Intervention

Unter Berufung auf Religion

Von Thierry Chervel
29.08.2022. Saba-Nur Cheema und Meron Mendel setzen in ihrer FAZ-Kolumne die Mohammed-Karikaturen mit den antisemitischen Zeichnungen der Documenta 15 gleich. Die beiden sind einflussreich und werden von der Politik gern als Experten konsultiert. Umso ärgerlicher ihre Falschbehauptungen.
Das multikulturelle Paar Saba-Nur Cheema und Meron Mendel, die beide publizistisch und organisatorisch mit Antidiskriminierung befasst sind, gelten als Spezialisten für jene intrikaten identitätspolitischen Fragen, die die Öffentlichkeit heutzutage in Atem halten. Sie versuchen, eine aufgeklärte Position zu vertreten, dabei aber die Verbindung zur antirassistischen Szene zu halten, eine ehrenwerte Position. Die beiden werden bei bei Streitthemen gern als Experten konsultiert. Meron Mendel spielte bei der missglückten Aufarbeitung des Documenta-Debakels eine wichtige Rolle und versuchte auch hier, differenzierte Positionen zu vertreten, die wiederum den Konnex zur modischen Linken nicht völlig aufgaben, aber dennoch Antisemitismus zu benennen versuchen, wo er war.

Die beiden spielen auch in anderen wichtigen Fragen eine große Rolle. Mendel gehört zu den bekanntesten Anhängern eines Demokratiefördergesetzes: Damit wollen Organisationen der "Zivilgesellschaft", die auch jetzt schon großenteils staatlich finanziert werden, ihre Förderung auf Dauer stellen. Bisher müssen Institutionen wie die Anne-Frank-Bildungsstätte, deren Direktor Mendel ist, sich noch einer Evaluierung in bestimmten Fristen stellen. Sie leben in der Unsicherheit, ob ihre Förderungen verlängert werden. Der Staat ist inzwischen umgeben von einer ganzen Galaxie "zivilgesellschaftlicher" Organsationen, die alle behaupten, sie verträten die Gesellschaft und deren Funktionäre alle gern nach dem Tarifsystem des öffentlichen Dienstes bezahlt würden.
 
Cheema und Mendel haben in ihrer Eigenschaft als jüdisch-muslimisches Paar, das überdies auch professionell den "Dialog der Kulturen" pflegt, sogar eine Kolumne in der FAZ. Wenn sie hier zur Rushdie-Affäre schreiben (unser Resümee), ist es angesichts ihres großen Einflusses wichtig, den Artikel zur Kenntnis zu nehmen. Sie sagen nichts Falsches, und referieren die Rushdie-Affäre wie für ein Uni-Seminar: Daran merkt man, wie jung sie noch sind. Sie erzählen als "Geschichte", was unsereiner noch live erlebte.

Sie verteidigen Rushdie, so weit so gut. Aber für diese Verteidigung bringen sie ein symbolisches Opfer: die Mohammed-Karikaturen. Hier schreiben sie zwei Dinge, die man so nicht stehen lassen darf. Bei Rushdie, schreiben sie, sei Satire völlig legitim, bei den Karikaturen sei sie es nicht. "Wenn in den sogenannten Mohammed-Karikaturen, die von Dänemark bis Frankreich abgedruckt wurden, Muslime als hakennasig abgebildet werden, mit einer natürlichen Neigung zu Gewalt und zur Sodomie mit Kamelen - dann reden wir über etwas anderes, nämlich über Islamfeindlichkeit und Rassismus."

Und sie setzen die Mohammed-Karikaturen mit den antisemitischen Zeichnungen bei der Documenta 15 gleich: "In der Diskussion über antisemitische Kunstwerke auf der Documenta 15 kam glücklicherweise auch niemand auf die Idee, dass die Darstellung von Juden mit blutunterlaufenen Augen, Vampirzähnen und Hakennase nur Religionskritik war."

Mehrere Dinge sind daran auf empörende Weise falsch: Ich kenne nicht alle Karikaturen, die in Charlie Hebdo je zum Thema Islam veröffentlicht wurden. Man kann sicher sein, dass einige dieser Karikaturen misslungen sind. Manche sind wirklich drastisch. Aber die Charlie-Hebdo-Zeichner wurden nicht wegen ihrer eigenen Karikaturen umgebracht, sondern weil sie die dänischen Mohammed-Karikaturen noch ein zweites Mal veröffentlicht hatten und überhaupt daran festhielten, dass man solche Karikaturen zeichnen darf.

