Vorworte

Eine Gottesanbeterin und ein Eisberg

Über Bücher, die kommen. Von Angela Schader
06.08.2021. Julia Strachey, die Nichte von Lytton Strachey, war ein genialer Faulpelz. Nur zwei Romane hat sie hinterlassen. "Heiteres Wetter zur Hochzeit" lässt sie von giftigen Windböen aufstören und demontiert zugleich die Aussicht auf Dollys künftiges Eheglück mit einer Ökonomie, die zugleich lachen und schaudern macht.
Regelmäßig schreibt die Literaturkitikerin Angela Schader für den Perlentaucher "Vorworte" für Bücher, die kommen, und denen sie den größten Erfolg wünscht. Julia Stracheys "Heiteres Wetter" erscheint am 18. August. Wir danken dem Dörlemenn Verlag für die Leseprobe. D. Red.
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Julia Strachey. Porträt von Dora Carrington.

Satin, Torte, Kirchenglocken: der schönste Tag im Leben? Na danke. In Julia Stracheys Roman "Heiteres Wetter zur Hochzeit" liest man's etwas anders. Und fragt sich nebenher, warum die Autorin dieses kleinen Juwels nur gerade zwei Bücher hinterlassen hat. Wir suchen nach den Gründen und stellen den Kurzroman, der am 18. August erscheint, mit einer Leseprobe vor.

Was für ein Wunderwerk, dieser Schleier. Duftige weiße Wogen, mit zarten Dessins durchwirkt, so üppig bemessen, dass das Zimmer der Braut darin zu versinken droht. Ein Hochzeitstraum - oder fast schon ein Albtraum? Jedenfalls ist der Blick ins Boudoir ein Kontrastprogramm zum topfnüchternen Vortrab, der Julia Stracheys Roman "Heiteres Wetter zur Hochzeit" eröffnet. Dort geht es Schlag auf Schlag. Datum, Namen und Alter der Brautleute, Erwähnung der Verlobungszeit, die so kurz war wie der Schleier lang: gerade einmal vier Wochen. Der dürre Ton lässt nicht darauf schließen, dass Leidenschaft das Paar zum Altar getrieben hat.

Aber wer ist eigentlich diese Schriftstellerin mit dem zugleich unbekannt und vertraut klingenden Namen? Strachey, das hat Glanz und Gewicht: Lytton Strachey war Mitbegründer der Bloomsbury Group, ein hochgeschätzter Autor, befreundet mit Virginia und Leonard Woolf, John Maynard Keynes, der Malerin Dora Carrington. Von Julia, seiner Nichte, weiß man hierzulande so gut wie nichts. Schauen wir also, was der schmale Roman über sie verrät, den der Dörlemann Verlag nun erstmals in deutscher Übersetzung herausbringt.

Erstens: Da ist eine, die mit Worten malen kann. Die eine künstlerische Lust hat an Farbe und Licht, an der großen Perspektive wie am exakt ausgeführten Detail. Stimmt: Bevor sie zu schreiben begann, hatte Julia Strachey an der Londoner Slade School of Fine Art eine Ausbildung als Werbegrafikerin absolviert, konnte jedoch mit ihren unkonventionellen Ideen und ihrer laxen Arbeitsmoral in diesem Metier nie Fuss fassen. Das Interesse an der bildenden Kunst aber war von Dauer, in erster Ehe war sie mit einem Bildhauer, in zweiter mit einem Maler verheiratet.

Zweitens: Das Buch untersteht der klassischen Form des Dramas, wahrt die Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Auch die Leseerfahrung passt - man blickt in wechselnde Salons und Zimmer, die sich wie Guckkastenbühnen öffnen. Da wird mit starkem szenischem Gefühl geschrieben, am Schnittpunkt von Tableau und Theater. Tatsächlich wäre Strachey gern als Dramatikerin an die Öffentlichkeit getreten. Sie besuchte eine Theaterschule, um Einblick ins Metier zu gewinnen, laborierte lange an einem Stück, das aber nie Bühnenreife erreichte. Kein Wunder: Unter anderem hätten darin eine Gottesanbeterin und ein Eisberg auftreten sollen.

Drittens: Absurdität, Komik und sardonischer Witz sind der Sauerstoff, den das Buch atmet. Julia Stracheys Gesellschaft muss ein königliches Vergnügen gewesen sein, jedenfalls für diejenigen, die vor ihrem scharfen Auge bestehen konnten. Das trifft zu - ebenso sehr wie das Gegenteil. Die Brillanz und der Charme, über die Strachey verfügt haben muss, lassen sich nicht zuletzt daran ermessen, wie viel diejenigen, die sie liebten, sich von ihr zumuten ließen.

Viertens: Der vergnügliche Ritt führt über dünnes Eis. Strachey hat auch ein Spektrum grauer und dumpfer Töne auf ihrer Palette, dank dem sie mit einem Pinselstrich einen Abgrund andeuten kann; die Figuren allerdings wachsen dennoch keinen Millimeter über ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten hinaus. Dieser Schatten der Unerlöstheit, des Versagens, der sich, heiteres Wetter hin oder her, in den Roman schiebt: Er ist das Signum der Autorin, er hat über weite Strecken ihr Leben bestimmt.

