9punkt - Die Debattenrundschau

Diese Abkopplung der Staatsdiener

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.03.2024. Der Politologe Wolfgang Kraushaar glaubt in der FR nicht, dass die Terroristen der dritten RAF-Generation mehr reden werden als die der zweiten. Der Historiker Volker Weiß erzählt in der SZ, wie die AfD aus den Fehlern anderer rechtsextremer Parteien lernte. Auch die FAZ befasst sich mit rechtsextremen Diskursen - und deren Anleihen aus aktuellen soziologischen Bestsellern.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.03.2024 finden Sie hier

Europa

Die AfD zeigt, dass sie aus den Fehlern anderer rechten Parteien, zum Beispiel den Republikanern lernen kann, erklärt Historiker Volker Weiß in der SZ. So beherzigen sie den Ratschlag des ehemaligen Vorsitzenden der Republikaner Franz Schönhuber: "'Die Lehre für künftige Gründungen müsse lauten: 'Keine Beamten in Spitzenstellungen!' Deren Abhängigkeit vom Dienstherrn führe nur zur Verwässerung radikaler Inhalte. (...) Während in der Gründungsphase häufig Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes an den Spitzen von Landesverbänden und Gremien zu finden waren, sind diese heute in der Minderheit. An die Stelle der Professoren aus der Gründungsphase traten häufig Unternehmensberater mit radikalen Positionen zu Markt und Nation. Mit dieser Abkopplung der Staatsdiener hat sich die AfD heute frühzeitig auf mögliche Behördenmaßnahmen eingestellt und zugleich inhaltlich schärfer ausgerichtet."

Der koalitionsinterne Streit um das "Demokratiefördergesetz" geht weiter. SPD und Grüne wollen damit bestimmte Organisationen der "Zivilgesellschaft" auf Dauer stellen, die FDP ist dagegen. Thorsten Jungholt zitiert in der Welt aus einem Gutachten des Wissenschaflichen Dienstes des Bundestags, das die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Thema generell in Frage stellt. Auch die von SPD und Grünen bemühte "Fürsorgepflicht" verfängt nicht: "Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Jugendhilfe-Urteil die politische Bildung Jugendlicher der öffentlichen Fürsorge zugerechnet. Im Demokratiefördergesetz allerdings geht es um die Bildung Erwachsener. Die Erstreckung der Fürsorgekompetenz auf diesen Bereich habe die Rechtsprechung 'bisher jedoch nicht vorgenommen'."

So sieht es laut Moscow Times am Grab Alexej Nawalnys inzwischen aus:

Die Moscow Times präsentiert auch einige sehr beeindruckende Straßen-Interviews mit Menschen, die das Grab Nawalnys besuchen:

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Ideen

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Christian Geyer liest für die FAZ einige der AfD nahestehende Medien und stößt auf interessante Ergebnisse. So feiert Benedikt Kaiser in der identitären Zeitschrift Die Kehre etwa Steffen Maus "Triggerpunkte", den soziologischen Bestseller der Saison: "Dass der 'rechte Rand' weiterhin großes Wachstumspotenzial zumal auch unter Nichtwählern habe, diese von Mau und seinen zwei Mitarbeitern differenziert dargelegte Beobachtung gelte es 'noch stärker als bisher in den eigenen Analysen zu berücksichtigen', schreibt Kaiser, der seit 2023 vom AfD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt wird. Der Soziologe, auf den der Kanzler hört, findet augenscheinlich auch bei den Identitären Gehör."

Rechte Influencerinnen wie Brittany Sellner, Ehefrau des österreichischen Identitären Martin Sellner, veröffentlichen auf YouTube Videos, in denen sie erklären, "der moderne Feminismus sei schuld an der degenerierten westlichen Kultur", erzählt Birgit Schmid in der NZZ. "Dabei müssen sie sich des Widerspruchs bewusst sein: Sie könnten kaum öffentlich so aktiv sein, wenn sie noch in den 1950er Jahren leben würden. Sie bejahen das reaktionäre Frauenbild der 'tradwife', der traditionellen Ehefrau, die sich ihrem Mann unterordnet und in der Mutterrolle die Bestimmung der Frau sieht. Obwohl viele von ihnen studiert haben, halten sie nichts von Frauen, die Karriere machen. Diese antifeministische Haltung ist nicht ohne Ironie: Brittany Sellner hat schon mehrere Bücher geschrieben. An Ehrgeiz mangelt es ihr nicht."
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Geschichte

Der Historiker Franz Walter versucht in der FAZ eine Ehrenrettung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, das vor hundert Jahren gegründet wurde und in dem sich die demokratischen Parteien der Weimarer Republik gegen die Milizen der Nazis und Kommunistien verteidigten: "Anfang der Dreißigerjahre hatten sich dem Bund bis zu zwei Millionen Mitglieder, vielleicht mehr, angeschlossen, wodurch er mehr Männer vereinte als alle antirepublikanischen Organisationen zusammengenommen." Das Reichsbanner setzte sich unter anderem durch Bildungsarbeit und Kampf gegen Antisemitismus von Rotfront und SA ab: "Die Gefahren des Nationalsozialismus unterschätzte das Reichsbanner nicht, auch wenn dergleichen Urteile bis heute kolportiert werden. Schließlich taten es sich die Mitglieder des Reichsbanners nicht aus Langeweile an, alle paar Tage Dienst in ihrem Verband zu schieben, Schulungsabende auf sich zu nehmen und bei Straßenkämpfen Prügel oder gar Schussverletzungen zu riskieren. Sie wussten schon genau, dass es um das Ganze ging."
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Gesellschaft

