Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Musik

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.03.2023 - Musik

Man muss es sagen: Pitchfork-Kritikerin Olivia Horn wird geradezu lyrisch bei Lana del Reys neuem Album "Did You Know That There's a Tunnel Under Ocean Blvd": "Aus dem Rohmaterial des Lebens einen Sinn zu formen, der es wert ist, bewahrt zu werden - das ist die Aufgabe des Schriftstellers. Eine, die Lana mit Nachdruck aufgreift, auch wenn diese Bedeutung manchmal nur für sie selbst lesbar ist. 'Did You Know That There's a Tunnel Under Ocean Blvd' kommt als ein weitläufiges, verwirrendes Werk daher. Es ist voll von leisem Nachgrübeln und lauten Unterbrechungen, von sichtbaren Nähten und ungesäumten Rändern, von der Chorprobe, die sich durch die ersten Momente zieht, bis zum Geräusch des Haltepedals des Klaviers, das am Ende losgelassen wird. Die Schönheit - Lanas Tugend und ihr Problem - verblasst oder gerät in Vergessenheit, wie der titelgebende Tunnel, dessen Mosaikdecken und bemalte Kacheln verschossen und verlassen sind. Hier ist Lana auf der Suche nach etwas Dauerhaftem, nach den Dingen 'im Herzen der Dinge': Familie, Liebe, Heilung, Kunst, Vermächtnis, Weisheit - und all den Widersprüchen und der Bestürzung, die mit diesem Streben einhergehen."

Hier das Titelstück:



Hartmut Welscher vom VAN Magazin spricht mit Navid Kermani  über seine späte Liebe zu klassischer Musik, die ihm natürlich auch vom Radio vermittelt wurde, etwa vom "Klassik Forum" auf WDR 3. Aber solche Formate sind auch im WDR immer weiter beschnitten worden, und im Haus herrscht eine tragische Atmosphäre: "Ich bin dort immer sehr oft ein- und ausgegangen und kenne keinen schlechter gelaunten Betrieb. Mir kommt es so vor, als würde über die Jahre die Stimmung dort schlechter und schlechter - aber klar, ich habe beziehungsweise hatte natürlich auch vorwiegend im Kulturfunk zu tun. So viele Leute haben dort das Gefühl, sie werden behindert, sie müssen mit idiotischen, sowohl kunstfeindlichen als auch praxisfernen Anweisungen umgehen und werden von dem abgehalten, was sie gerne machen würden und eigentlich auch besser könnten."

Arcana gab es bei der Berliner "Maerzmusik" zu hören, oder, äh, gerade nicht zu hören, berichtet Clemens Haustein in der FAZ: "Das soziologische Experiment, wie sich ein Publikum auf das Ende eines Stückes verständigt, gehört ebenso dazu wie eine Musik, die ihre Aura nicht zuletzt aus dem Geheimnisvollen bezieht. Ein dicht bedrucktes Papier sieht man auf dem Tisch vor der Bühne liegen. Die Frau vor dem Mikrofon berichtet, dass all das während der Aufführung rezitiert worden sei, unhörbar. Was steht denn auf dem Papier? Sie wisse nicht, ob es im Sinne des Komponisten sei, das zu verraten."

Ein Antisemit wie Roger Waters lässt sich nicht mit der Absage von Konzerten bekämpfen, ist sich Ronen Steinke in der SZ sicher: "Die Stadt München hat deshalb in dieser Woche bereits eingesehen, dass sie an einem Roger-Waters-Konzert im Mai nicht vorbeikommt. Die Stadt Frankfurt am Main hält bislang noch an ihrer ablehnenden Haltung fest. Sie hat gerade Waters' Vertrag mit der Frankfurter Festhalle gekündigt, weil er Antisemitismus schüre. Aber will sie sich denn nun von Waters verklagen lassen, mit großer Aussicht auf Erfolg? Damit der sich als verfolgte Unschuld inszenieren kann?" Anders wäre es, wenn man Waters Volksverhetzung vorwerfen könnte, so Steinke.

