Bernardine Evaristo

Mädchen, Frau etc.

Roman
Cover: Mädchen, Frau etc.
Tropen Verlag, Stuttgart 2021
ISBN 9783608504842
Gebunden, 512 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Tanja Handels. Die Dramatikerin Amma steht kurz vor dem Durchbruch. In ihrer ersten Inszenierung am Londoner National Theatre setzt sie sich mit ihrer Identität als schwarze, lesbische Frau auseinander. Ihre gute Freundin Shirley hingegen ist nach jahrzehntelanger Arbeit an unterfinanzierten Londoner Schulen ausgebrannt. Carole hat Shirley, ihrer ehemaligen Lehrerin, viel zu verdanken, sie arbeitet inzwischen als erfolgreiche Investmentbankerin. Caroles Mutter Bummi will ebenfalls auf eigenen Füßen stehen und gründet eine Reinigungsfirma. Sie ist in Nigeria in armen Verhältnissen aufgewachsen und hat ihrer Tochter Carole aus guten Gründen einen englischen Vornamen gegeben. Auch wenn die Frauen, ihre Rollen und Lebensgeschichten in Bernardine Evaristos "Mädchen, Frau etc." sehr unterschiedlich sind, ihre Entscheidungen, ihre Kämpfe, ihre Fragen stehen niemals nur für sich, sie alle erzählen von dem Wunsch, einen Platz in dieser Welt zu finden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.04.2021

Rezensent Angela Schader ist begeistert von diesem Roman. Sie zählt auf, was alles gegen ein Funktionieren des Konzepts hätte sprechen müssen - und lobt umso mehr die Mittel der Autorin, die dem Buch den Booker Preis einbrachten. Dazu zählt sie vor allem den Stil, zitiert Evaristos eigene Bezeichnung dafür, nämlich "fusion fiction", diese Mischung aus lyrischen und dramatischen Elemente, die die Autorin hier in getragene Rede überführt habe. Auf diese Weise hat Evaristo ein Narrativ und einen Stil für britische schwarze Frauen gefunden, findet die hingerissene Kritikerin, die sich aus den Mustern afroamerikanischer Sensibilität ebenso befreit wie aus denen des weißen Realismus. Ein deutliches Lob geht auch an die Übersetzerin Tanja Handels, die solcherart Feinheiten großartig gemeistert habe. Natürlich könne man hier und da "den Rotstift zücken", es gebe manche allzu knappe, grobe Charakterisierung, auch die Handlungsbögen werden manchmal flach. Dagegen aber stellt die Kritikerin die herausragende Leistung des Ganzen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.02.2021

Bernardine Evaristos achter Roman handelt nicht nur vom weiblichen Altern, wie der Titel vermuten lässt, sondern vor allem vom Anderssein, erklärt Rezensentin Judith von Sternburg. Anders, das heißt im Falle der zwölf Figuren in "Mädchen, Frau etc." in erster Linie schwarz, aber auch weiblich, nicht-binär, politisiert und wütend oder alleinerziehend. Und es heißt leider auch diskriminiert und erniedrigt, so Sternburg. Indem Evaristo die Perspektive dieser Anderen einnimmt, erzählt sie ein Stück europäische Geschichte aus einem bisher vernachlässigten und verleugneten Blickpunkt, lobt die Rezensentin. Dabei erzeugt sie schon allein durch das ungewöhnliche Schriftbild einen unwiderstehlichen Sog, eine "Atemlosigkeit", die jene Atemlosigkeit der Handlung spiegelt. Gespannt folgt die Rezensentin den zwölf verwobenen Schicksalen, lacht über den Humor von Figuren und Autorin, fühlt ihre Schmach nach, vollzieht ihre Wut nach, aber auch die Hoffnung und den reflektierten Optimismus. Ein Buch, das Fragen, Kritik, Reflexion nach sich ziehen sollte, findet die begeisterte Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.02.2021

Rezensentin Andrea Diener erkennt mit Bernardine Evaristos Buch, wie wenig die Hautfarbe über einen Menschen aussagt. Zu dieser Erkenntnis führt sie die Autorin mittels einer zunächst gewöhnungsbedürftigen, dann aber reinziehenden Form aus atemlosen, rhythmisch gegliederten Sätzen und einer in viele Stimme zerfallenden Geschichte vom Frau-Sein heute. Dass alle zwölf im Buch auftretenden Frauen schwarz sind und teils von abenteuerlicher Herkunft, rückt für Diener schnell in den Hintergrund, und davor schiebt sich ein "Kaleidoskop" an Perspektiven, das die Autorin laut Diener mit Empathie und Humor entwirft. Besonders stark findet sie das Buch in der Beschreibung der Biografien, weniger überzeugen sie die Dialoge. Sie erscheinen der Rezensentin mitunter etwas hölzern.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.02.2021

