Ben Lerner

Die Topeka Schule

Roman
Cover: Die Topeka Schule
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783518429495
Gebunden, 395 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Adam Gordon geht auf die Topeka-High-School, er steht kurz vorm Abschluss. Seine Mutter Jane ist eine berühmte feministische Autorin, sein Vater Jonathan ein Experte darin, "verlorene Jungs" wieder zum Sprechen zu bringen. Sie beide sind in einer psychiatrischen Einrichtung tätig, in der Therapeuten und Patienten aus der ganzen Welt zusammenkommen. Adam selbst ist ein bekannter Debattierer, alle rechnen damit, dass er die Landesmeisterschaft gewinnt, bevor er auf die Uni geht. Er ist ein beliebter Typ, cool und ausschreitungsbereit, besonders sprachlich, damit keiner auf die Idee kommt, er könnte auch schwach sein. Adam hat ein Herz für Außenseiter, und so freundet er sich mit Darren an - er weiß nicht, dass der einer der Patienten seines Vaters ist -, und führt ihn in seine Kreise ein. Mit desaströsen Folgen …

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 06.11.2020

Christoph Schröder hat diesen Roman gründlich gelesen, und sein Resümee klingt fasziniert aber zwiespältig. Es ist sehr wohl ein Roman zur Zeit, und Ben Lerner versteht sich auf seine Mittel, so Schröder. Die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft analysiert Lerner in dem Roman als eine Krise mit zwei Seiten: zugleich eine Krise der Rhetorik und eine Krise der Männlichkeit. Es ist sicher auch ein Roman über Fremdheit: denn beim Personal handelt es sich um eine in die amerikanische Provinz verschlagene Ostküsten-Elite, die sich all jenen "Losern" gegenübersieht, die Donald Trump verehren. Kommunikation ist nicht mehr möglich: eine Sprache des Hasses begegnet auf der anderen Seite eine "ständige Reflexion des eigenen Kommunkationsverhaltens", die Kommunikation dann nachgerade auch wieder unmöglich macht. Schröder ist einerseits durchaus eingenommen von Lerners analytischer Schärfe, andererseits  bescheinigt er ihm eine Leere der Figuren und "pflichtbewusstes Flagellantentum". Seine Kritik ist kein Verriss, eher das Protokoll einer interessanten Irritation.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.11.2020

Rezensentin Andrea Köhler empfiehlt Ben Lerners Roman zum besseren Verständnis der sprachlosen Wut und der Diskursabbrüche in den USA. Der Autor erzählt im dritten Teil seiner Trilogie laut Köhler autofiktional von der Jugend seines Helden Adam in den 90er Jahren, von Sprache als Werkzeug und ihrem Verfall. Wie Lerner mit verschiedenen Sprachmilieus und Perspektiven umgeht, um die Sprach- und Männlichkeitskrisen der Nation zu erfassen, scheint Köhler fabelhaft. Ein Blick ins finstere Herz der USA, voller "subtil miteinander verflochtener" Geschichten, Beobachtungen, Stimmen und historischer Rückblenden, so Köhler begeistert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.09.2020

Für den Rezensenten Kai Sina steckt Ben Lerners Roman der politischen Literatur ein Licht auf. Wie der Autor weit zurückgeht in die 90er Jahre, um ohne große Sentimentalitäten mit den Fugees, Windows 95 und einem scharfen Blick auf die sprachlichen Gewohnheiten der Zeit eine Epoche auferstehen zu lassen, um heutige Verwerfungen zu erklären, findet er ambitioniert und stark. Der "dissonanten Vielstimmigkeit" im Text, die Politrhetorik, psychoanalytische Sprache, Rap und Jungmännerslang vereint, und Lerners unverdrossenem Humor und seiner komplexen Figurenzeichnung gelingen es laut Sina tatsächlich, amerikanische Zustände besser verständlich zu machen, und zwar jenseits von soziologischen oder politischen Erklärungsmodellen, so der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.09.2020

