Peter Sloterdijk

Zorn und Zeit

Politisch-psychologischer Versuch
Cover: Zorn und Zeit
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783518418406
Gebunden, 356 Seiten, 22,80 EUR

Klappentext

In seinem neuen Essay geht Peter Sloterdijk auf den Zorn ein, dessen Folgen sich als Kampf, Gewalt, Aggression äußern. Am Anfang des ersten Satzes der europäischen Überlieferung, die mit der Ilias beginnt, steht das Wort "Zorn". Er gilt dort als unheilbringend - und wird deshalb hoch geschätzt, auch weil er Helden hervorbringt. Wie kommt es, dass Zorn schon relativ bald danach in der Polis nur in eng umgrenzten Situationen zugelassen wird? Wie kommt es in späteren kulturellen Traditionen zur Herausbildung des "heiligen Zorns" und damit zugleich eines ersten Begriffs von Gerechtigkeit? Wie ist eine kommunistische Weltbank des Zorns denkbar? Wie kam es dazu, dass die Gesellschaften mit Gerechtigkeit als Grundwert den Zorn in allen Kontexten ausgeschlossen haben? Und wie ist seiner Wiederkehr zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu begegnen? Peter Sloterdijk formuliert eine Antwort: "Große Politik geschieht allein im Modus von Balanceübungen. Die Balance üben heißt keinem notwendigen Kampf ausweichen, keinen überflüssigen provozieren. Es heißt auch, den Wettlauf mit der Umweltzerstörung und der allgemeinen Demoralisierung nicht verloren geben."

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.04.2007

Sehr ausführlich und, wie es scheint, um Fairness bemüht referiert Rezensent Martin Bauer die Thesen dieses jüngsten Wurfs des Philosophen Peter Sloterdijk. Mit Zustimmung ist das aber kaum zu verwechseln. Die zentrale These ist die der Zornvergessenheit unserer "posthistorischen" Gegenwart. Zorn als Energie und Kraft hält der Philosoph für den Motor, der den Menschen zum Wollen und zur Tat treibt. Eine Zeit, die den Zorn in die Schranken weist, produziert entsprechend schlappe Menschen. Bei den Griechen war das noch anders, so Sloterdijk. Bei ihnen war der "Tymos" (so das entsprechende Wort) noch legitim, wenn auch in den Grenzen der Vernunft. Auf die legt nun Sloterdijk gerade keinen Wert - und an dieser Stelle erhebt der Rezensent auch gegen seine Griechenaneignung Einspruch. Fatal für die freie Entfaltung starker Menschen bzw. von "Eliten", so Sloterdijk, waren nun der Einfluss von Christentum und Psychoanalyse in ihrer Eros-Versessenheit. Heraus gekommen ist eine Welt von kleinlichen Ressentiments und konsenssüchtigen Demokraten auf der einen, von Allesverstehern und Therapeuten auf der anderen Seite. Dagegen plädiert Sloterdijk, in der Rolle des Nietzsche redivivus, fürs Befreiende zugelassener Aggression. Die Skepsis des Rezensenten gegenüber der das Kind mit dem Bade ausschüttenden "Pyrotechnik" des Philosophen ist nicht zu überhören.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 25.11.2006

Kurzweilig aber nicht sehr weit reichend findet Rezensent Uwe Justus Wenzel diese ein wenig "ins Kraut geschossenen" Überlegungen von Peter Sloterdijk zur Frage, ob der Islamismus als Sammelbecken der "Frustrierten aller Länder" das Zeug hat, den Kommunismus weltpolitisch zu beerben. Zwar folgt er den Ausführungen dieses "sprach- und fantasiebegabten", zum "heiteren Zynismus neigenden" Autors mit gewissem Vergnügen und winkt auch dessen Schlussfolgerung durch, dass der Islamismus als "desparate Bewegung aus ökonomisch Überflüssigen und sozial Unverwendbaren" es nicht zu einer echten Gegenbewegung zum globalen Kapitalismus bringen wird. Insgesamt aber enttäuscht ihn ein theoretisch eher flachatmig argumentierender Autor, der aus Sicht des Rezensenten hier hinter seinen Möglichkeiten und Ambitionen spürbar zurück geblieben ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2006

