Bücher der Saison

Politische Bücher 2013

22.11.2013. Im dritten Teil der Bücher der Saison stellen wir die meistdiskutierten politischen Bücher vor. Es geht um Zukunftsthemen wie Big Data, um einen mit der Moderne versöhnten Islam, Rechtsextremismus, die neuen Kriege und den Liberalismus.
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Zukunft

Big Data ist mehr als nur das Erfassen ungeheurer Datenmengen. Big Data bedeutet, dass nicht mehr nach Kausalitäten gefragt wird, sondern nach Korrelationen und Mustern: Wo es einmal ein Erdbeben gegeben hat, wird es wahrscheinlich auch ein zweites geben, wer einmal eine Straftat begangen hat, wird es wieder tun. Der Economist-Redakteur Kenneth Cukier und der in Oxford lehrende Datenrechtler Viktor Mayer-Schönberger zeigen in ihrem Buch "Big Data" () sehr deutlich, dass mit dem neuen Datenregime nicht nur jede Privatsphäre aufgegeben wird, sondern auch die Unschuldsvermutung. Menschen können für Taten verantwortlich gemacht werden, die sie noch gar nicht begangen haben. Positiv, wenn auch mit Schrecken wurde das Buch von Helmut Mayer in der FAZ und von Margaret Heckel im Dradio Kultur aufgenommen. In ihrem ebenfalls "Big Data" betitelten Sammelband () beleuchten Heinrich Geiselberger und Tobias Morstedt vor allem auch die Auswirkung der datengestützen Prognosen auf die Wissenschaften.

Nate Silver ist alles andere als ein Anhänger von Big Data und trotzdem der Großmeister der Prognose. In seinem Buch "Die Berechnung der Zukunft" beim Verlag, ) zeigt er, dass Daten nicht für sich sprechen, sondern interpretiert werden müssen. In der SZ nickt Bernd Graff zustimmend mit dem Kopf, wenn Silver darlegt, dass eigentlich die wichtigsten Signale im Rauschen der Daten unterzugehen drohen. In der FAZ attestiert Günter Hack dem Statistiker eine geradezu creepy coolness, etwa wenn Silver die Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen berechnet. Michel Serres dagegen hat mit "Erfindet euch neu!" (), einer Liebeserklärung an die vernetzte Generation, die Rezensenten nicht unbedingt überzeugt. Auch wenn sie die Sicht des französischen Philosophen auf die "kleinen Däumlinge" ganz hübsch finden, halten sie seine Sicht auf die digitale Zukunft entweder für fahl (NZZ) oder für naiv (SZ).

Hingewiesen sei außerdem auf Josef Foschepoths Band "Überwachtes Deutschland" der den fassungslosen Rezensenten mit seiner Geschichte der Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik die Augen öffnete, William Gibsons zukunftsmüder Essayband "Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack" beim Verlag,und Dirk von Gehlens Essay über die Veränderung von Kunst und Kultur durch die Digitalisierung, "Eine neue Version ist verfügbar - Update"


Politik

Man hätte dieses Buch natürlich auch in die Rubrik "Religion" stellen können, aber "Den Islam neu denken" beim Verlag,ist auch ein sehr politisches Anliegen der Hamburger Professorin für Islamstudien, Katajun Amirpur. Sie sucht nach einem Weg, den Islam mit der Demokratie und der Moderne zu versöhnen. Dazu stellt sie sechs Korangelehrte vor, die einem modernen, nicht auf den buchstäblichen Text fixierten Islam das Wort reden. Zwei Schiiten sind darunter und vier Sunniten, vier Männer und zwei Frauen, berichtet Angelika Neuwirth in der Zeit, die die Bedeutung dieses Buchs gar nicht genug betonen kann. Amirpur redet die Schwierigkeiten nicht klein, lobt in der SZ Rudolph Chimelli. Er hat außerdem einen guten Überblick über die diversen islamischen Reformbemühungen seit dem 19. Jahrhundert bekommen. Auch FAZ-Rezensentin Necla Kelek fand das Buch sehr interessant. Sie gibt nur zu bedenken, dass Reformbemühungen in den islamischen Ländern selbst kaum voran kommen. Sie finden eher statt im Exil, in den säkularen Demokratien.