Rezensentin Marie Schmidt bewundert Bernadine Evaristos Geschick, die Kämpfe, die schwarze Frauen in einer weißen Mehrheitsgesellschaft austragen, mit diesem Roman nicht nur als nicht homogen, sondern auch als zyklisch auszuweisen. Dass die Autorin die Leben ihrer zahlreichen Protagonistinnen auf nur 40 bis 50 Seiten verhandelt und dabei eine poetische Sprache benutzt, scheint der Kritikerin die Kürze und Vergänglichkeit des Lebens selbst zu spiegeln. Schmidt glaubt außerdem, eine unterschwellige Abrechnung mit der Generation "Woke" herauslesen zu können, die ihre Vorgängerinnen zu vergessen scheint. Dazu passt in den Augen der Kritikerin, dass die einzigen beiden Porträts, die sie nicht recht überzeugt haben, das einer jungen Advokatin der Nicht-Binarität und das einer Transperson waren.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 12.02.2021

Rezensentin Anna Auguscik ist angetan von Bernadine Evaristos Roman, in dem die Autorin aus 12 verschiedenen Frauenperspektiven eine feministische Geschichte Englands entfaltet. Gemeinsamer Fluchtpunkt ist dabei die Uraufführung eines Theaterstücks einer schwarzen, lesbischen Regisseurin. Der Rezensentin gefällt, dass die Perspektiven einander kritisieren und korrigieren und somit die Geschlossenheit eines Erzählganzen problematisieren. Auch im Blick der Figuren auf das Theaterstück als Binnenhandlung, in dem sich der Blick des Lesers auf das Buch spiegele, sieht Auguscik eine Metaebene und lobt zudem die Mischform aus Prosa und Lyrik. Ein spannendes Erzählnetz, das nicht auf ein harmonisches Miteinander, sondern auf die "außergewöhnliche Begegnung" von Perspektiven aus sei, schließt die Rezensentin bewundernd.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31.01.2021

Rezensentin Anna Vollmer stört sich nicht an der Fülle an Figuren, Themen und Geschichte in Bernardine Evaristos Roman. Die einzelnen Figuren und ihrer Sicht auf aktuelle Probleme und Debatten, wie Rassimus, Feminismus und ihre mediale Darstellung, in einzelnen Abschnitten zu behandeln, scheint Vollmer diesbezüglich eine gute Idee. Das schafft Übersicht und eine bereichernde Perspektivenvielfalt, findet sie. Evaristos satzpunktlose Schreibweise scheint Vollmer das Lesetempo zu erhöhen und nicht etwa die Lesbarkeit zu verschlechtern. Wenn Vollmer dennoch etwas erschöpft aus der Lektüre hervorgeht, liegt das daran, dass die Autorin mitunter proseminaristisch These an These reiht.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 29.01.2021

"So viel Frauenwelt in einem Buch!", jubelt eine hingerissene Gabriele von Arnim nach der Lektüre von Bernadine Evaristos "Mädchen, Frau etc.". Die Kritikerin folgt hier zwölf unangepassten, oft diskriminierten, wütenden Frauen zwischen 19 und 93 in allen Hautfarben, sie sind lesbisch, trans, queer oder hetero und arbeiten als Lehrerinnen, Bäuerinnen, in der Kultur oder bei der Bank. Was sie eint, ist die Suche nach Identität, nach einem Geschlecht oder einem "lebbaren Feminismus", fährt die Rezensentin fort, die sich auch von der Sprache der britischen schwarzen Autorin sofort in den Bann ziehen lässt: Hier "fließt" alles, wenn Evaristo unmittelbar, rasant, aber auch mit Atempausen erzählt, staunt die Kritikerin. Und mit wieviel Humor sich die Autorin über Festlegungen lustig macht, hat der Rezensentin ebenfalls gut gefallen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.01.2021

Dem Rezensenten Dirk Knipphals zufolge ist dieser Roman "eine Bestandsaufnahme der Fülle, des Selbstbewusstseins und vor allem der Heterogenität der afrobritischen Community". Das Leben der sieben Frauenfiguren, um die das Buch sich zentriert, wird von Rassismus ebenso wie von ihren Beziehungen bestimmt, so Knipphals, der dadurch die Theorien von den Schwarzen als Konstruktionen des Anderen mit Leben gefüllt sieht. Außerdem lobt er die ungewöhnliche Sprache, die beispielsweise komplett auf Interpunktion verzichte und damit herrlich offen bleibe.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.01.2021

Rezensent Ijoma Mangold nimmt Bernadine Evaristo in Schutz vor dem Vorwurf, einem ethnisch divers geprägten Zeitgeist nach dem Mund zu schreiben. Macht die Autorin durchaus, gibt Mangold zu, indem sie einen "Figuren-Reigen" als "identitätspolitische Familienaufstellung" präsentiert. Doch Evaristo ist laut Mangold eine viel zu intelligente Erzählerin, um daraus einen mit Ideologie langweilenden Text zu machen. Stattdessen nimmt sie den Leser mit Tempo und Witz gefangen und "feiert und persifliert" die ausgestellten Kommunikationsgepflogenheiten ihrer Figuren in einem Zug, erklärt Mangold.