Magazinrundschau - Archiv

Sight & Sound

2 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 01.08.2023 - Sight & Sound

Der frühere Filmkritiker, Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader war immer der Außenseiter unter den Hollywood-Insidern. Darauf, dass die Branche in den letzten ein, zwei Jahrzehnten von ihren Mavericks und Haudegen kaum mehr etwas wissen wollte, hat er gut reagiert: Eingeigelt in einer Nische zwischen Festivals, Streaming, unabhängigen Finanziers und kleinen Kinostarts hat er die letzten sechs Jahre drei Filme gedreht, die eine lose Trilogie formen und in ihrer spröden Form an Schraders Anfänge als Filmtheoretiker über den "transcendental style" zurückführen - eine Form, die er bis dahin (in den Filmen Ozus, Dreyers und Bressons) nur beschrieben, aber in eigenen Werken nicht umgesetzt hat. Nach dem Festivalrun (unser Resümee) erreicht sein aktueller Film "Master Gardener" nun auch die Öffentlichkeit - und um bissige Kommentare ist Schrader auch im Alter nicht verlegen: "Die Krise beschränkt sich nicht allein auf die Filmkritik. Sie ist eine Krise der Filmkultur und umfasst das Publikum, die Finanziers, die Künstler und die Kritiker. Es gab mal eine Zeit, als die Filmkritik aufblühte. Aber das lag daran, dass das Publikum bessere Filme wollte. Es gab da einen Wandel von 'Lass' mal ins Kino gehen' zu 'Komm, wir schauen uns einen Film an'. Wie bekommt man raus, was man sehen will? Man liest! Das machte Filmkritik zu einem intellektuellen Beruf der Elite, geschaffen vom Markt. Als sich dieser Markt und als sich Print wandelte, verging das. Heute gibt es mehr Filmkritiker als jemals zuvor in der Filmgeschichte. Jeder hat ein Blog. Aber nur eine Handvoll kann davon leben und es ist schwierig, dies ein Leben lang aufrecht zu erhalten. Wenn man also über diese vierbeinige Kreatur namens Filmkultur spricht, dann wird ein einzelnes Bein dieses Pferd nicht mehr vom Boden bringen. Die Filmkritik schafft das nicht alleine. Wenn das Publikum mit einem Mal Hunger auf engagiertere Filme bekäme, könnte sich das vielleicht ändern. Als wir in den Sechzigern und Siebzigern durch zahlreiche kulturelle Krisen gingen - der Anti-Militarismus, die Bürgerrechte, Frauenrechte, Schwulenrechte, sexuelle Freiheit - blühten die Filme auf, weil die Leute wissen wollten, was eigentlich gerade los ist. Um was es geht es beim Partnertausch? Darüber gibt es einen Film, 'Bob & Carol & Ted & Alice' von 1969. Aber wenn das Publikum keine wichtigen Filme will - Filme, die, auch wenn sie schlecht sind, wichtige Themen ansprechen -, dann ist es auch schwierig, gute Filme zu drehen."

Magazinrundschau vom 29.11.2022 - Sight & Sound

Das gelbliche Nachtlicht in Los Angeles: Tom Cruise in Michael Manns "Collateral"

Das digitale Kino ist heute Standard. Samuel Wigley erinnert in einem geradezu mitreißenden Stück für die altehrwürdige britische Filmzeitschrift Sight & Sound an dessen Ursprünge in den späten Neunzigern und an dessen Apotheose im heute wohl legendären Cannes-Jahr 2002, als zahlreiche digital produzierte Filme den Wettbewerb stürmten, und wie rasant dieser Kinoumsturz sich vollzogen hat - und auch daran, dass es ein sonderbares Bündnis aus Blockbuster (George Lucas' zweiter Teil seiner zweiten "Star Wars"-Trilogie) und randständigem Autorenkino war, dass damals die Lücke zwischen digitaler Postproduktion und analoger Filmproduktion schloss. Und er notiert auch, dass die Anfänge des digitalen Kinos keine heroischen sind, die heute von Filmhistorikern hoch gehalten wird - zu hässlich sind die ersten digitalen Jahrgänge heute anzusehen, als dass sich Kinematheken, Streamer und BluRay-Labels darum reißen würden, diese ersten Gehversuche wirklich lebendig zu halten. Ein Pionier des digitalen Kinos zumindest der zweiten Generation war Michael Mann, der in den Nullerjahren daran arbeitete, das Spezifische einer digitalen Kinoästhetik herauszuarbeiten, wie er selbst erzählt: "Es gab da eine einzigartige Qualität, die mich zum Digitalen zog, und das war die Glaubwürdigkeit. Man glaubt einfach, was man sieht - man ist einfach viel intensiver im Geschehen. Das hat etwas von einem wahrhaftigen Stil. ... Mit 'Collateral' erreichte die digitale Produktion für mich ihren vollen Ausdruckswert, denn der Film spielte in einer einzigen Nacht in Los Angeles. Ich wollte L.A. bei Nacht so sehen, wie man die Stadt auch mit dem blanken Auge sehen würde. In den Wintermonaten legt sich ab zehn, elf Uhr Nacht ein Schimmer wie ein Meer über alles. Die gelben Natriumdampf-Straßenlampen reflektieren von den niedrig hängenden Wolken, dadurch entsteht eine weiche Illumination. Das auf Analogfilm einzufangen, ist schier unmöglich - und daraus wurde eine eigene Ästhetik. Und diese Ästhetik entspringt direkt ihrer Technologie. Es geht nicht darum, eine Technologie zu nehmen und damit eine ältere zu imitieren."