Für das aktuelle
Heft des Magazin für Literatur und Kunst
schickt Alia Ahmed einen
Brief aus Karatschi, genauer aus
Lyari, dem ältesten und am dichtesten besiedelten Stadtteil: "Ähnlich wie Kibera in Nigeria ist Lyari bekannt als 'Klein-Brasilien', wegen seiner Fußballverrücktheit in einer ansonsten dem Kricket verschriebenen Nation. Lyari ist außerdem Heimat von Karatschis
schwarzer afrikanischer Community, Nachfahren der Sklaven aus dem Oman, die schließlich Teil der lokalen Baloch Community wurden; sie heißen Makranis oder Sheedis. Einige von Lyaris buntesten und lebendigsten Straßen erinnern an ihre Wurzeln: Mombasa Street etwa. Als Obama in die zweite Amtszeit ging, feierten Sheedi ihn mit einem traditionellen afrikanischen Tanz. Während der WM 2018 sah es hier aus wie in einer brasilianischen Favela. Überall waren die brüchigen Wände mit den
brasilianischen Nationalfarben bemalt, brasilianische Fahnen hingen von den Überlandleitungen. Die Spielerkonterfeis prangten auf den Mauern. Auch andere Teams waren präsent, aber vor allem Brasilien. Handgemalte Porträts von Neymar und Messi statt der üblichen politischen Graffiti dekorierten die Mauern. Ronaldinho kam und spielte ein Match. Ich frage mich, ob die Brasilianer wissen,
wie sehr sie geliebt werden an diesem problembehafteten Ende Pakistans, aus dem die besten Fußballer des Landes kommen. Die
Missachtung Lyaris hat eine lange Geschichte. Die Hindu-Händler, die Karatschi noch vor der britischen Herrschaft groß machten, hatten kein Interesse, die arme muslimische Bevölkerung durchzufüttern, ebenso die Kolonisten … Lyari ist ein Mikrokosmos, in dem sich die Hauptfrage Karatschis seit der Unabhängigkeit spiegelt: Wem gehört die Stadt? Benazir Bhutto feierte ihre Hochzeit hier, um die Beziehung der Partei mit dem Viertel zu bekräftigen. Früher mag die Frage mit Messern ausgetragen worden sein, mit den
russischen Waffen aus dem Sowjetisch-Afghanischen Krieg wurde sie immer tödlicher. Seit 09/11 kamen neue Bewerber: Extremisten, entschlossen, die indigenen Formen islamischen und sufistischen Glaubens, ihre Heiligenfiguren und Schreine, zu zerstören."