Auch einige ihrer eigenen Karikaturen erlangten natürlich Berühmtheit: Aber keine der Karikaturen, die mit den Morden an den Charlie-Hebdo-Zeichnern in Zusammenhang stehen, stellt meines Wissens eine Verbindung zwischen Muslimen und Sex mit Tieren her. Wenn Cheema und Mendel das behaupten, sollten sie es belegen. Womit wir bei einem der Probleme wären, die es stets mit diesen Karikaturen gab: Anders als Cheema und Mendel behaupten, haben viele Zeitungen die Karikaturen nicht nachgedruckt und machten es dem Publikum schwer, sich selbst ein Bild zu machen. Das macht es leicht, falsche Behauptungen über diese Karikaturen in die Welt zu setzen. Für Cheema und Mendel sind die Karikaturen damit so etwas wie ein Kollateralschaden, den sie in Kauf nehmen, um ihre antirassistische Klientel bei Laune zu halten. Die FAZ hat meines Wissens nie alle dänischem Mohammed-Karikaturen veröffentlicht, schon gar nicht, als der Streit akut war. Keine der dänischen Mohammed-Karikaturen zeigt Sodomie mit Kamelen. Die Zeitung sollte diese Falschbehauptung korrigieren.

Aber es ist noch mehr falsch an dem, was Cheema und Mendel sagen. Die Gleichsetzung mit den Documenta-Zeichnungen ist bestürzend. Nochmal: Niemand kam bei den Documenta-Zeichnungen auf die Idee, "dass die Darstellung von Juden mit blutunterlaufenen Augen, Vampirzähnen und Hakennase nur Religionskritik war", schreiben sie. Erstens tun die beiden in ihrer Logik des symbolischen Opfers so, als würden sich die Documenta-Zeichnungen und die Mohammed-Karikaturen auf einem Niveau bewegen. Aber die Documenta-Karikaturen wiederholen nur uralte antisemitische Klischees. Die dänischen Mohammed-Karikaturen thematisieren dagegen selbst - mehr oder weniger originell und gekonnt - die Schwierigkeit der westlichen Öffentlichkeit im Umgang mit der islamistischen Herausforderung. Ich sehe in diesen Zeichnungen keine Hakennase. Die Zeichner setzen sich im übrigen ironisch mit der Vorgabe der Redaktion auseinander, die fragte, ob man Mohammed wirklich nicht in Karikaturen darstellen darf. Das alles sind völlig legitime Versuche einer Selbstreflexion der demokratischen Öffentlichkeit.

Zweitens offenbart die Argumentation Cheemas und Mendels en passant, dass die Ideologie des Antirassismus Antisemitismus und "antimuslimischen Rassismus" als etwas Gleiches behandeln will. Aber es handelt sich nicht um Parallelen: Das Judentum ist nicht nur eine Religion, sondern ein Volk. Eine antisemitische Karikatur kann nicht behaupten, sie leiste Religionskritik. Ihr Antisemitismus erweist sich darin, dass sie eine Bevölkerungsgruppe attackiert. Das Judentum ist - im Vergleich zum Islam - eine winzige Minderheit, die eine zweitausendjährige Geschichte essenzialisierender Denunziation erlitten hat. Der Islam ist dagegen die neben dem Christentum mächtigste Religion der Welt. Der Islam ist in Saudi Arabien, dem Iran und anderen Staaten Staatsreligion. Diese islamistischen Staaten sind als Lobby mächtig und betreiben totalitäre, gewalttätige und antidemokratische Politiken unter Berufung auf Religion. Und der Islam ist nicht im entferntesten eine "Rasse". Sein Anspruch ist universell, eine Essenzialisierung, wie sie antisemitische Karikaturen betreiben, ist beim Islam mit seinen Milliarden Menschen und verschiedenen Formen überhaupt nicht möglich. Der Begriff "antimuslimischer Rassismus" ist die Erfindung interessierter Gruppen, die Religion tabuisieren wollen. Dabei nimmt man sich ein Vorbild am angeblichen Tabu des Antisemitismus.

Die Affäre um die Mohammed-Karikaturen nahm ein solches Ausmaß an, weil Gerüchte über diese Karikaturen verbreitet wurden - nicht die Zeichnungen stehen an ihrem Ursprung, sondern fromme Kräfte, die an diesem Tumult interessiert waren. Wenn Cheema und Mendel tatsächlich aufgeklärte Positionen vertreten wollen, sollten sie ihre Behauptungen belegen.

Thierry Chervel