Magazinrundschau - Archiv

El Cultural

2 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 22.11.2022 - El Cultural

Soziale Medien dienen ausschließlich der sozialen Kontrolle und Frauen sollten ihrem Bauchgefühl trauen. Das meint im Interview mit El Cultural die spanische Schriftstellerin Cristina Morales. Die einstige Hausbesetzerin gehört zu den wichtigsten jungen Literaturstimmen Spaniens. Dass soziale Medien und insbesondere Dating Apps immer noch für ein Instrument der Befreiung gehalten werden, ist ihr absolut unverständlich: "Es gibt Leute, die argumentieren, Apps seien emanzipatorisch für bestimmte dissidente Persönlichkeiten oder nicht-kanonische Physiker, die es noch nie leicht hatten, Sex zu haben. Aber ich kann diesem Diskurs nicht zustimmen, weil Apps die Menschen, die sie nutzen, typisieren. Abgesehen davon, dass die Spontaneität flöten geht, führen sie dazu, dass man in eine Schublade gesteckt wird. Das verfestigt den Kanon, von dem man sich eigentlich befreien sollte. Ich ermutige jeden, diese Dating-Apps loszuwerden, denn so fickt man nicht, oder man fickt schlecht, mit weniger Geschmack, und man schaut dabei ständig auf sein Handy." Als der Interviewer ihr erzählt, dass Pasolini einst meinte, zu viel sexuelle Freiheit würde uns zu Terroristen machen würde, weil wir den Körper des anderen nur noch als Konsumgut sähen, muss Morales lachen. "Wie lustig, Pasolini... Ich erinnere mich, dass er irgendwo geschrieben hat, es wäre unmöglich gewesen zu ficken, als er mit Terenci Moix zusammen war, dass er kein Liebhaber war, sondern eine Bibliothek [lacht]. Ich denke, dass es in der Gesellschaft, in der wir leben, nicht so viel sexuellen Überfluss gibt, dass er eine Gefahr darstellt. Im Gegenteil: Wir leben in Knappheit und sexueller Unterdrückung, und deshalb ficken wir so schlecht, so materialistisch, weil es eine absolute Ignoranz gegenüber dem anderen gibt. Ich würde mir gerne Sorgen um diesen Überfluss machen, auf den Pasolini hinweist, aber im Moment sind wir noch weit davon entfernt."

Magazinrundschau vom 19.04.2004 - El Cultural

Knapp ein Monat nach der Veröffentlichung in Portugal erscheint das neue Buch von Jose Saramago, "Ensaio sobre a lucidez" (Essay über die Klarheit) nun auch auf Spanisch. Der Literatur-Nobelpreisträger malt sich aus, was passieren würde, wenn bei einer Wahl alle Bürger plötzlich leere Stimmzettel abgäben. "Wir leben in einer Schein-Demokratie, in der sich die politische der wirtschaftlichen Macht unterordnet oder einfach nur ihre Komplizin ist, während der resignierte Bürger sich auf seine Rolle als Wähler beschränkt", erklärt Saramago in einem Interview mit El Cultural, der Kulturbeilage der spanischen Tageszeitung El Mundo. Mit seinem Buch trete er allerdings keineswegs für leere Stimmzettel ein. "Ich zeige nur eine Möglichkeit auf und beschreibe die Konsequenzen". Alles andere stünde dem strammen Kommunisten auch nicht gut zu Gesicht: immerhin ist er Kandidat eines Linskbündnisses für die anstehenden Europawahlen.

Norberto Fuentes dürfte mit Saramagos Parolen nur wenig anfangen können. Der seit 1991 im US-amerikanischen Exil lebende kubanische Schriftsteller - vom Spiegel einmal "Rächer der Erschossenen" genannt- hat ein bemerkenswertes Projekt in Angriff genommen: so zu tun, als sei er Fidel Castro, der seine Memoiren schreibt. Der erste Band dieser fiktiven Erinnerungen erscheint nun in Spanien, und El Cultural veröffentlicht Auszüge: "Meine Feinseligkeit gegenüber den USA wurzelt tief in meiner Psyche. Erstens war mein Vater Soldat unter Valeriano Weyler, und schon der litt an einem tiefen Ressentiment wegen der Niederlage Spaniens gegen die USA ..."

Interessanter ist "Der siebte Tag", der neue Film von Spaniens Regie-Altmeister und Fotograf Carlos Saura. Es geht um eine wahre Begebenheit in einem kleinen Ort in Extremadura, Puerto Hurraco: eine Familienfehde, die 1990 in einem wahren Massaker endete und neun Tote und zwölf Verletzte hinterließ. Ursache waren anscheinend Streitigkeiten um Landbesitz. "Alles Übel und alle Kriege wurzeln in Territorialkonflikten... es gibt da etwas Tierisches im Menschen", meint Saura im Interview. Das Drehbuch schrieb übrigens einer der erfolgreichsten jüngeren Schriftsteller Spaniens, Ray Loriga.

Eine weitere frei zugängliche Beilage von El Mundo ist die sonntags erscheinende "Cronica". Hier werden noch einmal die Terroranschläge des 11. März analysiert. Lesenswert (wenngleich, wie häufig in dieser Zeitung, etwas reißerisch) sind etwa das Tagebuch einer Marrokanerin über den seitdem wachsenden Rassismus im Einwandererviertel Lavapies in Madrid sowie ein Besuch in Marokko bei der Familie eines der vermeintlichen Terroristen.