Matthias Nawrat

Der traurige Gast

Roman
Cover: Der traurige Gast
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2019
ISBN 9783498047047
Gebunden, 304 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Es ist der Winter des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Ein Mann ohne Namen beobachtet seine prekäre Nachbarschaft mit wachsender Beunruhigung. Über Gespräche und Begegnungen, den Blick in die eigene Biografie wie auf vergangene Lebensgeschichten, sucht er Antworten auf die Frage nach dem Wesen des Menschen, dem Leben, dem Tod. Er sitzt im Souterrain, bei Dariusz, der einmal Chirurg war und einen Sohn hatte, der in Südamerika ertrank. Oder mit Karsten, dem früheren Studienkollegen, in einer Bar nahe der Charité, wo der als Molekularbiologe beschäftigt ist. Oder bei der alten polnischen Architektin Dorota, deren intellektuelle Energie auf ihn genauso verwirrend wie ansteckend wirkt. Umso tiefer trifft es den namenlosen Gast, dass er - ein Stück selbstgebackenen Kuchen in der Tasche - bei seinem letzten Besuch in ihrer leergeräumten Wohnung steht. Frau Dorota, sagt der Vermieter, hat sich in ihrem Schlafzimmer erhängt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.03.2019

Rezensentin Marta Kijowska bekommt mit Matthias Nawrats Roman ein schönes Berlin-Porträt. Anfangs irritiert über die Banalität des Erzählten, dämmert ihr bald, dass der Autor genau weiß, was er tut, wenn er seinen Ich-Erzähler Alltägliches aus dem Berliner Leben berichten und schließlich hinter den Geschichten anderer fast verschwinden lässt. Das Episodische wirkt auf die Rezensentin mehr und mehr faszinierend, weil sich darin Einzelschicksale und Historisches treffen und ein Bild der Gegenwart formen. Auch wenn die Inhalte eher niederschmetternd und von Angst, Verunsicherung und Tod geprägt sind, und der frei assoziierende Erzähler über ihnen zusehends unruhig wird, erkennt Kijowska die große literarische und philosophische Energie, die sich hier äußert, und einen beeindruckenden exakten Ton.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.03.2019

Rainer Moritz hält die Schwebe des neuen Textes von Matthias Nawrat aus, auch wenn ihm der Roman anfangs als Zumutung erscheint, wenngleich auch als fesselnde. Das eher "spröde" Erzählen und der unambitionierte Erzähler im Buch, dertage als Gefäß für die Geschichten anderer dient, scheinen Moritz jedoch schließlich als gut geeignet, das Heute und Gestern im Text miteinander zu verbinden und das Beklemmende der Erzählgegenwart unmittelbar nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 einzufangen. Dem Leser beschert das Nebeneinander von nacherzählten Biografien, historischen Erfahrungen und Gegenwartsbericht laut Rezensent zwar keinen kohärenten Zusammenhang oder eindeutige Lehren. Für Moritz kommt es der Krise des Subjekts allerdings recht nahe.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.03.2019

Rezensent Ulrich Seidler spürt eine große Trauer in diesem autobiografischen Roman von Matthias Nawrat. Wunderbar scheint ihm, wie der Autor die Tragik des Unverbindlichen an seiner Erzähler-Figur exemplifiziert, die das eigene "aufgeschobene" Dasein wiederum in Beobachtungen zum Leben polnischer Immigranten in Berlin spiegelt. Die Tatsache, dass die Identitätssuche im Buch erfolglos bleibt, wie Seidler feststellt, überträgt der Autor laut Rezensent ins Formale, indem er Fäden und Motive im freien Fall in Raum und Zeit zeigt. Großartig, findet Seidler.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.03.2019