Und hier noch ein bisschen tröstlicher Lärm von Linkin Park, deren "blockbuster sophomore album 'Meteora'" (so Stereogum) gerade zwanzig Jahre alt wird.



Außerdem: Ueli Bernays spricht in der NZZ mit Herbert Grönemeyer über sein neues Album "Das ist los". Ebenfalls in der NZZ stellt Matthias Niederberger die Schweizer Band Zeal & Ardor vor. Und in der taz schreibt Juliane Streich ein kleines Porträt der Leipziger Musikerin Karo Lynn, die gerade mit ihren neuen deutschen Popsongs auf Tour geht. Besprochen wird außerdem das neue Album von Depeche Mode (SZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.03.2023 - Musik

Depeche Mode! In Deutschland werden sie so sehr geliebt, dass Supermärkte am Berliner Stadtrand mit Release-Partys für ihr neues Album "Memento Mori" werben. Und dennoch sind sie eine faszinierende Band, konstatiert Torsten Groß in Zeit online. Es ist allerdings überhaupt ihr bestes neues Album seit 1997, so Groß. Der Keyboarder Andy Fletcher ist gestorben, die Alpha-Figuren Martin Gore und Dave Gahan haben sich versöhnt. Der Titel des Albums spricht für sich. Auch Aktuelles kommt vor: "'My Cosmos Is Mine', mit dem Memento Mori beginnt, hat 83 BPM, also Ruhepuls. Damit ist der Ton gesetzt: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine habe Gore zu diesem Text inspiriert, er beschreibt eine Abschirmungsstrategie im Angesicht einer immer schnelleren Abfolge von existenziellen Krisen: 'Don't play with my world, don't mess with my mind', singt Gahan zu gewaltigen Pauken, dem Krachen und Donnern und Zischen und Rauschen der Bandschleifen-Loops der Produzentin Marta Salogni, ein majestätischer Auftakt."



Als aufsehenerregend annoncieren Jan Brachmann und Pia Heinemann in der FAZ eine im Fachmagazin Current Biology veröffentlichte Studie über Ludwig van Beethovens DNA. Sie gibt unter anderem Aufschluss über seine Krankheiten: So "fanden die Wissenschaftler eine Prädisposition für Lebererkrankungen - was zusammen mit seinem historisch belegten regelmäßigen Alkoholkonsum zu einer Leberzirrhose geführt haben könnte. Zudem identifizierten die Wissenschaftler auch Spuren von Hepatitis-B-Viren, die die Leber zusätzlich angegriffen haben dürften." Drei Befunde aber interessieren FAZ-Autoren besonders: Beethoven war nicht schwarz - es hatte da Gerüchte gegeben, weil er eine dunkle Hautfarbe gehabt haben soll -, es gab keine bisher identifizierbare genetische Disposition zur Taubheit. Und er war kein Beethoven, wie sich mit einem Abgleich mit heute lebenden Beetvovens herausfinden lässt, sondern ein Kuckuckskind oder Kind eines Kuckuckskinds: "Die Forschungsergebnisse werden nun die Beethoven-Biografik neu befeuern, weil Ludwig van Beethovens Verachtung für seinen nominellen Vater, den Tenor Johann van Beethoven, der als gewalttätiger Trinker beschrieben wird, schon Anlass umfangreicher psychoanalytischer Studien war."

