Intervention

Belohnung für gute Zahlungsmoral

Von Richard Herzinger
16.08.2019. Donald Trumps Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, droht damit, amerikanische Truppen aus Deutschalnd abzuziehen. Nachzuvollziehen ist daran nur seine Kritik am geringen deutschen Verteidigungshaushalt.  Aber die USA stationieren ihre Truppen in Dueutschland nicht als Serviceagentur - sondern aus geostrategischen Interessen.
Einmal mehr hat der US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, die deutsche Öffentlichkeit mit einer provokanten Äußerung aufgeschreckt: Er sprach sich für einen teilweisen Abzug der US-Truppen aus Deutschland und ihre Verlegung nach Polen aus. Grenell wiederholte damit eine vor einiger Zeit schon einmal von Donald Trump geäußerte Drohung. Doch bereits vor Trump hätten, so der Botschafter, zahlreiche US-Präsidenten "die größte Volkswirtschaft Europas gebeten, für ihre eigene Verteidigung zu zahlen." Weil Berlin aber weiterhin nicht genügend Mittel für das westliche Bündnis aufbringen wolle, müssten die USA jetzt darauf reagieren.

In dieser Drohung manifestiert sich jedoch die ganze Wirrnis der Haltung der Trump-Regierung gegenüber den europäischen Nato-Verbündeten. Zwar ist die scharfe US-Kritik an Berlins fehlender Bereitschaft, einen angemessenen Beitrag zur transatlantischen Verteidigung zu leisten, durchaus berechtigt. Deutschland liegt bei den Verteidigungsausgaben trotz eines deutlichen Zuwachses mit 1,36 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr weit unter dem Nato-Ziel, das zwei Prozent bis 2024 vorsieht. Die Bundesregierung hat erklärt, den deutschen Wehretat bis dahin nur auf 1,5 Prozent erhöhen zu wollen. Doch nach der aktuellen Finanzplanung wird man wohl nicht einmal diese erreichen.

Als Schlussfolgerung daraus aber die Drohung abzuleiten, einen Teil der US-Truppen aus Deutschland abzuziehen, ist paradox und irrational. Sie erweckt den Eindruck, 35.000 US-Soldaten seien primär deshalb in Deutschland stationiert, um den Deutschen einen Gefallen zu tun und ihnen die Kosten für ihre Verteidigung abzunehmen. Der wirkliche Grund dafür ist jedoch, dass Deutschland das politisch, wirtschaftlich und geostrategisch wichtigste Land in Europa ist. Schon Lenin soll gesagt haben: "Wer Deutschland hat, hat Europa". Würden sich die USA daher nun freiwillig aus Deutschland zurückziehen, schadeten sie vor allem ihren eigenen geostrategischen Interessen. Bestraft würden damit auch alle anderen europäischen Verbündeten, für die der gesicherte Verbleib Deutschlands im westlichen Bündnis eine essenzielle Voraussetzung für ihre eigene Sicherheit ist. Die deutsche Bündnistreue aber wird durch nichts effektiver garantiert als durch die Präsenz von US-Truppen auf deutschem Boden. Ein US-Abzug aus Deutschland würde daher Wladimir Putin und seine deutschen Helfer, die dem Grundsatz Lenins treu bleiben, in Jubelstimmung versetzen.

Das Problem ist zudem, dass ein großer Teil der Deutschen die Drohung mit einem Rückzug der US-Truppen gar nicht als eine solche empfindet. Angesichts wachsender Amerikaskepsis in der deutschen Wählerschaft ist jedenfalls nicht zu erwarten, dass sich Berlin, erschrocken über das Machtwort der USA, nun doch noch zu einer Erhöhung seines Verteidigungsetats entschließen wird. Im Gegenteil: Der drohende Tonfall aus Washington bestärkt jene Kräfte in Deutschland, die schon seit geraumer Zeit erklären, man könne sich auf amerikanische Sicherheitsgarantien sowieso nicht mehr verlassen. Und die Aussicht auf einen möglichen Abzug der USA gibt jenen antitransatlantischen Kräften weiteren Auftrieb, die Deutschland lieber heute als morgen von Amerika abkoppeln und sich mit Russland zu einer "gemeinsamen Sicherheitsarchitektur" zusammenschließen wollen. Die Stellungnahme eines führenden Mitglieds der Bundestagsfraktion der Linkspartei macht deutlich, wer sich über Grenells Äußerung am meisten freut: "Der Teilabzug ist endlich mal eine gute Idee aus der US-Administration", heißt es darin. "Das Angebot sollte die Bundesregierung dankend annehmen und darauf drängen, dass als erstes der Abzug der in Deutschland stationierten US-Atomwaffen erfolgt."

Damit ist grundsätzlich nichts gegen die Stationierung von US-Truppen in Polen gesagt, sofern sie strategisch begründet ist. Es zeugt jedoch von einer seltsamen Logik, wenn sich die US-Botschafterin in Polen mit folgendem Argument für eine Verlegung von US-Truppen ausspricht: "Polen erfüllt seine Zahlungsverpflichtung von zwei Prozent des BIP gegenüber der Nato. Deutschland tut das nicht. Wir würden es begrüßen, wenn die amerikanischen Truppen in Deutschland nach Polen kämen." Das klingt so, als sei die Anwesenheit von US-Truppen eine Belohnung für gute Zahlungsmoral. Das Kriterium dafür, wo US-Truppen in Europa stehen sollen, muss jedoch sein, wo sie für die Sicherheit ganz Europas am sinnvollsten positioniert sind. Oder soll die US-Armee jetzt wie ein privater Sicherheitsdienst funktionieren, der dem Kunden zur Verfügung steht, der am besten zahlt?

Von allen denkbaren Druckmitteln, die eingesetzt werden könnten, um Deutschland zur Erfüllung seiner Nato-Verpflichtungen zu drängen, ist die öffentliche Ankündigung der USA, in Deutschland das Feld räumen zu wollen und es damit faktisch den Antiamerikanern und Putinfreunden von links bis rechts zu überlassen, das ungeeignetste. Es ist eine Dummheit, die tendenzielle Unterminierung der westlichen Verteidigungsfähigkeit durch Deutschlands chronische Wehrunwilligkeit damit zu beantworten, dass man seinerseits die Grundlagen des westlichen Verteidigungsbündnisses in Frage stellt.

An dieser Feststellung ändert nichts, dass die Realisierung der Gedankenspiele Trumps und Grenells eher unwahrscheinlich ist. Zu viel haben die USA bereits in ihre militärische Infrastruktur in Deutschland investiert, als dass sie die ungeheuren Kosten ihrer Verlegung auf sich nehmen würden. Doch schon allein mit leichtfertige öffentlichen Drohungen um sich zu werfen, bestimmten Alliierten, mit denen man unzufrieden ist, den Schutz zu entziehen, schwächt das westliche Bündnis elementar - und lässt seine Feinde frohlocken.

Richard Herzinger

Der Autor ist Korrespondent für Politik und Gesellschaft der Welt und Welt am Sonntag. Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt - hier der Link zur aktuellen Kolumne. In der Reihe "Intervention" möchten wir künftig kompakte, meinungsstarke Stücke zu politischen oder kulturellen Themen veröffentlichen. D.Red.