Aktueller - man muss es leider sagen - könnte Martin Langebachs und Andreas Speits Buch über "Europas radikale Rechte" nicht sein: In Deutschland ermorden drei Rechtsradikale jahrelang türkische und deutschtürkische Bürger, in Ungarn marschieren Schwarzhemden und verbreiten Hetzparolen gegen Sinti und Roma, in Griechenland erreichte die "Goldene Morgenröte" mit ihren rassistischen Parolen bei den Parlamentswahlen 2012 6,97 Prozent der Wähler, in Frankreich erreichte der rechtsextreme Front National Präsidentschaftswahlen 2012 17,9 Prozent der Wähler. Der Band informiert über Programme, Personal und Ausrichtung der Rechten in europäischen Ländern. Dass er kaum analytische Tiefe hat, verzeihen ihm die Rezensenten in FAZ und SZ gern, denn hier ist immerhin das Material zusammengetragen worden, auf dessen Grundlage Analyse erst möglich ist.

Den Krieg gegen den Terror führen die USA unter Präsident Barack Obama nicht mehr mit Bodentruppen, und auch nicht mehr mit Entführungen, Geheimgefängnissen und Folter wie unter George Bush, sondern als Drohnenkrieg, wobei sich besonders die CIA mit ihrem Programm der mehr oder weniger gezielten Tötungen hervortut. Mark Mazzetti, Geheimdienst-Experte der New York Times, beschreibt in seinem Buch mit dem irreführenden deutschen Titel "Killing Business" beim Verlag, ) diese geheime Kriegsführung per Fernbedienung (die aber kein Geschäft ist). In Amerika scheint sich die Stimmung langsam auch dank Mazzettis Buch inzwischen gegen einen nie endenden Drohnenkrieg zu wenden, erklärt Gregor Peter Schmitz im Deutschlandfunk. In der FAZ konstatiert Herfried Münkler, dass das Buch "zum Besten gehört, was investigativer Journalismus liefern kann". Jeremy Scahill befasst sich in seinem Buch weniger mit den unterschiedlichen Nuancen in der amerikanischen Kriegsführung, sondern subsumiert sie allesamt unter der Rubrik "Schmutzige Kriege" (). Franziska Augstein erinnert in der SZ an Scahills verdienstvolle Recherchen zum Söldnerdienst Blackwater und ist auch von dem neuen Buch einfach erschüttert. Die taz sieht das ähnlich und bemerkt vor allem die Bitterkeit, mit der Scahill über Barack Obama schreibt.

Bereits im letzten Bücherbrief empfohlen hatten wir Mark Mazowers "Die Welt regieren" beim Verlag, ), eine veritable Geschichte des Internationalismus, die vom Wiener Kongress bis heute der Frage nachgeht, welchen Einfluss internationale Institutionen haben können. In der Zeit zeigt sich Elisabeth von Thadden sehr beeindruckt: "Wann zuletzt hat ein Buch die politische Welt ein wenig verstehbarer gemacht?" Und als eines der klügsten Bücher über Israel wurde Diana Pintos Buch "Israel ist umgezogen" () empfohlen. Die französische Philosophin, Tochter italienischer Juden, zeichnet in ihrem Reiseessay das Bild eines Landes, das seine Probleme nicht mehr politisch lösen will, sondern mit einem technologischen Ultramodernismus zu überspringen versucht, bei gleichzeitigem Rückzug in einen religiösen Traditionalismus. In der taz zeigt sich Micha Brumlik sehr beeindruckt von dieser hochintellektuellen "Tiefenbohrung in die jüdische Identität".

Gleichermaßen Anklang gefunden haben zwei Bücher, die die politische Theorie aus eher entgegengesetzten Positionen pflegen: Judith Shklars vor 25 Jahren im Original erschienener Essay "Der Liberalismus der Furcht" () versteht den Liberalismus als Abwehrmittel gegen Grausamkeit wie auch als sanfte Kritik am Sozialstaat und überzeugt damit die Rezensenten von SZ und NZZ. Pierre Rosanvallons "Die Gesellschaft der Gleichen" () loben sowohl taz als auch FAZ für seine kluge Rehabilitierung des Gleichheitsbegriffs. Die SZ empfiehlt Rosanvallon als größten französischen Gegenwartshistoriker.

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