Ludwig Hohl

Aus der Tiefsee

Paris 1926
Cover: Aus der Tiefsee
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783518415887
Gebunden, 340 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Ulrich Stadler. Mitternachtsgesellschaft sollte der Roman heißen, den Ludwig Hohl über das Bohemeleben im Paris der zwanziger Jahre schreiben wollte. Träumer, Trinker, Schnorrer, verkannte Literaten, Künstler, die unterhalb der Armutsgrenze leben, sich allablich in immer denselben Cafes, Restaurants und Bars am Montparnasse treffen und von dort aus ihre Streifzüge in die übler beleumundeten Viertel antreten - Ludwig Hohl war als Beobachter unter ihnen. In Heften, die in seinem Nachlass gefunden wurden, schildert er die nächtlichen Pariser Begegnungen mit klarem Blick, zuweilen auch ironisch und sarkastisch, und bekundet dabei ein außergewöhnliches Gespür für Menschliches, Zwischenmenschliches, Allzumenschliches. Ein geschlossener Roman ist nie daraus geworden. Hohls Vorsatz, beim Schreiben stets die Übersicht zu behalten und Autobiografisches auszuklammern, wird bald hinweggefegt: Was ihm zustößt, überfordert ihn, sprengt sein erzählerisches Ich, verweigert sich der konventionellen Romanform.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.04.2004

Nicht zufrieden zeigt sich Rezensent Roman Bucheli mit diesem von Ulrich Stadler herausgegebenen Band, der aus Ludwig Hohls Pariser Notizen und Entwürfen hervorgegangen ist. Buchelis Kritik zielt dabei nicht auf die Aufzeichnungen Hohls, sondern auf Ulrich Stadlers Editionspraxis. Zwar habe Stadler Kürzungen markiert, über den Umfang aber bleibe man aber im Ungewissen, läßt Bucheli wissen. Dabei vermutet er "schwerwiegendere Eingriffe als nur leichte Kürzungen". Hinter Stadlers Eingriffen wittert er die Absicht, aus Hohls Aufzeichnungen ein "Destillat" zu erstellen. Darin sieht er Stadlers "fundamentales Missverständnis". Schließlich habe Hohl einen "Steinbruch" hinterlassen und von der Idee, daraus noch einen geschlossenen Roman zu meißeln, Abschied genommen. "Die Welt ist ihm in tausend Splitter geborsten", erklärt Bucheli, "und mit ihr der literarische Text." Der vorliegende Text konterkariert nach Buchelis Ansicht "fatalerweise" diese Einsicht des Autors. Daher empfiehlt er dem Leser derzeit besser die Schriften, die Hohl selbst noch zum Druck befördert hatte, zu lesen, oder die Aufsatzsammlungen, die zu seinem 100. Geburtstages erschienen sind, zu Rate zu ziehen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.04.2004

Mit seiner Rezension stellt uns Volker Breidecker den vor hundert Jahren geborenen und 1980 gestorbenen Schweizer Schriftsteller Ludwig Hohl vor, den er als "literarischen Sonderling" beschreibt. Das vorliegende Buch, aus Anlass von Hohls hunderstem Geburtstag erschienen und aus einem "gescheiterten Romanprojekt" hervorgegangen, bringt die Leser in den "Genuss eines einzigartigen Dokuments", schwärmt der Rezensent. Eigentlich habe der Autor einen Roman über eine Gruppe von "Nachtschwärmern" und gesellschaftlichen Außenseitern in Paris schreiben wollen, das Projekt jedoch aufgegeben, weil es ihm nicht gelungen sei, sich von den autobiografischen Hintergründen frei zu machen, erklärt der Rezensent. Der Herausgeber hat nun aus dem Nachlass die vom Autor "verzettelten" und mehrfach überarbeiteten Aufzeichnungen in "Tagebuchform" aus dem Jahr 1926, die den Stoff zum geplanten Roman liefern sollte, mit "zurückhaltender Kommentierung" publiziert. Das Buch erlaubt den Blick auf ein Paris der 20er Jahre, das so "längst nicht mehr vorhanden ist", so Breidecker angetan, der sich auch über die Einblicke, die das Buch in das Leben und Schreiben des Autors gewährt, freut. Als "besonders gelungen" preist er Hohls Schilderungen des nächtlichen Paris und seine "Miniaturen gesellschaftlicher Außenseiter".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.04.2004

1924 zog Ludwig Hohl nach Paris, ließ - laut Martin Zingg - die Schweiz und sein protestantisches Elternhaus hinter sich und mischte sich unter die künstlerische Boheme in den Pariser Cafes, wo er saß und schrieb und Material für einen Roman sammelte, der nie entstand. Diese von Hohl selbst so getauften "Epischen Grundschriften", informiert Zingg, waren eigentlich nie zur Publikation vorgesehen, allerdings hat Hohl sich selber jahre- oder jahrzehntelang dieser Materialsammlung bedient. Der Zürcher Germanist Ulrich Stadler hat nun aus den 33 randvollen Notizbüchern der Pariser Zeit eine Auswahl getroffen, die sich ausschließlich auf das Jahr 1926 erstreckt. Die Stadt Paris sei Hohl wie ein Meer erschienen, berichtet Zingg, in das er eingetaucht sei und das er am liebsten von den Rändern, von unten her erforscht habe. Zingg staunt ebenso über das, was Hohl alles aufgefallen ist, wie darüber, was ihm alles entgangen ist. Dass zeitgleich mit ihm berühmte deutsche Literaten wie Walter Mehring, Franz Hessel, Joseph Roth, Kurt Tucholsky in Pariser Cafes saßen und schrieben, davon hat Hohl keinerlei Kenntnis genommen, wundert sich Zingg.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.04.2004

Peter Hamm verbindet die Besprechung zweier Bücher von Ludwig Hohl mit einem ausführlichen Porträt des 1904 in der Schweiz geborenen Dichters. Ein charmanter Zeitgenosse war Hohl wohl nicht. Hamm beschreibt ihn als "erschreckend schroff", mit einem "hochfahrenden Wesen", pathetisch, humorlos und mit einem "Hang zum Superlativismus und zum Hierarchisieren". Der Sohn eines Pfarrers war ein Außenseiter, der vorzeitig vom Gymnasium verwiesen wurde, weil er "zu viel über Frauen, Zigaretten und Nietzsche" gesprochen habe. Dennoch, versichert Hamm, war Hohl ein begnadeter Schriftsteller, neben Valery "der größte Schriftsteller ohne Werk". Hinterlassen hat er nämlich keine Romane, Erzählungen oder Gedichte, sondern einen riesigen "Gedanken-Steinbruch" aus Notizen, Skizzen, Porträts und Traum-Notaten. Die Tagebuchaufzeichnungen "Aus der Tiefsee. Paris 1926" geben einen guten Einblick in Hohls "Unversöhnlichkeit", schreibt Hamm. Hauptschauplatz sei "La Rotonde", ein Cafe in Montparnasse. Von dort aus unternahm Hohl mit den Bohemiens jede Nacht Exkursionen in die Banlieue oder verschiedene Pariser Arrondissements. Keine Berühmtheiten tauchen hier auf, schreibt Hamm. Weder Picasso noch Blaise Cendrars oder Alberto Giacometti, die zur gleichen Zeit im Rotonde verkehrten, werden erwähnt. Hohls Kumpane sind Unbekannte, "Möchtegernkünstler", deren Geplapper er jeden Morgen nach seiner Heimkehr "in rasender Eile" aufs Papier warf. "So überscharf gesehen, bekommt die Realität etwas irritierend Surreales", findet Hamm.
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