Johny Pitts

Afropäisch

Eine Reise durch das schwarze Europa
Cover: Afropäisch
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783518429419
Gebunden, 461 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm. "Und wo kommst du eigentlich her?" Viele schwarze Europäer kennen diese Frage, denn in den Köpfen mancher ist das noch immer ein Gegensatz - schwarz sein und Europäer sein. Dabei gibt es längst eine gelebte afropäische Kultur. Um sie zu erkunden, bereist Johny Pitts fünf Monate die Metropolen des Kontinents. In Paris folgt er den Spuren James Baldwins, in Berlin trifft er ghanaische Rastafarians, in Moskau besucht er die einstige Patrice-Lumumba-Universität. Nicht nur in französischen Banlieues und Favelas am Rande Lissabons wird deutlich, dass Europas multikulturelle Gegenwart nach wie vor von seiner kolonialen Vergangenheit gezeichnet ist. Rassismus und Armut sind Teil des Alltags vieler schwarzer Europäer.
Pitts verknüpft Reportage und literarischen Essay zu einem zeitgenössischen Porträt eines Weltteils auf der Suche nach seiner postkolonialen Identität. Pitts erzählt von afropäischen Schriftstellern wie Dumas dem Älteren und Puschkin, von Musikern, Aktivisten, Restaurantbesitzern oder einfachen Arbeitern. Er zeigt, wie sehr sie die Gesellschaften und die Kultur dieses Kontinents geprägt haben und prägen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 21.01.2021

Rezensent Martin Zähringer lobt dieses Buch des afrobritischen Autors und Fotografen Johny Pitts in den höchsten Tönen. Gebannt heftet sich der Kritiker an die Fersen des Autors, der, ausgestattet mit einem Interrail-Ticket, gründlicher Recherche und prallem Wissen an afrikanischer Migrations- und Kulturgeschichte, in die großen Städte Europas reiste, um den Alltag schwarzer Subkulturen zu dokumentieren. So liest Zähringer hier von "nicht wahrgenommenen" Afropäern in Paris, "gut Integrierten" in Stockholm oder "Bedrohten" in Italien, erlebt ökonomischen Druck und Ausländerfeindlichkeit in Moskau, erfährt aber auch von Pitts Vater, einem afroamerikanischen Jazzmusiker, der Anerkennung durch die Kunst fand, aber auch Songs von afroamerikanischen Kollegen in England zu Hits machte, ohne deren amerikanische Urheber zu beteiligen. Schon dieses Kapitel besticht durch "Kenntnisreichtum", freut sich der Kritiker, der in diesem, wie er findet, stilistisch eleganten, klugen und "kritischen" Buch ganz neue Perspektiven gewinnt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 03.11.2020

Rezensent Timo Stukenberg nimmt gern an, was der britische Fernsehmoderator Johny Pitts über Erfahrungen und Erlebnisse schwarzer Europäer zu berichten hat. Bei dem Buch handelt es sich nicht um eine theoretische Abhandlung, macht Stukenberg klar, sondern eine Sammlung von Reisereportagen. Bedrückend findet der Rezensent, wie Pitts in Brüssel das zu der Zeit noch nicht überarbeitete Kolonialismuseum besucht oder die Einwandererquartiere von Stockholm kennenlernt. Interessant erscheinen Stukenberg aber auch die Reflexionen des Autors. Auf seine eigene schwach ausgeprägte Identät als "schwarzer Europäer" stößt Pitts bei einer Begegnung in Paris mit schwarzen Amerikanern, die alle tief von einem "historisch schwarzen Narrativ" geprägt seien, wie der Rezensent erklärt. Pitts empfindet das als ein Manko.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 22.10.2020

Rezensent Jens Balzer empfiehlt das Buch des Musikers Johny Pitts über "afropäische" Realitäten. Wichtig scheint Balzer der Plural, weil Pitts' Suche nach Ausprägungen schwarzer Kultur in Paris, Berlin, Brüssel und anderswo vor allem zutage fördert, dass sich schwarze "Identität" nicht auf einen Nenner bringen lässt, auch nicht von linker Identitätspolitik. Dass die im Buch geschilderten Begegnungen den Autor selbst immer wieder zu überraschen scheinen, findet Balzer besonders charmant. Exkurse über den Kolonialismus und die Befreiungskämpfe runden das Buch ab, meint Balzer.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.10.2020