Die Frage, ob der ehemalige Pink-Floyd-Bassist Roger Waters in Deutschland Konzerte veranstalten kann, wird die Medien in den nächsten Wochen noch beschäftigen. Er klagt gegen Absagen von Konzerten, die sich auf seine BDS-Aktivitäten beziehen, mit der Behauptung, er sei nicht antisemitisch. Thomas Wessel erinnert bei den Ruhrbaronen nochmal an das ideologische Programm von BDS und verweist auf ein aktuelles Video, wo sich der BDS-Gründer Omar Barghouti  nochmal eindeutig festlegt. Das Video richtet sich gegen die "Normalisierung" Israels, also jegliche Form der Anerkennung. Alles müsse verhindert werden , "was die arabische und israelische Seite zusammenbringe... laut BDS-'Guidelines' sei ein Kontakt zwischen arabischen und israelischen Akteuren nur dann erlaubt, wenn beiderseits sämtliche Grundsätze des BDS anerkannt worden seien und ein gemeinsames Projekt nicht auf 'co-existence' ziele, sondern auf 'co-resistance'. Und dann   -  hier nachzuhören ab Min 9:18  -  definiert Barghouti, was BDS unter 'israelischer Seite' versteht und wen man eigentlich bekämpft: 'Israelische Seite heißt: jüdische Israelis beziehungsweise jüdische israelische Institutionen.' Barghouti ist die Stimme des BDS, er stellt klar: BDS zielt auf Juden." Gestern Vormittag meldete die SZ, dass dem Münchner Konzert Waters' administrativ nichts im Wege steht.

Ist Herbert Grönemeyer der Andreas Reckwitz des deutschen Pop? Jedenfalls scheint er sich ganz ähnliche Fragen zu stellen (siehe "Ideen" im heutigen 9punkt). "Was sind aber die Probleme, denen wir uns fesch und frech stellen müssen", fragt Jens Balzer in seiner heutigen Zeit-Kritik von Grönemeyers neuem Album "Das ist los": "Darüber erteilt das Titellied Auskunft: 'Immer wieder Neuanfang / die Welt dreht sich im Schleudergang / Bankenkrise, Emirat / Schuldenbremse, Windradpark / Lifehacks, Burn-out, Horoskop / cis-, binär- und trans-queer-phob'. Diese Aufzählung intoniert Grönemeyer zu einem elektronisch erzeugten Schunkelrhythmus mit synkopisch sich davon absetzenden Blubber-, Plopp- und Platzgeräusche." SZ-Autor Jakob Biazza kommt in seiner Grönemeyer-Kritik möglichen Einwänden zuvor. "Und wer jetzt sagt: Anekdotische Evidenz, gefühlte Wahrheit! Kann schon sein. Aber gerade da, bei den Gefühlen, braucht es hierzulande dringend Verortungshilfe." Mehr in der Berliner Zeitung.

Außerdem: Diviam Hoffmann spricht in der taz mit der amerikanischen Musikerin Meg Remy über ihr neues Album "Bless This Mess".

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.03.2023 - Musik

Dass die russische Propagandamusik, die als Begleitung zur "Spezialoperation" ertönt, so grauenhaft ist, hat auch etwas damit zu tun, dass sie sie den lyrischen, la melancholischen Grundton klassischer russischer Kriegslieder verrät, schreibt der in Moskau lebende Autor Igor Saweljew in der FAZ. Grade diese schlechte Musik zeige, dass Putin den Russen die "historische Selbstverortung" geraubt habe: "Ein Teil der Gesellschaft weiß, dass Russland im Unrecht ist, ein anderer Teil ahnt es, fürchtet aber Repressionen, ein dritter bemüht sich, Putin zu glauben. Doch selbst den treuesten Putinisten fehlt die moralische Gewissheit, die die Sowjetmenschen im Zweiten Weltkrieg hatten."

Stephanie Grimm stellt in der taz ein Album der "Sensory Illusions" vor, einer höchst originelle Kooperation des Jazz-Außenseiters Bill Wells und der Tubistin Danielle Price: "Elf wunderbare Begegnungen zwischen E-Gitarre und dem tiefsten aller Blasinstrumente, das hier sehr nuanciert klingt. Mal lässt Price ihre Tuba die Gesangsstimme übernehmen, dann wieder fungiert sie als Rhythmusgeberin. Mit Melancholie und Verspieltheit führen Wells und Price Pop, Jazz, aber auch Avantgardistisches und Filmmusik zusammen."