Ein rundum positives Urteil fällt Rezensentin Julia Encke über Peter Sloterdijks Essay "Zorn und Zeit", in dem er eine Weltgeschichte des Zorns entwirft. Den Überlegungen des metaphernstarken Philosophen über die lähmenden Wirkungen der Austreibung des produktiven Zorns aus unserer Kultur kann sie einiges abgewinnen. Demgegenüber sieht sie das Projekt Sloterdijks in diesem Buch in einer Rehabilitation des Zorns. Kein leichtes Vorhaben, wie sie einräumt, hat der Zorn als politische Energie im zwanzigsten Jahrhundert für einige Katastrophen gesorgt. Allerdings kann der Autor ihres Erachtens zeigen, dass diese Form der Zornwirtschaft so verheerend sein musste, weil sie in Wirklichkeit eine "Kriegswirtschaft des Ressentiments" gewesen sei. Besonders interessant findet sie auch Sloterdijks Deutung des radikalen Islamismus als eine allein auf Rache und Ressentiment gegründete Ideologie.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.10.2006

Peter Sloterdijk modifiziert in seinem langen Essay das psychoanalytische Menschenbild, indem er den Zorn nicht als Ventil für unbefriedigte Wünsche, sondern als natürlichen Zug des Menschen voraussetzt, konstatiert Jens Bisky. Der Philosoph legt mit "Zorn und Zeit" einen ausführlichen Gang durch die abendländische Geistesgeschichte vor, die nicht gerade unbekannt ist, der er aber so manche Pointe abgewinnt, wie Bisky erwähnt. Für den Autor sei diese Geschichte zuallererst eine Geschichte des "Zornmanagements". Stimmt der Rezensent hier noch zu, sieht er sich bei Sloterdijks Ausgangspunkt, Achills Zorn, wie in der "Ilias" geschildert, beschreibe ein ungebrochenes antikes Ideal, das wieder in unsere Zeit zu integrieren sich lohne, zum Widerspruch aufgefordert. Achill werde in dem Homerischen Epos durchaus problematisch gezeigt und sein Zorn übersteige jedes Maß, informiert er. Zudem stört den Rezensenten, dass der Autor zwar zunächst zwischen Zorn, Hass, Wut und Ressentiment unterscheidet, in seinen späteren Ausführungen aber keine Rücksicht mehr auf diese Unterschiede nimmt. Auch der Verbindung von "Zorn und Stolz" wäre eine genauere Betrachtung zu wünschen gewesen, murrt der Rezensent. Dafür haben ihn die Auslassungen zum Roman "Der Graf von Monte Christo", die Sloterdijk zur Illustration für die These, dass auch dem Bürgertum Zorn, Hass und Rachegefühle nicht fremd sind, ziemlich amüsiert.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.09.2006

Als anregende Lektüre wertet Rezensent Hilal Sezgin diesen Essay über den Zorn als Triebfeder der Geschichte von Peter Sloterdijk. Überzeugend findet sie die Thesen des Philosophen gleichwohl nicht. Dessen Kritik an der Psychoanalyse, die hinter allem menschlichen Streben den Eros sehe und den Zorn pathologisiere, kann sie nicht unterschreiben. Überhaupt hält Sezgin die dem Essay zugrunde liegende Anthropologie für nicht besonders plausibel. Außerdem scheint ihr Sloterdijk den Eindruck erwecken zu wollen, er habe die Rolle von Wut und Aggression hinter Revolutionen, Regierungen und Individuen entdeckt, indem er diese Ausdrücke vermeidet, um stattdessen, rhetorisch gewieft auf den griechischen Ausdruck thymos zurückgreifend, das Feld der "Tymotik" zu eröffnen. Dabei hält ihm Sezgin auf jeden Fall zu Gute, bei seinem Gang durch die Menschheitsgeschichte mittels seines neuen Lieblingsbegriffs zahlreiche aufschlussreiche Einsichten zu Tage zu fördern.
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