Wie lebt man im Untergrund? Markus Wehner unternimmt für die FAZ eine vergleichende Untersuchung der Methoden der NSU-Terroristen und der RAF-Terroristen der dritten Generation. Vieles ist vergleichbar: "Das NSU-Trio, das nur hundert Kilometer von seinem früheren Wohnort untergetaucht war, lebte in dreizehn Jahren der Illegalität in sieben Wohnungen. Eine Lösung fanden sie schließlich, indem sie eine Wohnung von Bekannten übernahmen. Das Unterschlüpfen in bestehende Mietverhältnisse entbindet von Mietverträgen und gefährlichen Fragen, wie sie mit der Abrechnung von Gas, Strom oder der GEZ auftauchen können. Klette wohnte in einer Wohngemeinschaft, wo solche Dinge von Mitbewohnern übernommen werden können."

Im FR-Interview mit Michael Hesse glaubt der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar nicht, dass die Festnahmen von RAF-Mitgliedern der dritten Generation neue Erkenntnisse bringen werden, wie das zum Beispiel bei Mitgliedern der zweiten Generation 1990 funktioniert hat. "Im Unterschied zu ihnen schweigen sich jedoch fast alle anderen RAF-Mitglieder aus und sind gegenüber staatlichen Behörden nicht bereit, irgendwelche Aussagen zu machen. Journalisten gegenüber mögen sie vielleicht hin und wieder eine Ausnahme machen. Ein Mitglied wie Brigitte Mohnhaupt etwa, die einstige Chefin der zweiten Generation, achtet jedoch nur zu genau darauf, dass niemand von ihnen auspackt. Es gibt jedenfalls Presseberichte, in denen geschildert wird, wie Mohnhaupt etwa Verena Becker daran gehindert habe, Aussagen zu machen, indem sie ihr mit verschiedenen Dingen drohte. Das Schweigegebot dürfte vermutlich auch heute noch weiter gelten."
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Kulturpolitik

Sehr vorsichtig hat der spanische Kulturminister Ernest Urtasun vom linksalternativen Wahlbündnis Sumar eine Dekolonisierung der ihm unterstehenden Museen angekündigt, berichtet Rainer Wandler in der taz: "Es gehe darum, 'Räume für den Dialog und Austausch zu schaffen, die es ermöglichen, den kolonialen Rahmen zu überwinden'." Aber die spanische Rechts sträubt sich: "Spanien, das vom 15. bis zum 20. Jahrhundert große Teile von Süd-, Mittel- und Nordamerika sein eigen nannte, hat für die Rechte eine zivilisatorische Funktion übernommen. Das, was Urtasun Kolonien nennt, seien schließlich 'Vizekönigreiche' gewesen, dem Mutterland gleichgestellt. 'Die Menschen, die dort lebten, hatten' - so der Abgeordnete Joaquín Robles López von der rechtsextremen Partei Vox - 'die gleichen Rechte'. Der angebliche Beweis: Spanien habe 27 Universitäten in Lateinamerika eröffnet und Kathedralen gebaut."

Wo das historische Zentrum der Stadt liegt, dürfte selbst den meisten Berlinern nicht so recht klar sein, irgendwo zwischen Stadtschloss, Rotem Rathaus und Molkennmarkt, eine recht zugige Gegend, die man mit seinem Elektrorad möglichst schnell durchquert. Auch Hans Stimmann, ehemaliger Baustadtrat Berlins, der einige Jahre lang hätte Einfluss nehmen können, konstatiert in der FAZ: "So viel ist seit der Konstituierung des Ersten Gesamt-Berliner Abgeordnetenhauses vor 33 Jahren in den Debatten über die Zukunft der Stadtmitte klar geworden: Die Teilung hat im ehemaligen Ost- und Westberlin zu einem Gedächtnis- und Identitätsverlust des historischen Ganzen geführt."
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Internet

Unternehmen könnten bald lieber mit virtuellen Avataren als mit echten Influencern zusammenarbeiten, schreibt Adrian Lobe im Tagesspiegel. Den Vorwurf, Avatare vermittelten ein überhöhtes körperliches Ideal, lässt er indes nicht gelten: "Auch Influencer aus Fleisch und Blut erzeugen eine oberflächliche Scheinwelt und üben mit perfekten Proportionen 'Körperdruck' auf das Publikum aus, das sich beim Anblick der makellosen Körper seltsam unförmig fühlt. Für Schönheitswahn braucht es keine Avatare."
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