Atemberaubend, welche Fortschritte
Künstliche Intelligenz im Jahr 2022 in Sachen Ästhetik vollzogen hat - ob nun in der Bildproduktion (
unser Resümee) oder zuletzt auch im Bereich der Sprache. Schon kursieren
Gedichte, die sich zumindest auf den ersten Blick von menschgemachter Lyrik nicht unterscheiden lässt. Kommt damit das große Projekt des Surrealismus - der "Cadavre Exquis", die "ecriture automatique" - an seinen logischen Endpunkt? Oder können Computer gar keine Poesie schaffen? Das sind Fragen, die sich der Psychologe und Dichter Keith J. Holyoak in seinem Essay
stellt. Der Begriff des
Bewusstseins ist dabei für ihn zentral: "Die einzig unstrittige Aussage, die sich über das Bewusstsein fällen lässt, ist die, dass es unter Philosophen, Psychologen, Neurowissenschaftlern und K.I.-Forschern keinen Konsens gibt. Einige Neurowissenschaftlern glauben, dass sie kurz vor dem Durchbruch stehen und eine materielle Beschreibung von Bewusstsein leisten können, und einige K.I.-Forscher glauben, dass Maschinen unausweichlich Bewusstsein erlangen werden - und zwar als emergente Eigenschaft, sobald ein
kritisches Maß an Komplexität erreicht ist. Soweit ich das beurteilen kann (und ich räume gerne ein, dass meine Mittel dafür begrenzt sind), schenke ich diesen Behauptungen keinen Glauben. Das Komplexitätsargument schien vor einem halben Jahrhundert zwar plausibel, als Computer noch in der Wiege lagen. Doch was die Gegenwart betrifft, wagen Sie ein einfaches Gedankenexperiment: Was ist komplexer - das Internet (inklusive jedes einzelnen Computers, der daran angeschlossen ist) oder
das Gehirn eines Frosches? Ich würde sagen, das Internet. Und was hat wohl am wahrscheinlichsten
eine Art inneres Erleben - das Internet oder der Frosch? Ich setze mein Geld auf die Amphibie. ... Auch wenn ich offiziell Agnostiker bleibe, führt mich die Übermacht der Beweislage für den Sinn und Zweck der spezifischen Frage, die uns hier beschäftigt - kann Künstliche Intelligenz authentische Poesie schaffen? - zur Antwort 'nein'. Künstliche Intelligenz hat allem Anschein nach
keinen Zugang zu einer inneren Erfahrung, die für mich (und viele andere) die ultimative Quelle authentischer Poesie ist. Ein wichtiger Folgeschluss dieses Resultats verdient es, ebenfalls erwähnt zu werden: Innere Erfahrung kann nicht als
Rechenprozess definiert werden."