Romane und Erzählungen / Sachbücher & politische Bücher


Politische Bücher


Man kann über Necla Kelek sagen, was man will: Über ihre Bücher diskutieren sich die Feuilletons zuverlässig die Köpfe heiß. Diesmal beschäftigt sich Kelek mit jungen türkischen Männern, die im Gefängnis sitzen, weil sie zwischen patriarchalischer Tradition und eigenverantwortlicher Moderne jeden Halt verloren haben. Die FAZ hält "Die verlorenen Söhne" für längst überfällig, die Zeit stößt sich an rasanten Pauschalbehauptungen, die Kelek ungeprüft fallen lasse wie andere Leute Kassenbons. Die taz gesteht Kelek zu, dass sie mit ihrer "Worst of Islam"-Auswahl immerhin den nötigen Einstellungswandel vorantreibt. Und die FR hätte sich auch Gesprächspartner gewünscht, die nicht in der Türkei, sondern schon in Deutschland geboren wurden.

Die Integration vor allem türkischer Migranten wird weiterhin Thema bleiben. Empfohlen wird auch "Das Kreuz mit den Werten" wo Dilek Zaptcioglu und Jürgen Gottschlich deutsche und türkische Leitkulturen auf Unterschiede und Änhlichkeiten abklopfen, sowie Hilal Sezgins "Typisch Türkin? eine Sammlung von Porträts ebenso erfolgreicher wie selbstbewusster deutsch-türkischer Frauen.

"Wer den Iran besser verstehen will, sollte dieses Buch lesen", schreibt die taz über Christopher de Bellaigues "Im Rosengarten der Märtyrer" (), und die anderen Kritiker stimmen ihr einhellig zu. In seinen Reportagen berichtet der frühere Iran-Korrespondent des Economist von verbitterten Intellektuellen, zynischen Kriegsgewinnlern, kritischen Ayatollahs, von ernüchterten Revolutionären und Regimentern, die bei Chomeinis Radioansprachen in Tränen ausbrachen. Die taz bescheinigt Bellaigue große Sachkenntnis. Die Zeit hat ein Land kennengelernt, dessen erbitterte Bevölkerung von einer Riege korrupter Theokraten immer rigider unterdrückt wird. Und die FR staunt über eine Hochkultur zeremonieller Heuchelei.

Viel diskutiert wurde auch Frank Schirrmachers Buch "Minimum" in dem der FAZ-Herausgeber vor dem Verlust enger, sozialer Bindungen in einer kinderlosen Gesellschaft warnt. Interessiert, aber ebenfalls zwiespältig aufgenommen wurde Paul Bermans "Idealisten an der Macht" das die Generation europäischer Linker porträtiert, die 1968 auszogen, die Welt Moral und Menschenrechte zu lehren.


Biografien

Lars Brandts sehr persönliches "Andenken" an seinen Vater Willy Brandt, den er mit so vielen Menschen teilen musste, hat alle Kritiker berührt. Es überwiegen die "guten menschlichen Gefühle", das Verständnis für einen komplizierten Mann, schreibt Gustav Seibt eingenommen in der SZ. Martin Krumbholz staunt in der NZZ, wie "behutsam, ja geradezu nachsichtig" der Autor die Fremdheit und menschliche Knauserigkeit des Vaters beschreibt. Ina Hartwig glaubt in der FR allerdings auch einen "tieftraurigen Kern" und unerfüllte Sehnsucht zu spüren. Beachtlich findet Tilman Spreckelsen in der FAZ auch die schreiberischen Fähigkeiten des Autors und stellt fest, dass ein solch liebevolles Buch nicht zuletzt auch für den Porträtierten spreche.

Schockiert und fasziniert zugleich ist die Zeit von der Karriere Silvio Berlusconis, dessen Aufstieg vom Bauspekulanten zum Medienmagnaten und italienischen Regierungschef Alexander Stille in "Citizen Berlusconi" nachzeichnet. Erstaunt hat sie auch, wie wenig sie tatsächlich über Berlusconi wusste, vor allem in Bezug auf seine Mafiakontakte. SZ und taz empfiehlen auch Paul Ginsborgs pointierten Essay "Berlusconi" Darin warnt der in Florenz lehrende Historiker vor allem davor, den Politiker nicht ernst zu nehmen. Denn laut Ginsborg arbeitet Berlusconi sehr entschlossen an der Etablierung seiner persönlichen Herrschaft.