Dieses Leben wird im Nachwort zumindest punktuell beleuchtet. Wer die von Julia Stracheys langjähriger Freundin Frances Partridge verfasste Würdigung als etwas sprunghaft empfindet, sich an den vielen Selbstzitaten der Verfasserin stört, möge auch ein Auge auf die Jahreszahlen werfen: Partridge zählte über hundert Jahre, als sie den Text 2002 für eine Neuauflage des Romans bei Persephone Books aufsetzte. Doch sie war prädestiniert für diese Aufgabe, denn was wir über Julia Strachey wissen, verdankt sich dem Lebensbild, das Partridge aus autobiografischen Aufzeichnungen der Schriftstellerin, aus Briefen, Tagebucheinträgen und aus eigenen Erinnerungen und Kommentaren zusammengestellt hat ("Julia. A Portrait by Herself & Frances Partridge", London 1983).

Die Mädchen lernten sich kennen, als Julia acht, Frances neun Jahre zählte. Julia, 1901 in Nordindien geboren, war damals bereits aus dem Paradies der Kindheit vertrieben: Als solches schildert sie in einem ihrer autobiografischen Texte das Elternhaus in Allahabad, wo ihr Vater, Oliver Strachey, für die East Indian Company tätig war. Den musikalisch begabten Papa habe sie angebetet, die hübsche Mutter aus tiefstem Herzen geliebt, schreibt Strachey; diese starken Gefühle und der bunte indische Alltag bewahrten das Kind davor, die zunehmende Zerrüttung der elterlichen Ehe zu erkennen. Mit knapp sechs Jahren wurde Julia nach England geschickt, um dort die Schule zu besuchen; sie ahnte nicht, dass es ein Abschied für immer sein sollte. Als sie acht war, ließen sich ihre Eltern scheiden, weder Vater noch Mutter waren danach bereit, ihr ein Heim zu geben.

Diesem ersten Existenzbruch folgten in den Jahren, die Julia unter der Obhut von Verwandten verbrachte, weitere Zurückweisungen; sie prägten sie lebenslang und wirkten auch in ihrem erratischen Verhalten gegenüber anderen fort. So erfrischend und bereichernd ihre Freundschaft sein konnte, so herb war die Kehrseite, wenn sie ihre Missstimmungen hemmungslos auslebte; auch Frances Partridge, die mit ihrer Loyalität und Gastfreundschaft der Schriftstellerin über Jahrzehnte einen sicheren Ankerpunkt bot, bekam den einen und anderen sehr bitteren Kelch zu kosten.

Das Gefühl der Wurzellosigkeit und die daraus herrührende Anfälligkeit für Depressionen waren wohl der Hauptgrund, dass Julia Strachey ihre Begabungen nicht auszuschöpfen vermochte. Nur gerade zwei schmale Romane hat sie veröffentlicht, "Cheerful Weather for the Wedding" (1932) und "The Man on the Pier" (1951, später unter dem Titel "An Integrated Man" neu aufgelegt); daneben Erzählungen, autobiografische Skizzen und Rezensionen, die oft in renommierten Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Partridge führt weitere Ursachen für die Schreibblockaden der Freundin an. Da waren die hohen Anforderungen, die Julia an sich stellte, die aber nicht von der nötigen Selbstdisziplin untermauert waren: "Wenn ihr die Umstände zu viel wurden, warf sie alles hin und verfolgte gar keine Ansprüche mehr." Und da war offenbar auch ein Verlangen nach Komfort und Bequemlichkeit, das sich schlecht mit der Existenz einer freischaffenden Künstlerin vertrug. Schon als Werbezeichnerin, liest man in Stracheys Erinnerungen, spielte sie lieber Ragtime auf dem Mietklavier, blätterte in der Vogue und dachte über ihre Liebesaffären nach, als den wenigen Aufträgen nachzukommen, die sie an Land ziehen konnte.

Halt gaben ihr die Freundschaft mit Frances Partridge und deren Mann Ralph, und - nach der ersten, zunehmend destruktiven Ehe - ihr zweiter Gatte, der Maler . Aber immer wieder einmal brach der Boden ein, was sich auch in den Tagebüchern niederschlägt. Im Sommer 1933 etwa besucht Julia mit einem Freund ein desolates Haus; nur ein dünner Lichtstrahl fällt trüb und matt durchs schmutzige Oberlicht fünf Stockwerke tief ins Treppenhaus, Staub hängt in "wolkigen Säulen" in der Luft "Der Ort war tot, abgeschieden wie der Grund einer Höhle. (Das ist die Metapher, die meinem Gefühl nach zu meinem Leben passt)", notiert sie anschließend. Und im Mai 1940, als Julia und Lawrence Gowing vor dem drohenden Krieg ins Landhaus der Partridges flüchten, überfällt sie an einem warmen, geselligen Abend unvermittelt dieselbe Stimmung: "Wie so oft fühlte ich mich, als sei ich in einen Brunnen gestürzt und die sommerlichen Bäume regten sich weit oben, in ungreifbarer Ferne."