Ein Beispiel:



Wolfgang Sandner gratuliert in der FAZ dem Jazz- und Funkgitaristen George Benson zum Achtzigsten: "Seine Klangsprache hat etwas Selbstverständliches, als könnten die Töne gar nicht anders, als mit diesem somnambulen Gespür für Zeit hervorgebracht zu werden, als ergebe sich jedes Motiv, auch jede Phrasierung ohne Spur von Sinnsuche, mit einer unbewussten Grazie, die etwas vom kapitolinischen Dornauszieher hat, den Kleist so bewunderte."

Auch am frühen Morgen empfehlen wir: "Give me the Night":



Außerdem: Ronald Düker trifft für Zeit online den Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow, der ein Corona-Tagebuch vorlegt.
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Efeu - Die Kulturrundschau vom 21.03.2023 - Musik

Stephan Mösch gratuliert in der FAZ dem Dirigenten Hartmut Haenchen zum Achtzigsten, der in der DDR mit Alter Musik begann und erst nach seinem Weggang aus der DDR Karriere machte. Mösch nennt seine "Parsifal"-Interpretation in Bayreuth die wichtigste neben der von Boulez: "Was diesen Dirigenten besonders interessiert, ist das, was sich zwischen dem Abschluss des Autografs und der Uraufführung verändert hat. Da nämlich wurden Komponisten wie Verdi, Wagner oder Richard Strauss besonders aktiv: Wenn sie ihre Stücke auf den Proben zum ersten Mal hörten. Gemessen an diesem Anspruch wirkt der Langsamkeitszinnober, der vielfach noch immer veranstaltet wird, hausbacken und selbstgefällig."

Hier mit Brahms' Erster:




Rough Trade bringt ein Album mit nachgelassenen Songs des malischen Gitarristen und Sängers Ali Farka Touré, heute besprochen in Pitchfork. "Der vielleicht wichtigste Gast auf 'Voyageur' ist der Sänger und langjährige Touré-Kollege Oumou Sangaré, dessen drei Auftritte zu den Höhepunkten des Albums gehören", schreibt Megan Iacobini de Fazio.

Ein Auszug:



Besprochen werden sonst noch ein Album des Rappers Logic (SZ), Albrecht Dümlings Buch über die "Weintraub Syncopators" ("die zweite international erfolgreiche Musikergruppe aus dem Berlin der Zwanzigerjahre", erläutert Harald Eggebrecht in der SZ)

Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.03.2023 - Musik

Für die taz porträtiert Stephanie Grimm die japanische Musikerin Phew, die man gut und gerne als Urgestein der japanischen Punk- und Underground-Szene bezeichnen kann. Eben wurde ihr 1992 in Köln gemeinsam mit Jaki Liebezeit von Can und Chrislo Haas (um 1980 kurzzeitig bei DAF) aufgenommenes Album "Our Likeness" wiederveröffentlicht. Anekdoten konnte Grimm der Musikerin allerdings kaum entlocken. "Die Gegenwart ihres Musikschaffens interessiert Phew mehr. Sie lebt inzwischen am Rande der Metropole Tokio und schwört auf den Spirit der Independentszene. Dass es in Japan kaum Unterstützung für experimentelle Musiker:innen gibt, sieht sie eher positiv. Auch im fünften Jahrzehnt ihres Musikschaffens feiert sie den DIY-Ethos von Punk, ohne Ermüdungserscheinungen." Auf dem eben wiederveröffentlichten Album "steht jeder Song für sich: der schleppende Groove von 'Depth of the Forehead', bei dem sie den schneidenden Drive der Gitarre mit dem Gesang bremst. Die klackerige Kakophonie von 'Our Element'. Der luftige Überschwang des Titelsongs." Für Pitchfork rezensierte Matthew Blackwell die Wiederveröffentlichung.



Außerdem: Daniel Ender wirft für den Standard einen kurzen Blick auf die Feierlichkeiten des Wiener Arnold Schönberg Centers zum 25-jährigen Bestehen. Für die SZ porträtiert Jakob Biazza die auf TikTok groß gewordene Sängerin Nina Chuba.