Zum dreihundersten Geburtstag des amerikanischen Gründungsvaters Benjamin Franklin sind gleich zwei Biografien erschienen, die beide sehr gut besprochen werden. Als rundweg gelungene und zudem "muntere" Biografie lobt die NZZ Jürgen Overhoffs Porträt "Benjamin Franklin" das vor allem einem deutschen Publikum diesen Vorkämpfer der Freiheitskultur näherbringen will. Die Zeit findet das Buch einfach fesselnd und begrüßt es als Gegenwicht zu all den Bücher, die derzeit ein ausgesprochen negatives Bild der USA zeichnen. Sehr gelobt wird auch das Proträt "Benjamin Franklin" des Yale-Historikers Edmund Morgan, den die Zeit einen "Erzähler von hohen Gnaden" nennt, auch wenn sie das Buch ein wenig schönfärberisch findet. Die NZZ bewundert jedoch, wie elegant Morgan die Entwicklung der Amerikanischen Revolution mit dem Leben Franklins verbinde. Die SZ hat in Benjamin Franklin den wahren Amerikaner erkannt.

Endlich liegt Erik Tawaststjernas große Biografie des finnischen Komponisten Jean Sibelius auch auf Deutsch vor, schwärmt die FAZ. Der 1865 geborene Sibelius gilt vor allem wegen seinen vom finnischen Nationalepos Kalewala und seinen davon inspirierten sieben Sinfonien und seinem Violinkonzert als einer der großen Komponisten Skandinaviens. Der 1993 gestorbene Tawaststjerna, von der FAZ ehrfurchtsvoll als "Mr. Sibelius" apostrophiert, hat hier das Konzentrat seiner jahrzehntelangen Studien vorgelegt.


Geschichte

Dass Edgar Wolfrum sich in seiner modernen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ganz unverhohlen mit dieser "Geglückten Demokratie" identifiziert, stört die FR nur wenig. Dafür sei Wolfrums Darstellung einfach zu gelungen. Die Zeit findet die Einteilung in die drei Großphasen der Stabilisierung, Pluralisierung und Internationalisierung überaus plausibel, das erzählerische wie theroetische Niveau angenehm hoch und die Einbeziehung gesellschaftlicher Fragen sehr lohnend.


Kulturgeschichte

In helle Begeisterung hat Peter von Matt die Kritiker mit seinem Buch "Die Intrige" versetzt, das den großen Intriganten der Literaturgeschichte ein Denkmal setzt, von den biblischen Schurken, über Homer, Dante und Shakespeare, bis hin zu Thomas Mann und Patricia Highsmith. Wie Roman Bucheli in der NZZ schreibt, geht es um nicht weniger als ein "zivilisationsgeschichtliches Schlüsselereignis": Mit den Intriganten kam die Vernunft in die Literatur, der Verstand begann, sich über das blinde Schicksal hinwegzusetzen. In der Zeit jauchzt Fritz J. Raddatz über eine "Achterbahn des intellektuellen Vergnügens". In der FAZ frohlockt Alexander Honold über dieses "Glanz- und Schelmenstück ersten Ranges". In der SZ bekundet Jens Bisky, dieses Buch nur sehr unwillig beendet zu haben.

Rechtzeitig zum hundertfünfzigsten Geburtstag von Sigmund Freud erscheint einen Geschichte der Psychoanalyse, von der die Zeit bisher nur zu träumen gewagt hat. Außergewöhnlich materialreich und dabei wunderbar lesbar schildere Eli Zaretsky in "Freuds Jahrhundert" die mannigfaltige Wirkungsgeschichte der außergewöhnlich wirkmächtigen Theorie. Dabei bleibt Zaretsky immer in angenehmer Distanz zum Untersuchungsgegenstand, dessen Grundprobleme auch mal ironisch durchanalysiert werden. Die restlos zufriedene Zeit hofft nun nur noch, dass Zaretsky mit einem Buch über die aktuelle weltweite Rezeption der Psychoanalyse nachlegt.


Kunst

So feinsinnig wie der Restaurator Antonio Forcellino mit seinen Skultpturen umgeht, behandelt er "Michelangelo" auch in seinem Buch. "So klar hat schon lange niemand mehr erklärt, worin Genie besteht", versichert die Zeit, die es besonders freut, dass endlich nicht Michelangelos vermutete Homosexualität, sondern seine Werke im Mittelpunkt stehen. Jedes wird einige Seiten lang vorgestellt, die bahnbrechenden Methoden Michelangelos wie die ätherischen Lasuren erklärt, um dann auf die einzigartige Komposition zu sprechen zu kommen, die schlaffe menschliche Körper in etwas Wunderbares verwandelt, in "Chiffren des Schmerzes, der Liebe, des Willens".

Zwei weiteren Giganten der Renaissance und des Barock wurden Prachtbände gewidmet, die Kritkerherzen höher schlagen lassen. Frank Zöllners monumentale Monografie zu "Botticelli" überzeugt die FAZ durch den Verzicht auf intellektuelle Wortakrobatik. Die Zeit hätte sich nur eine weniger pompöse Aufmachung gewünscht. Wie Arne Karsten den Schöpfer des barocken Rom "Bernini" in die gesellschaftlichen und politischen Turbulenzen seiner Zeit einordnet, fesselt die FAZ an den Kritikersessel. Am Ende steht sie dann aber staunend vor einem jesuitischen theatrum mundi, in dem die ganze Welt opernhaft erhöht erscheint.


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