Reinhard Jirgl

Oben das Feuer, unten der Berg

Roman
Cover: Oben das Feuer, unten der Berg
Carl Hanser Verlag, München 2016
ISBN 9783446250529
Gebunden, 288 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Berlin, Oktober 2012, eine Frau ist verschwunden. Theresa, in Ostdeutschland geboren, wuchs bei Pflegeeltern auf, weil ihre Eltern als Oppositionelle inhaftiert waren. In den Siebzigern bekommt sie als Historikerin Zugang zu Geheimarchiven der DDR - erschreckende, unglaubhafte Dokumente liegen vor ihr. Theresa wird kaltgestellt, und das bleibt so, denn ihr Wissen ist nach der Wende 1989 extrem gefährlich. Reinhard Jirgl erzählt von einer unbekannten deutschen Geschichte: Der große bürokratische Umbau, den die Politik die "Wende" nannte, hat intakt gelassen, was man vergangen glaubte: Seilschaften, Organisationen, Feindschaften. Das Gestern ist auch morgen nicht zu Ende.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.06.2016

Eines von Reinhard Jirgls schwächeren Büchern hat Rezensent Burkhard Müller da gelesen. Die Dunkelheit des Ostens und des Westens vermag ihm der Autor zwar wiederum zu vermitteln. Eine privilegierte Historikern (Ost), deren Spion-Eltern und ein Kommissar (West) auf der Suche nach einem rätselhaften Frauenmörder begegnen Müller im Text und dahinter die große Weltverschwörung. Leider vermag der Autor nicht, seine disparaten Handlungsstränge miteinander zu verbinden, meint Müller. Die unübersichtlichen Schachtelungen der Handlung und die wechselnde Erzählperspektive machen es dem Rezensenten alles andere als leicht, den unverkennbaren Jirgl-Sound zu genießen. Ebenso hinderlich wirken sich Jirgls orthografischen Eigenheiten aus, die laut Müller das Marottenhafte streifen, weil sie ohne "sprachlich-gedanklichen Fond" auskommen müssen.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 24.05.2016

Nico Bleutge hat nie eine dunklere, aber auch vielstimmigere DDR-Geschichte gelesen als diese hier, mit der Reinhard Jirgl laut Rezensent an seine zuletzt erschienene Dystopie "Nichts von euch auf Erden" anknüpft. Dass Jirgl ihm Mühe abverlangt mit einem Erzählen in Zeit- und Bedeutungsschichten, mit der Verknüpfung von individueller und Zeitgeschichte, mit einem Blick in die Zukunft, verschränkt mit der DDR-Vergangenheit, kann er ihm unmöglich ankreiden. Denn die komplexe Familiengeschichte, das Panorama aus Flucht und Vertreibung, Verrat und Mord, die krimiartigen Einlassungen zum Freikauf von DDR-Bürgern lassen Bleutge nicht zweifeln, dass es sich eben nicht um einen Thesenroman handelt, sondern um eine bild- und wortstark erzählte, sinnliche Geschichte.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 16.04.2016

Selbst wenn Reinhard Jirgl ein denkbar düsteres Bild seines Heimatlandes, der DDR, zeichne, so sei er doch nie auf Rache aus, schreibt Herbert Wiesner. Der Rezensent findet den Roman aufregend und betont, wie viele Genres der Autor darin vermenge: Familientragödie und Politroman, Krimi und Science-Fiction. Bemerkenswert scheint Wiesner auch Jirgls phonetische Schreibweise ("Männer-Be-cunt-schafften", "marksistische Geschicht's Auf=Fassung") die den Kritiker an Arno Schmidt und Friederike Mayröcker erinnert. Wiesner versteht sie als "ritualisierte Eigenheiten und Codierungen, die häufig der erstrebten Dynamik dienen", zugleich allerdings beim Lesen besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dass ihm wiederum manches in diesem fiktionalen Werk über Atomwaffen geradezu wahrhaftig erschien, war Wiesner nach eigener Aussage regelrecht unheimlich.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.02.2016

Rezensent Tilman Spreckelsen weiß nicht, ob er den Autor richtig versteht. Seiner Deutung nach müsste das neue Buch von Reinhard Jirgl eine Art kritische Bestandsaufnahme der DDR, ihrer Überwachung und Konformität sein. Als Krimi oder historisierendes Sachbuch jedenfalls, wovon es laut Spreckelsen durchaus Momente im Text gibt, sieht er das Buch nicht. Sicher ist sich der Rezensente hingegen, was Jirgls Stil betrifft. Da zeigt sich der Autor ihm  als mit allen Tönen gewaschen, hoch und nieder, als sensibler Landhschaftsmaler wie als schlechter Wortspieler. Die gewöhnungsbedürftige Orthografie macht für den Rezensenten schon bald Sinn als Sinngeber.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.02.2016

Jürgen Verdofsky scheint Reinhard Jirgls neuen Roman "Oben das Feuer" mit Gewinn gelesen zu haben. Sorgfältig versucht der Rezensent das Textlabyrinth zu entwirren, das zwischen algebraischen Textbildern und trigonometrischen Interpunktionen finstere Mordgeschichten zu Tage treten lässt. Entsprechend aufmerksam liest der Kritiker dieses zwischen Geschichte und Gegenwart mäandernde Werk, das von Theresa und Willfried erzählt, die - nachdem ihre Eltern wegen Verunglimpfung führender Persönlichkeiten in Bautzen inhaftiert werden - zu staatstreuen Adoptiveltern bzw. ins Zuchthaus kommen. Während Theresa als Historikerin später tabuisierte Staatspraktiken entdeckt und in Folge ihrer Kündigung als einsame promiskuitive Klofrau endet, lässt sich Willfried zum Berufsmörder ausbilden, verrät der Rezensent. Dieser Roman, der wie ein "Amoklauf im Erzählen" scheint, legt "archaische Zerrüttungsbilder" einer vergangenen, aber nicht bewältigten Zeit frei, verspricht Verdofsky.