Besprochen werden das Album "Les Cadences du Monde" des Louis Sclavis Quartetts (FR), der Auftritt der Prinzen in Berlin (BLZ), das neue Album von U2 ("das Dokument einer Selbstüberschätzung", winkt Andrian Kreye in der SZ ab) und die Schubert-Aufnahmen des zwischenzeitlich verstorbenen Pianisten Lars Vogt (Welt).

Stichwörter: Japanische Musik, Phew

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.03.2023 - Musik

Sonja Matuszczyk staunt auf ZeitOnline nicht schlecht über die Häutungen des Musikers Yves Tumor, der einst mit elektronischer Musik begann und heute bei einer zeitgemäßen Interpretation von Glam- bis Schweinerock angekommen ist - wenngleich "natürlich zu seinen Bedingungen, nicht denen des tendenziell reaktionären Genres. 'Heaven Surrounds Us Like a Hood' heißt ein Song des Albums, dessen Intro an die Band Hawkwind erinnert. Tumor singt dazu schaurig-absurde Zeilen im Falsett, überlässt das Stück jedoch schnell einem Kräftemessen zwischen Gitarre und Schlagzeug. Hier untersucht Tumor die Grenzen der Rockmusik, an anderer Stelle von 'Praise a Lord' tut er das Gleiche mit seiner eigenen Stimme. Vor allem in der zweiten Hälfte des Albums gleitet er durch höchstmögliche Register, schnippt Vokale weg wie aufgerauchte Zigaretten und verätzt einem den Gehörgang. Die zahlreichen Frauenstimmen, die in Duetten oder im Chor mit Tumor erklingen, bringen die Sehnsucht des Künstlers nach dem anderen in sich selbst zum Ausdruck, nach der Überwindung körperlicher Grenzen, die auch schon in Tumors elektronischer Musik ein Thema war."



Außerdem: Dagmar Leischow spricht in der taz mit Jane Birkin, deren geplante Deutschlandkonzerte allerdings in letzter Sekunde abgesagt wurden. Ueli Bernays sieht sich für die NZZ in der jamaikanischen Musikszene um: Bob Marley - oder schlicht: "Bob", wie ihn dort alle nennen - wird in Kingston weiterhin kultisch verehrt, berichtet er. Außerdem sprach er mit dem Dancehall-Sänger Tony Rebel, der sein Genre, in dem es mit den berüchtigten Battyman-Songs eine offen homophobe Traditionslinie gibt, durch die queere Aktivisten zu Unrecht verunglimpft findet. Nadine Lange freut sich im Tagesspiegel, dass die Unesco die Heidelberger Hiphop-Kultur, die seinerzeit Deutschrap entscheidend mit auf den Weg gebracht hat, als immaterielles Kulturerbe anerkannt hat. Christiane Wiesenfeldt erinnert in der FAZ an den vor 150 Jahren geborenen Komponisten Max Reger.

Besprochen werden Lakecia Benjamins Album "Phoenix" (Standard, mehr dazu bereits hier), das neue Album von Trettmann (ZeitOnline), ein Berliner Auftritt von Wanda (BLZ), Malondas Debütalbum "Mein Herz ist ein dunkler Kontinent" (Tsp) und das neue Album von Depeche Mode (Tsp).