Genau diese Fallhöhe ist, als irritierende Latenz, auch ihrem ersten Roman eingeschrieben; nicht umsonst erwähnt Strachey in einem Brief den "phosphoreszierenden" Effekt, den sie mit dem Buch erzeugen wollte. Das titelgebende Wetter ist in diesem Sinn ein wichtiger Akteur: Indem sie das Haus der Thatchams, in dem die Hochzeitsfeier stattfindet, auf ein Kliff an der englischen Küste setzt, kann die Schriftstellerin - die eine passionierte und genaue Naturbeobachterin war - unter sonnigem Himmel giftige Windböen entfesseln, die Räumlichkeiten effektvoll ausleuchten und mit den seltenen Ausblicken ins Freie überraschende Akzente setzen. Einen Höhepunkt markiert diesbezüglich die eingangs erwähnte Boudoir-Szene, mit der wir das Buch in der Leseprobe vorstellen.

Ein literarisches Kabinettstück liefert Strachey aber schon am Anfang des Romans, wo sie den Salon des Hauses und das Gesicht der Braut nicht direkt, sondern mithilfe eines alten, fleckigen und halbblinden Spiegels einfängt. Wie eine Orchidee, "die einsam im halbdunklen Sumpf blüht", wirkt Dolly Thatcham in diesem leprösen Dämmer, der sogar den besonnten Farnen auf dem Fensterbrett ein bösartiges Gepräge verleiht, als "züngelten [sie] mit gespaltenen Zungen". Nicht ohne Raffinement spielt Strachey das Pflanzenmotiv weiter, wenn der Blick erstmals auf Joseph Patten fällt - einen jungen Mann, der, wie sich herausstellen wird, der Braut enger verbunden ist, als es einem Hochzeitsgast geziemt: In einem hinter dem Wintergarten gelegenen Zimmer sitzt er, in das durch !Unmengen von Farnen" gefilterte und gefärbte Licht getaucht, reglos wie eine Statue aus grünem Stein.

Die Haupthandlung, in der sich Dollys Hochzeit mit dem Ehrenwerten Owen Bigham und die Agonie ihrer voraufgehenden Romanze mit Joseph überlagern, ist rudimentär; von weniger berufener Hand kredenzt, wäre eine solche Geschichte ziemlich kalter Kaffee. Aber zum einen forciert und sentimentalisiert Strachey das Motiv der verpassten Liebe nicht. Vielmehr stellt sie es immer wieder infrage und demontiert zugleich die Aussicht auf Dollys künftiges Eheglück mit einer Ökonomie, die zugleich lachen und schaudern macht. Zum andern findet der triste Pas de trois auf ziemlich belebter Bühne statt, wo Verwandte und Dienstboten sich gegenseitig auf die Nerven und über die Füße fallen. Da werden smaragdgrüne Socken zum Anlass für einen psychologischen Kleinkrieg zwischen Dollys Cousins, ein Hochzeitsgeschenk von ästhetisch bedenklicher Qualität heischt Bewunderung, und auch die drei Grazien, das Fest zieren sollten - die Braut, ihre Mutter und ihre Schwester - lassen in punkto Anmut und Würde einiges zu wünschen übrig.

Zu Recht bezeichnete der Schriftsteller und Kritiker Philip Toynbee den Roman als das "leichtere, aber perfektere" von Julia Stracheys Büchern. "The Man on the Pier", erneut eine Dreiecksgeschichte, erzählt von der sexuellen Obsession, mit der ein Mann die Frau seines engsten Freundes verfolgt und dadurch - obwohl er vor dem letzten Schritt zurückscheut - sehenden Auges die eigene Zukunft ruiniert. Diese Entwicklung bettet Strachey in die Milieustudie einer britischen Upper Class, die sich mal zynisch, mal hilflos zwischen der Tradition und den Verwerfungen der Moderne zu arrangieren versucht, und hinterlegt sie mancherorts mit extensiven Naturschilderungen. Aber die gewichtigere Materie und der Umfang des Buches verunmöglichen die Leichthändigkeit, die "Heiteres Wetter" auszeichnete - und damit auch den kaleidoskopischen Effekt, der im früheren Roman disparate Elemente zu einem Ganzen verschmelzen ließ. Stehlen wir uns also für ein paar Minuten ins Ankleidezimmer der Braut: In der kurzen Passage schlägt Julia Strachey alle Register an, von denen ihr poetisch-skurriler Meisterstreich lebt.

Julia Strachey: Heiteres Wetter zur Hochzeit. Roman. Aus dem Englischen von Nicole Seifert, mit einem Nachwort von Frances Partridge. Dörlemann Verlag, Zürich 2021. 159 Seiten, gebunden, 18 Euro. Erscheint am 18. August. Buch beim Verlag. (Bestellen bei eichendorff21.)

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