Juri Buida

Nulluhrzug

Roman
Cover: Nulluhrzug
Aufbau Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783351037857
Gebunden, 142 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Nachwort von Julia Franck. Die Siedlung Nummer 9 ist ein kleines Glied in der endlosen Kette des Gulag-Systems. Ihre Einwohner haben nur eine Aufgabe: Sie müssen täglich um null Uhr einen rätselhaften Zug passieren lassen. Niemand weiß, wohin er fährt, und was er in seinen plombierten Güterwagen befördert. Die Leute leben ihren Alltag, trotz Hunden und Stacheldraht. So verdreht die schöne, verheiratete Jüdin Esphira allen Männern den Kopf. Auch Don Domino, der als Letzter in der Siedlung zurückbleibt, ist ihr verfallen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 11.07.2020

Rezensentin Katharina Granzin fühlt sich von Juri Buidas Roman, im Original 1997 erschienen, stark an die dystopischen Sozialismusallegorien von Andrej Platonow erinnert. Ebenso verloren in der Welt seien Buidas Figuren hier, und ebenso erfüllt von einer "suchenden Leere", so Granzin - ein Stationsvorsteher, den die Frage nach einem Zug mit unbekanntem Ziel und unbekannter Ladung umtreibt, den er täglich passieren lässt, und ein Eisenbahner, der dessen Frau begehrt. Nicht nur die Verlorenheit der Figuren in einem mehr "metaphorisch" als real wirkenden Setting, sondern auch das Thema der mangelnden Erfüllung durch Sex und ein fragwürdiges Frauenbild sind dabei eindeutig von Platonow inspiriert, meint die Rezensentin. Daneben könne man den Zug aber auch als "überzeitliche Zumutung" interpretieren, schlägt sie abschließend vor.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.05.2020

Rezensent Andreas Platthaus fügt den großen russischen Eisenbahnerzählungen eine neue, fesselnde hinzu. Juri Buidas jetzt erst auf Deutsch erscheinender Text von 1993 nimmt den Rezensenten mit in eine vergangene Ära, die eben untergegangene Sowjetzeit, besticht aber durch traurige Zeitlosigkeit, versichert Platthaus, indem der Autor eine Diktatur beschreibt. Die Figuren im Text, der Stationsvorsteher und seine Frau, brennen sich Platthaus ein, ebenso der abseitige Bahnhof der sibirischen Eisenbahn in den GUlag als Schauplatz der Handlung, die Platthaus an Becketts "Warten auf Godot" erinnert. Ein "meisterhaft inszenierter" absurder Mikrokosmos, so Platthaus.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 21.03.2020

In diesem Roman kämpft "stalinistisches Strandgut" - Juden und Kinder von Volksfeinden - in einer kleinen Siedlung am Rande eines Gulags vergeblich gegen die Absurdität seiner Existenz an, erzählt Rezensent Fabian Wolff. Das Örtchen, durch das jede Nacht ein mysteriöser Zug rauscht, dessen Ankunft die Bewohner melden müssen, steht in seiner grausamen Sinnleere und Tristesse für den sowjetischen Kommunismus insgesamt, sinniert der Kritiker. Von Ganna-Maria Braungardt virtuos übersetzt, entfaltet das Buch "in den besten Passagen die Intensität eines post-sowjetischen Faulkners", lobt der Rezensent.