Stichwörter: Tumor, Yves

Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.03.2023 - Musik

Gespannt verfolgt tazlerin Gloria Reményi, wie die gestandenen italienischen Undergroundmusikerinnen Francesca Bono und Vittoria Burattini sich auf ihrem Album "Suono in un tempo trasfigurato" erst in die experimentellen Soundwelten der italienischen Library-Music der Sechziger und Siebziger versenken und mit einem Soundtrack für die Experimentalfilme von Maya Deren wieder auftauchen. Die "rituelle, gar obsessive Wiederholung von soghaften Klangmustern erscheint als musikalische Übersetzung der assoziativen und doch minutiös choreografierten Bewegungen von Derens Filmfiguren." Dabei "machen sich Bono und Burattini die Fähigkeit der US-Filmemacherin zu eigen, eine Begrenzung in ein Sprungbrett zu verwandeln. Denn die minimalistische Instrumentierung ermöglicht es ihnen, reduzierte Klangwelten zu entwerfen und deren Resonanzräume elegant auszuloten - genau wie Deren auf eine leicht zu bedienende 16-mm-Handkamera setzte, um den filmischen Raum dynamisch zu erkunden und die sich darin bewegenden, oft tanzenden Körper einzufangen."



Die Sleaford Mods, "die vielleicht wütendste Band" Großbritanniens, meldet sich mit "UK Grim" zur Freude von tazler Jens Uthoff auf dem Parkett zurück und einmal mehr gelingt es den beiden Musikern mustergültig, "den Status quo Englands zu filetieren", zumal schon der Albumtitel "eine treffende Epochenbeschreibung für zukünftige Historiker werden könnte." Aufs Neue "liefert Fearn stumpfe Beats und garniert sie mit minimalistischen Samples, Williamson rattert dazu seine atemlosen Rants: Ein tiefes Motzen gegen die soziale Schieflage. ... In ihrem unversöhnlichen Brodeln ähneln die Mods von Ferne den Goldenen Zitronen in Deutschland: Man muss nur ein Album dieser Bands hören und bekommt einen guten Eindruck davon, was faul ist im Staate."



FAZlerin Kerstin Holm lässt sich von dem mittlerweile in Deutschland lebenden Musiker Vasiliy Antipov über die bedrückenden Gewaltverhältnisse in belarussischen Gefängnissen erzählen, die er als Dissident über sich ergehen lassen musste, die er aber auch mit einem beeindruckenden Maß an Straßen-Cleverness durchstand. Eine Symphonie komponierte er in der Haft auch: "Es ist ein filmmusikalisches Orchesterstück, das mit schillernden Streicherflächen, strengem Fugato und dräuenden Clustern die Hafterfahrung sublimiert und von der Düsseldorfer Neuen Philharmonie uraufgeführt werden soll. Vogelgleiche Flötenmelismen klingen wie eine Hommage an seine Frau, die Flötistin Asia Safikhanova, deren titanischem Einsatz - und der Mithilfe zahlreicher engagierter Menschen in Deutschland, Belarus und Russland - Antipov seine Freiheit verdankt."

Weitere Artikel: "Für einen Akt der Bevormundung" des Publikums hält es Michael Hesse im FR-Kommentar, sollte die Frankfurter Politik das Roger-Waters-Konzert tatsächlich unterbinden. In Berlin, wo Waters in der komplett privat geführten Mehrzweckhalle am Ostbahnhof auftreten wird, hat die Politik indessen ohnehin keinen Hebel, kommentiert Christian Schröder im Tagesspiegel: "Hier wäre die beste Lösung, dass einfach niemand hingeht." Überhaupt, was diese Mehrzweckhalle betrifft: Konstantin Nowotny ärgert sich im Freitag darüber, dass immer mehr Konzerthallen nach Konzernen benannt sind. Wolfgang Schreiber (SZ) und Frederik Hanssen (Tsp+) blicken auf das Programm der neuen MaerzMusik-Leiterin Kamila Metwaly. Livia Sarai Lergenmüller besucht den Rapper Pöbel MC für den Tagesspiegel in dessen Studio. Birgit Schmid denkt in der NZZ über Roland Kaiser und dessen mitunter tiefenschmierigen Texte nach. Im Standard porträtiert Karl Fluch den Teenie-Star Nina Chuba. Elmar Krekeler erinnert in der Welt an den Musikgelehrten Johann Georg Pisendel, der das Berufsbild des Konzertmeisters prägte, wenn nicht gar erfand.