Rezensentin Ursula März trifft auf eine ideale Balance zwischen Fiktion und historischer Wahrheit in Matthias Nawrats Berlin-Flaneur-Roman. Dem Erzähler im Jahr 2016 auf seinen Spaziergängen durch Berlin folgend, fühlt sich März an die literarische Erinnerungskunst von Patrick Modiano erinnert. Wenn Nawrats Erzähler der Spur polnischer Migranten bis tief in die Vergangenheit folgt, stört sich März zwar an dem ein oder anderen verzichtbaren politischen Diskurs, freut sich aber umso mehr über von Empfindsamkeit geprägte Wahrnehmungssplitter und die Fähigkeit des Autors, manchem Berlin-Klischee seinen "unverbrauchten Blick" entgegenzusetzen. Gleichfalls geglückt findet sie die Figuren-Porträts und die mit ethnografischer Sorgfalt ausgeführten Darstellungen von migrantischer Entwurzelung, in der sich laut März Vergangenheit und Gegenwart treffen und sich eine "literarische Moral" zeigt, die Geschichte nicht nur als Lieferanten für interessante Plots ausbeutet.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.03.2019

Rene Hamann empfiehlt mit Matthias Nawrats Roman "ein gutes, ein ruhiges" Buch über polnische Exilanten in Berlin, Heimat und Verlust, Liebe und Tod. Auch wenn der Rezensent lange nicht weiß, worauf Nawrats sehr zurückgenommener Erzähler hinaus will, wenn er in die Lebensgeschichten unterschiedlicher Figuren eintaucht, scheint ihm der Text doch sehr gegenwärtig in seiner nüchternen Bedächtigkeit, die Hamann an Thomas Bernhard erinnert, und das Reale und Erschreckende der Gegenwart tritt wirkungsvoll hervor.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 08.02.2019

Gabriele von Arnim ist ganz gebannt von der geheimnisvollen Erzähler-Figur in Matthias Nawrats Roman. In klarer Diktion vermitteln ihr der Autor und sein Berlin-Flaneur wider Willen einen Weltschmerz, dem sich die Rezensentin nicht entziehen kann und möchte. Dass der Erzähler dabei nur durch die Geschichten der von ihm aufgesuchten Bekannten und seine davon angestoßenen Gedanken Kontur erhält, gehört für Arnim zum Zauber des Textes. Melancholisch, rhythmisch, klug und faszinierend in seinen Gedanken über Würde, Hass, Verantwortung und die Widersprüche der Gesellschaft erscheint ihr der Text mit seinen "liebevoll" gezeichneten Figuren.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.02.2019

Viel passiert nicht in diesem Roman und dennoch entfaltet "Der traurige Gast" eine ganz eigentümliche Sogkraft, versichert Rezensentin Juliane Liebert. Sie folgt hier einem polnischen Schriftsteller vor dem Hintergrund des Terroranschlags am Berliner Breitscheidplatz bei seinen Begegnungen mit Menschen aus den verschiedensten Milieus, lauscht den Gesprächen der Menschen, die aus "existentieller Notwendigkeit" von ihren tragischen Lebensgeschichten und ihrer Verlorenheit erzählen und staunt, wie Nawrat ganz ohne Pathos und Effekthascherei Empfindungen aufzeichnet und Erlebtes verdichtet. Die wenigen zähen Passagen und gelegentliche "Pflichtschuldigkeit", etwa wenn der Autor Terrorattentat und Kolonialismus kontrastiert, verzeiht Liebert ihm angesichts seiner "integren" Erzählkunst gern.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 29.01.2019

Christoph Schröder preist den Roman von Matthias Nawrat und warnt zugleich vor seiner Sperrigkeit. Kein süffiger Plot erwartet den Leser, meint er, sondern ein schwer zu fassender Erzähler, der im Berlin der Gegenwart Lebensläufe wie Puzzleteile sammelt. In diesen Teilen, das merkt Schröder bald, geht es um Transiterfahrungen und Verluste, Migration und Heimaterkundungen, Begegnungen, die sich schließlich verengen, wie Schröder erklärt. Literarisch ist das laut Rezensent brillant, assoziationsreich und von nachhaltiger Wirkung, und das scheinbar ziellose Erzählen geht mit den Existenzformen im Buch gut zusammen.