So wie die Hauptfigur Adam in diesem Roman als erfolgreicher High-School-Debattierer der neunziger Jahre den Rausch einer maximal stimulierenden Rede sucht, treibt der Autor Ben Lerner selbst die Kunst einer effektheischenden Sprache auf die Spitze, meint Rezensent Frank Schäfer, sie ist hier nicht nur Trägermedium, sondern "Seelenspiegel, Analysewerkzeug, Herrschaftsinstrument". Dabei entsteht dem Kritiker zufolge mal Poesie, mal Gefasel. Der reizüberflutete, aber auch faszinierte Rezensent vermutet, dass Lerner andeuten will, der politische Niedergang der USA sei auch darauf zurückzuführen, dass in den neunziger Jahren versucht wurde, die Öffentlichkeit mit rhetorisch schön verpacktem Informationsüberfluss zu blenden.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 04.09.2020

Rezensent Vladimir Balzer gefällt, wie Ben Lerner in seinem neuen Roman über die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft schreibt. Die Geschichte folgt dem jungen Adam, der in Topeka, Kansas zur High School geht und im Debattierclub lernt, wie wichtig rhetorische Versiertheit auch in Bezug auf den gesellschaftlichen Status ist, erklärt Balzer. Dabei werde deutlich, welche Lücke zwischen Amerikanern wie Adam und solchen klaffe, die nicht über die gleichen intellektuellen und sozialen Ressourcen verfügen, lobt der Rezensent. Auch in Bezug auf toxische Männlichkeit werde das Thema des (An-die-Wand-)Redens verhandelt, meint er. Ein erzähltechnisch anspruchsvoller und "wundervoller" Roman, der detailliert von der vermutlich irreversiblen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft erzählt, schließt der beeindruckte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 22.08.2020

Wieland Freund erfährt aus dem neuen Roman von Ben Lerner, wie es zum Lallen des amerikanischen Präsidenten kommen konnte. Indem der Autor den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Bob Dole durch Kansas begleitet und einen rhetorisch begabten Alter Ego einführt, erklärt er laut Freund, wie Amerika seine Sprache verlor und erzählt vom Beginn heutiger "Infokriege". Lerners zwischen lyrischer Motivik und historischer Erzählweise wechselnder Stil macht diesen politischsten aller Lerner-Romane für Freund zustätzlich lesenswert.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.08.2020

Felix Stephan liest Ben Lerners Roman als die "great american novel", auf die alle gewartet haben. Von der Orientierungslosigkeit weißer, privilegierter US-Männer in den Neunzigern erzählt Lerner laut Stephan als Geschichte der Entfremdung zweier Highschool-Freunde. Auffallend ist für Stephan die "freudianische" Erzählweise, bei der alles Erleben Symptom ist. Hier sieht Stephan zugleich ein Problem in der Story, die für ihn klar autobiografische Züge trägt: Unter der Last all der Echos und intergenerationellen Bezüge löst sich das erzählende Selbst beinahe ganz auf, meint er, und Lerners These, dass sich Gesellschaft zuallererst über Sprache verändern lässt, steht am Ende allzu explizit da.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.08.2020

Rezensent Harald Staun entdeckt im neuen Roman von Ben Lerner das Bewusstsein einer critical whiteness, die die eigenen Erfahrungen nicht mehr für universell hält. Die im Buch fortgeführte Geschichte von Adam, den Staun bereits aus Lerners Vorgängerroman kennt, scheint dem Rezensenten recht eindeutig an der des Autors orientiert. Das Leben eines 30-40-jährigen weißen Brillenträgers aus Brooklyn mit einem Faible für Sprache in allen erdenklichen Ausdrucksformen (vom Vortrag im Debattierclub bis zum Oralsex) erzählt der Autor laut Staun allerdings so fein ironisch-distanziert, dass der Leser diese Nähe schnell vergisst und es eine Freude ist.
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