Olga Grjasnowa

Der verlorene Sohn

Roman
Cover: Der verlorene Sohn
Aufbau Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783351037833
Gebunden, 383 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Akhulgo, Nordkaukasus, 1839: Jamalludin wächst als Sohn eines mächtigen Imams auf. Seit Jahrzehnten tobt der Kaukasische Krieg, und sein Vater wird von der russischen Armee immer mehr bedrängt. Schließlich muss er seinen Sohn als Geisel geben, um die Verhandlungen mit dem Feind aufzunehmen, und Jamalludin wird an den Hof des Zaren nach St. Petersburg gebracht. Bald schon ist der Junge hin - und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach seiner Familie und den verlockenden Möglich keiten, die sich ihm in der prächtigen Welt des Zaren bieten. Olga Grjasnowa erzählt von einem Kind, das zwischen zwei Kulturen und zwei Religionen steht und seine Identität finden muss. Und von der verheerenden Wirkung eines Krieges, in dem es keine Sieger geben kann.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.11.2020

Für diesen Roman hat sich Olga Grjasnowa an einer historischen Begebenheit inspiriert, erklärt Rezensentin Katharina Granzin: Der Scheich  der muslimischen Bergvölker Dagestans gab seinen russischen Gegnern 1839 seinen eigenen neunjährigen Sohn als Verhandlungspfand zur Geisel, der infolgedessen in Petersburg im Einflussbereich der Zarenfamilie aufwuchs. Laut Granzin gelingt es der Autorin, die psychologische Entwicklung des Sohns zugleich glaubhaft und doch nicht zu detailreich zu schildern. Außerdem bewundert sie Grjasnowas Mut, die Geschichte sehr frei auszuschmücken. Der Lohn: das Bild einer fremden Epoche "in klaren, frischen Farben".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.11.2020

"Großartige Echtzeit-Literatur" waren Olga Grjasnowas erste drei Romane, findet Rezensent Paul Jandl. "Der verlorene Sohn" hingegen ist leider nicht viel mehr als ein historisches Märchen. Dabei bietet der von ihr gewählte historische Stoff dem Rezensenten zufolge durchaus Potential für einen Roman mit jener politischen Dringlichkeit, die man von der Autorin gewohnt ist. Er setzt ein, als der Imam Schamil, Führer der Bergvölker Dagestans und Tschetscheniens, seinen Sohn Jamalludin als Geisel ins russische Zarenhaus schickt. Grjasnowa erzählt vom Überfluss, in dem die Reichen leben, vom Aufwachsen Jamalludins unter der Obhut des Zaren, von den imperialistischen Bestrebungen der Russen, von der Armut der Bevölkerung, ein bisschen auch vom Antisemitismus, doch all das bleibt nur schemenhaft, kritisiert Jandl. Zudem bediene sich die Autorin einer Sprache, die wohl authentisch sein soll, aber oft klischeehaft und wie reine Zierde wirkt. Schade, meint der enttäuschte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2020

Rezensent Tilman Spreckelsen lernt mit Olga Grjasnowas Adaption der Geschichte um den awarischen Imam Schamil, seinen fortgegebenen Sohn und den Kampf gegen den russischen Zaren etwas für die Gegenwart. Einem Tolstoi kann die Autorin nicht das Wasser reichen, räumt der Rezensent ein, wenngleich sie das Thema der zerrissenen Identität perspektivisch konsequent erzählt, wie er findet. Aber allzu floskelhaft und ohne Raffinesse (bis auf das Ende) geht die Autorin sprachlich zu Werke, bedauert Spreckelsen.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 08.09.2020

Olga Hochweis wird nicht glücklich mit Olga Grjasnowas Roman über einen jungen Mann aus Dagestan, der am Hof des Zaren zum russlandtreuen Herrscher im Nordkaukasus ausgebildet wird und gegen das Schwinden seiner Identität ankämpft. Stellenweise liest sich das Buch für sie so folkloristisch wie ein Roman aus dem 19. Jahrhundert. Verzichtbare romantisierende Handlungsdetails wie Duelle und glamouröse Opernauftritte fallen Hochweis unangenehm auf, historische Phänomene werden im Text "pflichtschuldig" abgehakt. Insgesamt wirkt das Buch auf Hochweis wie eine Fleißarbeit, die oberflächlich bleibt und allerhand Klischees bedient.