Andrzej Leder

Polen im Wachtraum

Die Revolution 1939-1956 und ihre Folgen
Cover: Polen im Wachtraum
fibre Verlag, Osnabrück 2019
ISBN 9783944870632
Gebunden, 256 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Polnischen von Sandra Ewers. Der Warschauer Kulturphilosoph Andrzej Leder analysiert in seinem historischen Essay den Kern der gesellschaftlichen Umwälzungen Ostmitteleuropas zwischen 1939 und 1956: die Ermordung der polnischen Juden im Zweiten Weltkrieg sowie die Zerstörung des Landadels als Folge der nach 1945 aufgezwungenen neuen Gesellschaftsordnung. Leder argumentiert, dass es sich dabei um eine Revolution handelte, die die soziale Struktur der polnischen Gesellschaft grundlegend veränderte. Mit seinem geisteswissenschaftlichen und psychoanalytischen Instrumentarium zeigt er, warum sie bis in die Gegenwart nachwirkt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 15.08.2019

Mit großer Zustimmung bespricht Rezensent Adam Soboczynski dieses Buch, das in Polen bei seinem Erscheinen vor fünf Jahren eine heftige Debatte auslöste. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen hier die Nutznießer zweier jeweils von außen kommenden, barbarischen Vernichtungs- und Enteignungsvorgängen, der eine durch die Nazis an den Juden Polens, der andere an den polnischen Landadligen durch die Sowjetisierung des Landes. Leder schafft mit psychoanalytischem Scharfblick eine Gegenerzählung zum Narrativ des ewigen Opfers, in das sich viele osteuropäische Gesellschaften haben fallen lassen, so der Rezensent - neben der polnischen auch die tschechische und ungarischen. Soboczynski fügt seinerseits noch die ostdeutsche hinzu. Anhand vieler Beispiele, so der beeindruckte Rezensent, weist Leder für Polen nach, wie eine ländlich-katholische Bevölkerung teils passiv-zustimmend die Aggression gegen die tatsächlichen, zuvor beneideten Opfer beobachtete und sich dann über die zurückgelassenen Besitztümer hermachte. Soboczynski vergleicht den Ansatz Leders mit dem des Historikers Götz Aly in seiner Darstellung dessen, wie sich die "Volksgemeinschaft" in Deutschland an der Vertreibung der Juden bereicherte. In Polen und Ostdeutschland sei diese "gewaltige Übertragung von Eigentum" auch nach dem Krieg noch weitergegangen. Die Opfererzählung ist dagegen eine kollektive Verdrängungs- und Überschreibungsleistung, die mit der Wende von 1989 zunehmend aufgedeckt werden konnte, lernt der Kritiker. Im kollektiven Ressentiment gegen die Aufdeckung ihrer Lebenslügen sehen sowohl er als auch der Autor, einen starken Motor für rechte Gesinnungen in Mittel- und Osteuropa.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 01.07.2019

Martin Sander liest fasziniert, was der Historiker und Psychologe Andrzej Leder über die Traumata der polnischen Gesellschaft schreibt. Als Leders Kernthese erkennt Sander die Idee von einer grandiosen Verdrängungsleistung: Demnach seien alle Vorteile der fremdbestimmten Umbrüche in Polen, von denen die katholische polnische Bevölkerung zwischen 1939 und 1956 profitierte, zugunsten einer beharrlichen Opferrolle beiseite geschoben worden. Leder bezieht dies nicht nur auf den Holocaust durch die Nazis, sondern etwa auch auf die von der Sowjetunion forcierten Landreform. Für Sander eine eindrückliche Diagnose, die sich auch auf andere sozialistische Gesellschaften in Osteuropa (und Ostdeutschland) übertragen lässt. Sprachlich anspruchsvoll und packend, so Sander.