent Jörg Magenau von diesem "Karneval der Gewalt" aus halb wahren und halb erfundenen Anekdoten aus der Geschichte der Ukraine. Ein vorgeblicher Chronist erzählt hier historische "Schauermärchen" aus Hängen und Würgen, Vergewaltigen, Verbrennen und Ermorden - wobei ein You-tube-Video auch einmal als Zeugnis im 14. Jahhundert dienen kann, also mahnt der Kritiker zur Vorsicht gegenüber solch einem Chronisten. Ein Zirkus zieht zudem durch alle Mär und Historie hindurch - bis Magenau das Lachen und Hören und Sehen vergeht bei den dokumentarisch auserzählten Massakern an den Juden der Ukraine durch die deutsche Wehrmacht. Der Kritiker rechnet es dem Erzähler als literarischen Mut an, uns im "achteinhalbsten" Kapitel die Pointe einer autobiografischen Geschichte aus den 1960ern Jahren der Sowjetunion vorzuenthalten. Denn natürlich habe die Historie im Moment ihres Geschehens ohnehin nie Anfang und Ende, ist Material des Erzählens, "Parahistorie" für einen Roman, so Magenau. Das Tollkühne von Konstruktion und Fabulierlust geht am Ende umso mehr zugrunde vor der zuvor unausdenkbaren Realität der Vernichtung, erkennt der tief beeindruckte Kritiker.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.05.2020

Rezensent Norbert Mappes-Niediek wird tüchtig durchgeschüttelt von Juri Andruchowytschs Geschichten. Die Fabulierlust des Autors zieht ihn erst rein zu Antihelden der Ukraine, lose verbundenen Episoden, halb historisch belegt, halb fiktional, immer sarkastisch und sogar lustig - über Meisterspione und jünger werdende Grazien. Doch Vorsicht! Plötzlich ist Schluss mit lustig, warnt der Rezensent, und die "freakigen", in Sabine Stöhrs "putzigem" Deutsch auserzählten Ideen des Autors werden abgelöst durch dokumentierte Wehrmachtsmassaker und Folterszenen. Die Plauderei wird unerträglich, meint der Rezensent, die Komposition der Sammlung aber scheint ihm dennoch aufzugehen.