Vom Nachttisch geräumt
Schon wieder nichts als Abendland
Von Arno Widmann
20.11.2018. Die schönsten Bibliotheken der Welt, verspricht uns der Taschen Verlag mit einem opulenten Bildband von Massimo Listri. Aber die Welt ist so viel größer als hier gezeigt.
Ich las den Band erst nicht, sondern blätterte ihn durch. Notierte mir, wie langweilig all diese unbenutzten prächtigen Barocksäle aussahen und wie abstoßend die Gitter vor den Büchern wirkten. Präsenzbibliotheken, die nur noch zum Anschauen da zu sein schienen. Eine schöne Bibliothek ist in meinen Augen, dachte ich, eine Bibliothek, in der Menschen nicht nur sitzen und lesen und schreiben, sondern in der sie nach Büchern suchen. Ohne Leben gibt es, schoss mir durch den Kopf, keine Schönheit. Was auf dem schweren Glanzpapier dieses Buches festgehalten wird, sind die geschminkten Leichname von Bibliotheken.

Aber als ich las, dass Giambattista Vico in dieser Bibliothek seine "Scienza Nuova" schrieb, da sah ich den Tisch, an den ich mich hatte setzen wollen, mit ganz anderen Augen. Aber der Tisch stammt nicht aus dem 18. Jahrhundert. Er ist jüngeren Datums. An ihm ist nicht die "Die neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker" entstanden, einem Buch, das man als die Gründungsurkunde der Soziologie betrachten könnte. Aber irgendwo hier saß der Mann, der seiner Zeit so weit voraus war, dass sie ihn übersah.
Superlative sind außerhalb des Sports fast immer unsinnig. "Die schönsten Bibliotheken der Welt" ist dagegen einfach gelogen. 17 der 55 stehen in Italien, acht in Deutschland und sieben in Österreich, fünf in Frankreich. England ist gerade mal mit zwei Bibliotheken vertreten, die USA mit einer. Es handelt sich ausschließlich um Bibliotheken der westlichen Welt. Die Bibliotheken der islamischen Welt, die Indiens und Chinas, Japans und Koreas kommen nicht vor. Die Welt - das ist mal wieder das christliche Abendland. Viele der im Buch gezeigten Bibliotheken waren sogenannte Universalbibliotheken. Das Buch bietet, trotz der prachtvollen Aufnahmen Massimo Listris, nicht, was der Titel verspricht, sondern eine gerade mal eine Provinzposse des Themas.
Massimo Listri: Die schönsten Bibliotheken der Welt, Taschen Verlag, Texte in Englisch, Deutsch und Französisch von Georg Ruppel und Elisabeth Sladek, 29 x 39,5 cm, 560 Seiten, mit zahlreichen vierfarbigen Aufnahmen, 150 Euro.
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