Hannah Arendt

Denktagebuch

1950-1973. 2 Bände
Cover: Denktagebuch
Piper Verlag, München 2002
ISBN 9783492044295
Gebunden, 1232 Seiten, 118,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann in Zusammenarbeit mit dem Hannah-Arendt-Institut Dresden. Mit ausführlichem wissenschftlichen Apparat. Im Sommer 1950 vollendete Hannah Arendt ihre große Arbeit über die "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft". Gleichzeitig begann sie damit, handschriftlich Aufzeichnungen in ein Tagebuch einzutragen. Gegenüber Freunden sprach sie von ihrem "Denktagebuch". In der Tat haben die 28 vollständig erhaltenen Hefte kaum etwas mit einem herkömmlichen Tagebuch gemein. Sie enthalten vielmehr Denkexperimente und Denkresultate und dienten dem lebenslangen Ziel der Autorin, die Wirklichkeit des Jahrhunderts der Kriege, Revolutionen und totalitärer Systeme denkend zu bewältigen. Alle wichtigen Themen des Arendtschen Werkes, so die "Banalität des Bösen", die Bestimmung des Politischen, die totale Herrschaft, kommen zur Sprache.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.03.2003

Otto Kallscheuer begrüßt freudig die Edition der 28 Schreibhefte mit Notizen, Zitaten und Reflexionen", die nun als "Denktagebuch" vorliegen. Allerdings, warnt der Rezensent, "täuscht der Name" etwas. Denn aktuelle Ereignisse oder politische Debatten sind in diesen Aufzeichnungen fast nicht vorhanden, so Kallscheuer, der das wenige, was Arendt zum Krieg, speziell zum Atomkrieg schreibt, reichlich "ungar" findet. Was das "Denktagebuch" bietet, sei ein "Thesensteinbruch" des "Grundthemas" der Philosophin, nämlich die "Archäologie der politischen, philosophischen Moderne in `der´ abendländischen Metaphysik", so der kenntnisreiche Rezensent. Beim Arendts Aufzeichnungen über das "Böse" werde zudem deutlich, welche große Rolle dafür die Philosophie Nietzsches gespielt hat, meint Kallscheuer. Nur schade, findet er, dass Arendt so stark von der Sprache Heideggers beeinflusst war, andernfalls wären die Reflexionen der Philosophin nach Ansicht des Rezensenten "spannender" geworden. Er lobt die Herausgeberinnen geradezu überschwänglich für die "nicht genug zu würdigende Leistung", die vielen Zitate, Thesen und Definitionen im "Denktagebuch" auf Quellen und Entstehung hin nachvollziehbar zu machen und damit ein "wichtiges Arbeitsinstrument" für Untersuchungen des mittleren und späten Schaffens von Hannah Arendt bereit zu stellen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.11.2002

Rezensent Ludger Lütgehaus zeigt sich sehr angetan von Hannah Arendts "Denktagebuch", das die Philosophin über fast ein Vierteljahrhundert bis 1973 geführt hat. Dank der beiden Arendt-Spezialistinnen Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann liegt das Werk nun zur Freude des Rezensenten in einer "vorzüglichen ungekürzten Nachlassedition" vor, "eingehend kommentiert und mustergültig erschlossen". Für Lütgehaus macht Arendts "Denktagebuch", das zu ihren großen Werken unterwegs sei, oft aber auch über sie hinausgehe, den Zusammenhang ihres Lebenswerkes deutlich. Das gilt nach Lütgehaus insbesondere für ihre Grundlegung der politischen Philosophie in einer Philosophie der "Gebürtlichkeit", ihrer, so Lütgehaus, "originärsten philosophischen Entdeckung, ja ihrem eigentlichen Fund, mit der sie die Fixierung der abendländischen Philosophie und besonders ihres ehemaligen Geliebten Martin Heidegger auf die Mortalität, das 'Sein zum Tode' aufbricht." Arendts Auseinandersetzung mit philosophischen Kollegen zeigt für Lütgehaus eindrucksvoll, dass eine politische Philosophie keine paradoxe Existenz sei. Lütgehaus hebt hervor, dass Arendts "Denktagebuch" selten ein wirkliches Tagebuch ist, Persönliches oder gar Intimes findet sich, abgesehen von einigen Gedichten, nicht. So dokumentiert das "Denktagebuch" für Lütgehaus "den Versuch der vertriebenen Jüdin und Deutschen, wenigstens heimisch zu werden in der Welt des Denkens."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.11.2002