Besprochen werden Robbie Williams' Auftritt in Wien (Standard), ein Konzert der Wiener Symphoniker und Lorenzo Viotti (Standard), das neue Album von Miley Cyrus (taz, mehr dazu hier), Depeche Modes neues Album "Memento Mori" (das Album zeigt "eine Intensität und Dringlichkeit, die dieser Band zuletzt kaum noch jemand zugetraut hätte", schreibt Max Dax in der Welt) und Lonnie Holleys neues Album "Oh Me Oh My" ("ein Album des Jahres", ruft Christian Schachinger im Standard).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.03.2023 - Musik

Im Standard-Interview verschafft RSO-Wien-Chefdirigentin Marin Alsop ihrem Ärger darüber Raum, dass der ORF sich aus der Finanzierung seines Orchesters zurückziehen will: "Das hier ist nicht Texas! Das ist Österreich, das ist Wien, eine Stadt der Musik und eine Stadt, die mit dieser Musik viel Geld verdient! Sie ist ein Magnet für die Leute. Als Botschaft zu senden, dass das einzige Radioorchester des Landes eliminiert wird, das über 40 Prozent Frauen beschäftigt, ist doch schrecklich. International sind die Leute geschockt, dass das gerade hier passieren könnte."

Weitere Artikel: Für die taz wirft Tim Caspar Boehme einen Blick ins Programm der Berliner MaerzMusik. Im VAN-Interview spricht Robin Ticciati über seine Arbeit für das Festival "Music and Healing". Ueli Bernays unterhält sich für die NZZ mit dem Schlagzeuger Jojo Mayer. Tobi Müller tut sich im ZeitOnline-Kommentar zu Roger Waters Rangeleien mit den Behörden, die seine Konzerte absagen lassen wollen (mehr dazu in der SZ), sichtlich schwer, überall dort, wo Antisemitismus vorgeworfen wird, überhaupt Antisemitismus zu erkennen. Die BBC-Sparpläne mit ihren empfindlichen Einschnitten bei den Orchestern (unser Resümee), sind nach dem Brexit ein zweiter, herber Schlag gegen "alle klassischen Musikschaffenden", schreibt Manuel Brug in der Welt. Queen-Gitarrist Brian May wurde von König Karl zum Ritter geschlagen, meldet Karl Fluch im Standard.  Die beiden Musikwissenschaftlerinnen Tetiana Tuchynska und Melanie Wald-Fuhrmann werfen für die FAZ einen Blick darauf, welche Musik die Menschen in der Ukraine hervorbringen, um ihre Erfahrungen zu verarbeiten und einander Trost zu spenden. Helmut Mauró porträtiert in den SZ den ungarischen Nachwuchspianisten Misi Boros, der schon mit 12 Jahren 80 Konzerte in einem Jahr spielte: "Er ist derzeit das Gesicht des Landes nicht nur für klassische Musik, sondern für die Vision einer strahlenden Zukunft". Hier Eindrücke von den Aufnahmen seines aktuellen Albums:



Besprochen werden die Autobiografie der Folksängerin Barbara Dane (taz)  und Miley Cyrus' neues Album "Endless Summer Vacation" (NZZ, mehr dazu hier).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.03.2023 - Musik

