Intervention

Zu erwartende Konfrontation

Von Richard Herzinger
15.08.2022. Auf Israel kommt immer drängender eine strategische Grundsatzentscheidung zu: Soll es an seiner Taktik festhalten, Konflikten mit Russland möglichst aus dem Weg zu gehen - und sich damit tendenziell von Moskaus Willkür abhängig machen? Oder soll es dem russischen Vorherrschaftsstreben im Nahen Osten offensiv entgegentreten?
Russland wird für Israel zunehmend zu einem gravierenden sicherheitspolitischen Problem. Mit russischer Duldung konnte der jüdische Staat bisher in Syrien Luftangriffe auf Stellungen des Iran und der von ihm gesteuerten libanesischen Hisbollah fliegen, um sie daran zu hindern, sich an der israelischen Grenze festzusetzen. Doch diese Übereinkunft mit Moskau ist vor dem Hintergrund von Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine brüchig geworden.

Die israelische Sicherheitspolitik, die sonst dafür bekannt ist, die Interessen, Absichten und verborgenen Motive weltpolitischer Akteure sehr realistisch einzuschätzen, hat sich in Bezug auf Putins Russland lange Zeit Illusionen hingegeben. Die Allianz des Kreml mit dem Iran, der die Vernichtung Israels zu seinem Staatsziel erhoben hat, schätzten maßgebliche israelische Strategiefachleute als ein nur temporäres Zweckbündnis ein. Ungeachtet der gemeinsamen Kriegsführung Moskaus und Teherans in Syrien erhofften sie sich deshalb von Russland Unterstützung bei der Eindämmung des iranischen Regimes. Manche Experten glaubten sogar, Russland werde nach der Sicherung der Herrschaft Assads den Iran dazu nötigen, seine militärische Präsenz in Syrien aufzugeben.

Doch das hat sich als schwerwiegende Fehleinschätzung erwiesen. Im Zuge der Radikalisierung seines antiwestlichen Kurses hat das Putin-Regime seine Beziehungen zum iranischen Regime im Gegenteil  immer mehr gefestigt. Im Zeichen des russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine werden sie nun sogar noch erheblich enger. Angesichts der drohenden internationalen Isolation infolge der westlichen Sanktionen baut Russland seine Beziehungen zu Terrorstaaten wie Iran, Syrien und Nordkorea systematisch aus. Dies impliziert eine noch intensivere militärische Zusammenarbeit Moskaus mit Teheran. Je aggressiver aber der Iran sowie seine Stellvertretertruppen in Gaza und dem Libanon gegen Israel agieren, desto größer wird dementsprechend die Gefahr, dass sich an ihrer Seite auch Russland offen gegen den jüdischen Staat wenden könnte.

Israel befindet sich gegenüber Putins Russland nunmehr in einer strategischen Sackgasse. Um den Modus Vivendi mit dem Kreml nicht zu gefährden, hat es ihm erhebliche weltpolitische Konzessionen gemacht. So hat es 2014 die Annexion der Krim nicht verurteilt, beteiligt sich nicht an den nach der russischen Großinvasion vom 24. Februar verhängten westlichen Sanktionen und liefert der Ukraine keine Waffen. Doch alleine dadurch, dass Israel der UN-Resolution zur Verurteilung des russischen Angriffskrieg zugestimmt hat und sich in vielfältiger Weise mit der Ukraine solidarisch zeigt, hat es das Putin-Regime gegen sich aufgebracht..

Insbesondere die scharfe Verurteilung der russischen Kriegsverbrechen in Butscha durch den damaligen Außenminister und jetzigen Ministerpräsidenten Jair Lapid haben den Kreml in Wut versetzt. Als Vergeltungsmaßnahme hat er unter anderem angedroht, die Tätigkeit der Jewish Agency zu unterbinden, einer israelischen NGO, die russische Juden bei der Einwanderung nach Israel unterstützt. Generell hat Russland den Ton gegenüber Israel deutlich verschärft und prangert nun häufiger und heftiger dessen angeblich ausufernde militärischen Aktivitäten in Syrien an. Im Mai dieses Jahres sollen russische Kräfte im Nordwesten Syriens sogar das Feuer auf israelische Kampfjets eröffnet haben.

Auf Israel kommt nun immer drängender eine strategische Grundsatzentscheidung zu: Soll es an seiner Taktik festhalten, Konflikten mit Russland möglichst aus dem Weg zu gehen - und sich damit tendenziell von Moskaus Willkür abhängig machen? Oder soll es dem russischen Vorherrschaftsstreben im Nahen Osten offensiv entgegentreten? Letzteres wäre gewiss nicht ohne Risiko. Doch alleine durch die wachsende Bindung Russlands an den Iran wird eine Verschlechterung der russisch-israelischen Beziehungen ohnehin unausweichlich sein. Der entsprechend zu erwartenden Konfrontation aber kann sich Israel, als Atommacht und mit dem Hauptverbündeten USA im Rücken, durchaus selbstbewusst stellen.

Die gegen den ukrainischen Präsidenten gerichteten antisemitischen Ausfälle von Russlands Außenminister Lawrow in diesem Frühjahr, denen zufolge Hitler "jüdisches Blut" gehabt habe und "die eifrigsten Antisemiten in der Regel selbst Juden" seien, sollten für Israel dabei ein Alarmzeichen sein. Haben sie doch offenbart, dass die von Putin gerne zur Schau gestellte vermeintliche Judenfreundlichkeit des russischen Regimes nichts als eine monströse Lügen ist.

Dennoch stehen erhebliche Teile der israelischen Rechten Putin und seiner autoritären Ideologie durchaus mit einiger Sympathie gegenüber. Der frühere Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der nach den anstehenden Neuwahlen im Herbst wieder ins Amt kommen könnte, pflegte ein geradezu herzliches Verhältnis zu Putin, das weit über einen rein pragmatischen Umgang hinausging. Unvergessen ist, wie der Kreml-Herrscher vor zweieinhalb Jahren bei seinem Besuch in Israel, anlässlich seiner Rede zum Holocaust-Gedenktag in der Gedenkstätte Yad Vashem, von Netanjahu als bevorzugter Staatsgast hofiert wurde. Gleichsam mit den Weihen des israelischen Regierungschefs durfte Putin in Yad Vashem seine geschichtsrevisionistische Legende von der vermeintlich makellos antinazistischen Sowjetunion ausbreiten und das heutige Russland als den legitimen Erben dieser Tradition anpreisen.

Die Nähe zu Putins Russland gefährdet die israelische Demokratie somit auch von innen her. Abgesehen von dem korrumpierenden russischen Geld, das in das Land fließt - die Gefahr, dass sich Netanjahu und der Likud im Falle ihrer Rückkehr zur Macht vom Vorbild Putins inspirieren lassen und die Unabhängigkeit von Justiz und Medien beschneiden könnten, ist groß. Doch nur als demokratischer Rechtsstaat kann Israel auf Dauer seine Eigenständigkeit und Stärke bewahren. Seine Demokratie kann es indes nur erhalten, wenn es sich, als fester Bestandteil der freien Welt, deutlich gegen den mörderischen, expansiven russischen Autoritarismus positioniert.

Richard Herzinger

Der Autor arbeitet als Publizist in Berlin. Hier seine neue Seite "hold these truths". Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. D.Red. Hier der Link zur Originalkolumne.