Eine sehr kraftvolle, kenntnisreiche und klar argumentierende Besprechung von Barbara Hahn: sie würdigt das Denktagebuch Hannah Arendts als eine Art des Schreibens, dem es nicht um "Themen" geht, sondern um das Denken selbst. Damit verwirft Hahn alle Versuche, diesen Text womöglich als Steinbruch für diese oder jene Auffassung von Hannah Arendt zu benutzen. Zwar trägt sie durchaus Zitate vor, die man zum Anlass nehmen könnte, etwas neu zu überdenken, darunter eines, in dem es um das "Denkverhältnis von Arendt und Heidegger" geht. Aber der Hauptaugenmerk der Rezensentin gilt der Tatsache, dass hier "im Denken", "das Ich mit sich selbst" spricht. "Hier stehen fertige Sätze. Präzise und schmucklos." Manches könnte in einem Text, der sich um Vermittlung an ein großes Publikum bemüht - ein wissenschaftliches oder politisches -, nicht stehen bleiben. Genau darin aber sieht Hahn die Größe dieser Texte: sie wohnen im "zeitlosen Raum des Denkens". Dabei sieht sie dieses Denken als "dialogisches", und findet wunderschöne Zitate beispielsweise zur Liebe. Sie mokiert sich auch nicht über die Gedichte der Philosophin, in denen, so Hahn, ein "Ich auch seine Furcht" artikuliert: "vor dem Fremden, das im Denken auf es zukommt". Ihre Besprechung schließt mit einem hohen Lob für die Herausgeberinnen, durch deren Nachwort Hahn etwas Entscheidendes freigelegt sieht: "das hartnäckige, manchmal verzweifelte Bemühen einer Intellektuellen, eine angemessene Denk- und Schreibweise für die Zeit nach dem Traditionsbruch zu finden."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.11.2002

Rezensent Jürgen Busche zeigt sich recht zufrieden mit dem von den "vorzüglichen" Herausgeberinnen Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann edierten "Denktagebuch" Hannah Arendts. Zwar hätte er sich eine etwas populärere, weniger für die Spezialisten gedachte Ausgabe gewünscht, aber er räumt ein, dass das Interesse, das Hannah Arendts Schriften bei zahlreichen jungen Akademikern in den letzten Jahren gefunden hat, " eine solche Ausgabe auch aktuell als nützlich erscheinen" lasse. So gestatten Arendts Denktagebücher nach Einschätzung des Rezensenten "gewisse Einblicke" in ihre Denkweise, die manche schwierige, umstrittene These der Philosophin und ihre historische Einordnung erhellen können. Neben Gedanken zu Platon, Marx, Heidegger, Jaspers und anderen, enthält das Denktagebuch laut Busche auch persönliche Einträge sowie poetische Reflexionen. Zwar denke und schreibe die Autorin deutsch, trotzdem fänden sich viele Passagen in Altgriechisch, Lateinisch, Französisch und Englisch. Obwohl alles "gut übersetzt" und "reichlich erläutert" sei, wie Busche lobend erwähnt, befürchtet er, dass die unterschiedlichen Sprachen manchem Leser die Lektüre verleiden könnte. Was Busche bedauern würde, schließlich enthielten die Bände "viele Beobachtungen und Bemerkungen, die ein gebildetes Publikum interessieren können, das nicht gewillt und nicht fähig ist, den Gedanken der Philosophin in die Tiefen und Weiten der gelehrten Ausflüge zu folgen."
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