Was der ORF kann, kann auch die BBC: an der Kultur sparen und Orchester eindampfen. Von "kläglich gehandhabten Sparmaßnahmen bei der klassischen Musik" spricht Gina Thomas in der FAZ mit Blick darauf, dass mit den BBC Singers der "einzige professionelle Vollzeit-Chor des Landes" komplett eingestrichen und darüber hinaus die Zahl der fest angestellten Musiker bei den drei BBC-Orchestern um 20 Prozent reduziert werden soll. "Die Auswirkungen sind allein wegen des Vorbildcharakters unermesslich, wie namhafte Komponisten, Dirigenten, Musiker und Fachleute aus aller Welt in ihren Protestschreiben gegen den 'kulturellen Vandalismus' unterstreichen. Im Beamten-Jargon behauptet die BBC mit ihrer neuen 'Strategie', 'Qualität, Agilität und Wirkung' priorisieren und die öffentliche Mission des Senders auf dem Gebiet der klassischen Musik kräftigen zu wollen. Die vage Ankündigung, das gesparte Geld, das sich möglicherweise auf weniger beläuft als Linekers Gage von rund 1,35 Millionen Pfund im Jahr, teilweise in Bildungszwecke zu investieren, wird als hohle Beschwichtigung empfunden. Sie hat im Zusammenhang mit den radikalen Kürzungen der staatlichen Subventionierung des als elitär gebrandmarkten klassischen Musikbetriebs außerdem die Frage aufgeworfen, was diese Ausbildung bezwecken soll, wenn die Möglichkeiten zur Ausführung eines Musikerberufes derart schrumpfen."

Außerdem: Britische Musiker unterstützen Roger Waters, dessen Frankfurter Konzert die Politik verbieten lassen will, meldet die FAZ. Außerdem will Waters gegen Auftrittsverbote klagen, meldet der Tagesspiegel. Besprochen wird eine von Johannes Kalitzke dirigierte Aufführung von Chaya Czernowins "The Fabrication of Light" in Wien (Standard).
Stichwörter: Bbc, Klassik, Orf, Waters, Roger

Efeu - Die Kulturrundschau vom 14.03.2023 - Musik

Standard-Popkritiker Karl Fluch schmachtet glücksversonnen, als er sich die eben erschienene Box mit dem gesammelten gemeinsamen Werk von Burt Bacharach und Elvis Costello anhört: Bacharachs eh immer viel zu leichtfertig verschmähte Easy-Listening-Sound wird hier durch Costello noch zusätzlich veredelt. "Costello wusste um die Tiefe von Bacharachs Werk, um die Raffinesse seines so leicht wirkenden Spiels. Mit 'In the Darkest Place' öffnen sie eine Tür zu einer Welt, mit der viele zuvor nicht in Berührung kommen wollten. Costello erweist sich in der Konfiguration als souveräner Guide, dessen Begeisterung für Bacharach sich in prächtigen Gesangsleistungen niederschlägt, während Burt an den Tasten zaubert. Ein geschmackssicher eingesetzter Damenchor würzt da und dort die Songs, sanfte Streicher umsorgen Geschichten von amouröser Unruhe. Diese Lieder erinnern an das alte Hollywood, sie sind so dramatisch wie elegant, versiert in großen Gesten, verliebt in die Details, große kleine Erzählungen."



Axel Brüggemann meldet auf Twitter, dass der Bayerische Rundfunk die Fernsehsendung "KlickKlack" einstellt - es war die letzte verbliebene Klassiksendung in der ARD, die sich bekanntlich gerne mit Kultur schmückt, wenn es um die Rechtfertigung des Gebührenbeitrags geht, dafür aber offenbar immer weniger gern auch tatsächlich Geld in die Hand nimmt. In Brüggemanns Crescendo-Newsletter vom Montag war die Einstellung der Sendung noch ein kursierendes Gerücht. Darin schrieb er treffend: "Radio-Orchester müssen sich nicht wundern, wenn sie immer wieder zur Disposition gestellt werden, wenn es das Fernsehen nicht schafft, der Klassik Räume zu geben."

Weiteres: In der FAZ gratuliert Wolfgang Sandner Quincy Jones zum 90. Geburtstag. Besprochen werden Ulrich Gutmairs Buch "Wir sind die Türken von morgen" über die Neue Deutsche Welle (FAZ), das neue Album von Fever Ray (Standard) und weitere neue Popalben, darunter "UK Grim" der Sleaford Mords ("Schlechte Laune, stur vorgetragen", schreibt Karl Fluch im Standard, "Musik zur Zeit, ein Arschtritt für den Brexit und seine Fürsprecher, die jetzt in leere Gemüseregale starren"). Hier das angenehm angepisste Titelstück: