Sheila Heti

Reine Farbe

Roman
Cover: Reine Farbe
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023
ISBN 9783498002473
Gebunden, 224 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Thomas Überhoff. Reine Farbe ist philosophisches Traktat, modernes Märchen und die realistische Erzählung einer Freundschaft zwischen zwei jungen Frauen in schwierigen Zeiten. Die Prämisse: Gott schuf die Welt in sechs Tagen, betrachtet sie seit nunmehr 4,5 Milliarden Jahren mit dem Pinsel in der Hand und überlegt, ob es nicht klüger wäre, eine neue, bessere Version zu malen.Mira ist aber in dieser ersten Welt zu Hause. Sie teilt die Menschen in Vogel-, Fisch- und Bärenwesen; sie selbst ist ein Vogel (flüchtig, scheu), ihre Freundin Annie ein Fisch (sozial, engagiert, ein Schwarmtier). Miras Vater wiederum, der einen starken Einfluss auf sie ausübt, ist ein (machtvoll emotionaler) Bär. Und sein Tod für sie kaum zu verwinden.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.06.2023

Rezensentin Anna-Lisa Dieter sieht in Sheila Hetis abstrakt-kosmologischem Roman vor allem die Fortsetzung einer religiösen Prägung, die ihr auch schon in früheren Werken Hetis auffiel. Während es dort in jüdischer Tradition etwa um Moses oder um Jakobs Kampf mit dem Engel ging, so beschäftige sich Hetis neuer Roman mit dem Schöpfungsmythos, wie Dieter mit ihrer Zusammenfassung zeigt: In einer "Endzeit" möchte Gott, der sich in Form dreier Kunstkritiker-Gestalten (Vogel, Fisch und Bär) manifestiert, die Welt nochmal neu und besser erschaffen. In diesen kosmologischen Rahmen eingebettet wird von Mira erzählt, vom Tod ihres Vaters, der Liebe zu einer Freundin und der Verwandlung in ein Blatt. In diesem "seltsam entrückten", halb surrealen Plot verhandle die Schriftstellerin wie üblich große philosophische Fragen, aber auch die Abwertung der Kunstkritik unter Donald Trump und die Klimakatastrophe, wie Dieter beeindruckt analysiert. Besonders markant findet sie Hetis Talent, in diese mystische Sphäre "dreckige Witze" einzubauen. Für die Kritikerin ein Buch, das mit seinem Entwurf einer zweiten, von Gott "korrigierten" Welt und mit der Berücksichtigung der Gefühlsebene eine Bereicherung für aktuelle Probleme und Debatten darstellt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 22.04.2023

Rezensent Niklas Maak wirkt fasziniert von der Rätselhaftigkeit von Sheila Hetis Buch, das sich irgendwo zwischen "kabbalistischem Essay", Ästhetik-Theorie und "epischem Klagelied" bewege. Es geht, vor dem kosmischen Hintergrund eines "zurücktretenden" Gottes, der es mit der Schöpfung nochmal von vorne probieren will, um die drei Wesenssphären der analytisch-kühlen Vögel, der gemeinschaftlich lebenden Fische und der Nähe-liebenden Bären, fasst Maak zusammen, und in einem weiteren Handlungsstrang um die Vogel-Figur Mira und ihrer Liebe zum Fischwesen Annie. Dabei wird der Plot immer undurchsichtiger, so Maak, bis Mira sich irgendwann in ein Blatt verwandelt, um ihrem verstorbenen Bären-Vater zu begegnen, und es um Reflexionen darüber geht, ob in einer neuen, gottgeschaffenen Zukunft alle Menschen identische Gesichter haben (sollten). Der Kritiker scheint das verwirrend, aber spannend zu finden - ebenso wie das aus Hetis Schreiben hervortretende Horrorszenario einer "fehlerfreien Vorausberechenbarkeit der Welt", wie er anerkennend schließt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 24.03.2023

Shella Hetis neuer Kunstroman "nimmt sich sehr ernst", stellt Rezensentin Miriam Zeh fest. Davon mag man halten, was man will. Die Rezensentin jedenfalls fühlt sich gerade von dieser Ernsthaftigkeit, der Originalität und strengen ästhetischen Programmatik in diesem Roman erfrischt und durchgerüttelt. Mit "Reine Farbe", erklärt Zeh, wendet sich die kanadische Autorin ab vom autofiktionalen, selbsttherapeutischen Schreiben - ja von der vertrauten Wirklichkeit ganz im Allgemeinen, um stattdessen eine skizzenhafte, fast parabelartige Fabelwelt zu entwerfen. In dieser Welt verliert eine junge Kunststudentin ihren geliebten Vater, woraufhin ihre Seele sich ins Dasein eines Blattes flüchtet, lesen wir. Sie gehört dem Menschentypus der Vogelgeborenen an, welche aus einer abgehobenen Perspektive ästhetisch urteilen. So ist denn auch die Geschichte, die sie erzählt, ein "ästhetisches Denkstück" über eine Welt voller Katastrophen, so die Rezensentin.