Rafael Chirbes

Von Zeit zu Zeit

Tagebücher 1984-2005
Cover: Von Zeit zu Zeit
Antje Kunstmann Verlag, München 2022
ISBN 9783956145124
Gebunden, 472 Seiten, 34,00 EUR

Klappentext

Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz und Carsten Regling. Zeit seines Lebens hat Rafael Chirbes nicht viel Aufhebens um sich gemacht. Der Literaturbetrieb war ihm fremd, die Literatur aber bedeutete ihm alles. Sie war sein Zugang zur Welt. In den Tagebuch-Aufzeichnungen, die von Chirbes' Anfängen als Schriftsteller bis kurz vor Veröffentlichung von "Krematorium" reichen, zeigt sich ein sensibler und scharf beobachtender Geist. Chirbes erzählt von seinen Lieben, von schlaflosen Nächten, in Gesellschaft oder allein, oft mit Alkohol oder Drogen; von den Schmerzen des Alterns, den körperlichen, den seelischen, davon, was es bedeutete, homosexuell zu sein in einem bigotten Land. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Reportagen für eine Gourmet-Zeitschrift, die ihn durch ganz Europa schickt. Jede freie Minute arbeitet er an seinen Romanen, immer zweifelnd an dem eigenen literarischen Schreiben, auch dann noch, als die öffentliche Anerkennung längst da ist und er mit Literaturpreisen ausgezeichnet wird.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 24.11.2022

Wahrheit war für Rafael Chirbes eine radikale Angelegenheit. Das stellt Maike Albath ihrer Rezension der Tagebücher des 2015 verstorbenen spanischen Schriftstellers voran, die jetzt unter dem Titel "Von Zeit zu Zeit" auf Deutsch erschienen sind. Albath ist tief berührt von der Unerbittlichkeit, mit der Chirbes persönlich über sich zu Gericht saß und den Eisenbahner-Sohn nie verhehlte, der zu einem hochgebildeten Mann geworden war, der sich stets nach Aufmerksamkeit sehnte und den seine Fehler in Verzweiflung stürzten. Was er über sein Leben zwischen 1984 und 2005 aufschrieb, lege alle Facetten seines Wesens genauso bloß wie die Politik und den Kulturbetrieb, ist die Rezensentin überzeugt. Das Ganze, also die einst lose Blattsammlung, ist als I-Tüpfelchen auf der Lektüre auch noch knapp und präzise formuliert, lobt sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.10.2022

Rezensent Eberhard Geisler preist Rafael Chirbes' Tagebücher als Zeugnis für die äußerst lebendige spanische Literatur. Sind schon Chirbes' soziologisch präzisen Romane Geisler zufolge unbedingt lesenswert, so eröffnen diese Notate dem Rezensenten eine dritte Dimension: Er erlebt den Autor als sensiblen Seismografen seiner eigenen Empfindungen und intellektuell aufgeweckten Beobachter seiner Zeit. Vor allem Chirbes' Nachdenken über seine eigene Homosexualität im konservativen Spanien, wo fanatische Priester einst Federico García Lorca zur Beichte zwangen, bevor sie ihn erschießen ließen, beeindruckt Geisler zutiefst. Er sieht Chirbes an seine eigene Vorbilder - Musil und Montaigne - nah heranrücken. Nur am langweiligen deutschen Titel stört Geisler sich.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.10.2022

Rezensent Ruthard Stäblein entdeckt begeistert die zur Frankfurter Buchmesse auf Deutsch erscheinenden Tagebücher des spanischen Schriftstellers und Klassenkämpfers Rafael Chirbes, wirft aber auch einen Blick auf seine bereits bekannte Spanien-Trilogie, die derzeit neu aufgelegt wird - beide Werke beeindrucken ihn auf jeweils eigene Art: Während die Bände der Trilogie in sarkastisch distanziertem, zunehmend nüchternem Tonfall (inspiriert von Flaubert, so Stäblein) von der Franco-Ära und ihrem Nachklang erzählen, wobei Chirbes mit erstaunlichem Einfühlungsvermögen sowohl den Franco-Gegnern als auch -Befürwortern "unter die Schädeldecke" krieche, so zeigen die Tagebücher, verfasst zwischen 1984 und 2005, den Schriftsteller von seiner verletzlichen und selbstzerstörerischen Seite, staunt Stäblein. In diesen Ausführungen zu seiner Herkunft aus dem Arbeitermilieu, seinem Engagement gegen das Franco-Regime und zum Sexleben des schwulen Autors sieht und schätzt der Kritiker vor allem eine Biografie "im Sinne von Mandelstams plebejischem Intellektuellen", die ihren Erkenntnisgewinn weniger aus erinnerten Ereignissen als vielmehr aus vergangenen Lektüren ziehe. Chirbes' große Anerkennung gegenüber der Arbeiterklasse ist es für Stäblein dann schließlich auch, die für sein gesamtes Werk als "prägend" hervortritt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.2022

Rezensent Paul Ingendaay denkt, dass man Tagebücher eigentlich nicht rezensieren kann. Aber Rafael Chirbes' postum publizierte Notate erscheinen ihm bewundernswert reich und von verstörender Traurigkeit. Er begegnet hier dem spanischen Schriftsteller vor seinen großen Erfolgen, als einem Mann, der sich als Mensch und Autor gescheitert sah: Redakteur einer kulinarischen Zeitschrift, nicht bekennend homosexuell und alkoholabhängig, aber von einer unglaublichen Belesenheit. Chirbes' Lektüren reichen von Marx bis Chateaubriand, von Ovid bis Thomas Mann, wie Ingendaay vermerkt, wobei sie immer auch als Gradmesser für Chirbes empfundene Unzulänglichkeit herhalten müssen. Wie dieser große Autor und Chronist der spanischen Krise daran litt, schreiberisch nicht an den Stoff seines eigenen Lebens heranzukommen, das erfüllt den Rezensenten mit enormer Trauer. Die Ausgabe und die Übersetzung lobt Ingendaay umso mehr als exzellent.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.09.2022

Rezensent Sebastian Schoepp freut sich über die deutsche Ausgabe der Tagebücher von Rafael Chirbes. Kennenzulernen ist laut Schoepp überraschenderweise ein durchaus von Selbstzweifeln geplagter Schriftsteller. Dem Bild des herzhaft über die Auswüchse des modernen Spanien schimpfenden Autors gesellt sich so ein anderes hinzu, meint Schoepp. Darüber hinaus bieten die Texte dem Rezensenten Ergänzungen zu den Romanen und einen Einblick in den mit allerhand Lektüren gefüllten Echoraum des Autors. Wie Chirbes als "schreibender Homosexueller" lebte, erfährt der Leser auch, erklärt Schoepp.
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