Clemens Meyer

Die Nacht im Bioskop

Eine Erzählung
Cover: Die Nacht im Bioskop
Faber und Faber, Leipzig 2020
ISBN 9783867301848
Gebunden, 100 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Mit fotografischen Illustrationen. Unterm Eis eines großen Flusses, der durch eine sehr alte Stadt in der Mitte der Welt fließt, trieb eine junge tote Frau. Verschiedene Stämme siedelten seit jeher an den Ufern des Stroms, und viele hundert Jahre, bevor die junge Frau sich scheinbar sanft im eisigen Wasser bewegte, als wäre noch ein winziger Rest Leben in ihr, im eiskalten Januar 1942, nannten die Einwohner, egal zu welchem Stamm sie gehörten, ihre Stadt nur bei ihrem serbischen Namen Novi Sad. Nur die Deutschen nannten sie Neusatz. Und es war Krieg, und Schnee und Eis legten sich über die Vojvodina und die Batschka und Novi Sad, und ein Soldat, der mit geneigtem Kopf die fernen Signalpfiffe der Lokomotiven, die aus der Stadt und über den Strom zu ihm drangen und ihn an langgezogene Schreie erinnerten, wusste, dass dieser Krieg und mit ihm die Kälte und Furcht und das Sterben vielleicht noch Jahre dauern würde. Clemens Meyer schreibt von einer Zeit, als alle Uhren der Menschheit stehen zu bleiben drohten, so groß war die Not und die Infamie des Krieges und das Morden.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.01.2021

Rezensent Jens Uthoff zeigt sich äußerst angetan von Clemens Meyers Erzählung über das Massaker von Novi Sad im Zweiten Weltkrieg. Besonders beeindruckt ist er davon, wie der Autor mit assoziativen Beschreibungen eine ungemein dichte Atmosphäre erzeugt. Als würde man durch eine Kameralinse sehen, meint Uthoff. Dies ist umso konsequenter, da das Kino besonders auf der zweiten Erzählebene als Handlungs- aber auch als "Flucht- und Sehnsuchtsort", eine wichtige Rolle spielt, so der Rezensent. Auf der ersten Ebene unterdessen folgt er dem Protagonisten durch die vom Krieg gezeichnete Stadt. Doch während der Alltag in Novi Sad, das Kino und die Architektur klar und eindrücklich geschildert werden, bleibt die Hauptfigur für den Kritiker eine eher flüchtige Erscheinung. Ob er dies als Mangel oder Reiz empfindet, bleibt ungewiss. Gewiss ist jedoch, dass er "Nacht im Bioskop" mit großer Anteilnahme gelesen hat.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 12.09.2020

Samuel Hamen stellt fest, dass Clemens Meyer mit diesem Text, der das Massaker von Novi Sad mit einer Theorie des Kinos verschneidet, einerseits sein literarisches Spektrum um das Historische erweitert, andererseits aber zu fragmentarisch bleibt, um die im Text aufgeworfenen Fragen rund um Ethik und Ästhetik umfassender zu diskutieren. Der Täter- und Opferperspektiven vermengende "Effekt des Ästhetischen und gleitend Atmosphärischen", den der Autor erzeugt, erscheint Hamen indes unbehaglich und reizvoll zugleich, etwa wenn Zigaretten stimmungsvoll glimmen und die Haare einer Toten im Eiswasser glänzen.