Rezensentin Marlen Hobrack hat im Detail einiges auszusetzen an Johny Pitts Reportage über afrikanische Migranten in Europa. Dass der englische Radiomoderator sowohl Nachkommen von verschleppten Sklaven als auch Migranten der jüngsten Generation als "afrikanisch" bezeichnet, findet Hobrack ebenso unscharf wie die Tatsache, dass der Autor nicht genau auf ethnische, religiöse und Klassenunterschiede eingeht. Wenn Pitts' afrikanische Gesprächspartner möglicherweise internalisierte europäische Klischees über afrikanische Migranten reproduzieren, hätte sich die Kritikerin zudem mehr direkten Widerspruch vom Autor - nicht nur im Text selbst - gewünscht. Nicht zuletzt stört Hobrack, dass der Autor zwar mit hochgebildeten Frauen, nicht aber mit Hausangestellten, Müttern oder Putzfrauen gesprochen hat. "Interessante" Geschichten entdeckt sie in dem Buch dann glücklicherweise doch noch.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2020

Rezensent David Kampmann lobt die lebendigen Schilderungen "afropäischer Welten" in Paris, Berlin, Marseille oder Moskau, die Johny Pitts in seinem Buch versammelt. Dass und wie afrikanische Einwanderer in diesen Städten eine eigene Form von Kultur entwickelt haben, kann der Autor ihm aber nur ansatzweise vermitteln. So bemängelt Kampmann die stellenweise allzu oberflächliche Recherche, durch die sich Sachfehler einschleichen. Öfters scheint ihm der Autor zudem vom Thema abzuschweifen, etwa wenn er eine Demo linker Aktivisten in Berlin schildert oder das Leben des Ex-Diktators von Zaire in Südfrankreich.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.10.2020

Nachdenklich und hellauf begeistert ist Rezensent Hernán D. Caro von dieser "großen Reportage", die ihm einmal mehr deutlich gemacht hat, dass Europa keineswegs einfach nur weiß ist - und es beinahe nie war. Ob frühe philosophische oder künstlerische Einflüsse, ob heutige Musik- und Party-Szene, über die zu schreiben das ursprüngliche Ziel des britischen Radio-Moderators waren -, immer ist das Europäische durchsetzt und eingefärbt von Menschen des Nachbarkontinents. Pitt fährt begeistert los, berichtet Caro, wird ernüchtert, entzündet sich wieder, begreift aber zunehmend - und zunehmend desillusioniert - die Heterogenität auch der schwarzen Kulturen in den verschiedenen europäischen Ländern. Auch Schwarze in dem einen europäischen Land pflegen Vorurteile gegen Schwarze in den Nachbarländern. Dadurch jedoch wird auch der Europäer Caro, wie er schreibt, sich mehr und mehr Europas bewusst - und der Tatsache, dass sowohl ein denkbares Afropa als auch Europa immer noch Utopien sind.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.09.2020

Sein ganzes Lob für dieses seiner Meinung nach exzellent geschriebene Buch lässt Rezensent Andreas Eckert (Professor für die Geschichte Afrikas an der Humboldt-Universität, Berlin) gleich am Beginn los. Da wimmelt es von begeisterten Adjektiven über dieses Buch und man weiß, man muss Johny Pitts unbedingt lesen. Wenn der Kritiker einzelne Stationen des Reisenden in Sachen europäischer Rassismus beschreibt, wird seine Stimmungslage - mit der des Autors zusammen - sehr gedämpft. Ob in Calais oder Paris, Stockhom oder Berlin oder am Rande von Marseille, nirgends gibt es besonders gute Aussichten auf Solidarität von Migranten untereinander, auf echte Integration und ein wirkliches Gehörtwerden. Die historischen Beispiele - allein, dass die französischen Soldaten gegen Hitler nachträglich alles Weiße gewesen sein müssen, was absolut nicht der Fall war - stimmen sehr, sehr nachdenklich. Der liberale Diskurs des nicht-rassistischen Selbstverständnisses in Europa, so lernen wir von dem hochbeeindruckten Kritiker, ist vor allem eines, er ist blind.