Intervention

Mit Vehemenz

Von Richard Herzinger
17.01.2020. Der Westen, hört man oft, könne anderen Kulturen nicht "seine Werte aufzwingen" und solle daher aufhören, andersartige politische Systeme zur Demokratie "bekehren" zu wollen. In Wirklichkeit aber sind es autoritäre Regimes wie die des Iran, Chinas und Russlands, die ihrer eigenen Bevölkerung ebenso wie anderen Völkern mit Gewalt ihre "Werte" aufzwingen. In diesen Ländern regen sich Demokratiebewegungen, die der Westen nicht im Stich lassen sollte.
Das neue Jahrzehnt hat mit starken Signalen der Hoffnung für die Sache der Demokratie weltweit begonnen. Bei der Präsidentschaftswahl in Taiwan setzte sich die Amtsinhaberin Tsai Ing-wen, die für die Verteidigung der Unabhängigkeit des demokratischen Inselstaats gegen den Vorherrschaftsanspruch der Volkrepublik China steht, mit großem Vorsprung durch. Das Land sendete damit ein klares Signal an das totalitäre Regime in Peking, das die Wahl mittels massiver Desinformationskampagnen zu beeinflussen versucht hatte. In ihrer Siegesrede erklärte Tsai Ing-wen, Taiwan werde "gegenüber Drohungen und Einschüchterung nicht einknicken". Nach den Kommunalwahlen in Hongkong Ende vergangenen Jahres, aus denen die Protestbewegung gegen die drohende Gleichschaltung durch das kommunistische China siegreich hervorging, bedeutet das Wahlergebnis in Taiwan einen weiteren empfindlichen Rückschlag für die Expansionsgelüste der chinesischen Machthaber.

Im Iran hat sich die Opposition gegen das islamistische Mullah-Regime trotz brutaler Repression mit großen Demonstrationen erneut eindrucksvoll bemerkbar gemacht. Die plötzliche Kehrtwende des Regimes vom dreisten Leugnen zu dem Eingeständnis, die kurz nach dem Start in Teheran abgestürzte ukrainische Passagiermaschine abgeschossen zu haben, zeigt, wie angeschlagen und im Inneren uneins das iranische tatsächlich Regime tatsächlich ist. Nach dem ihr vorausgegangenen antiamerikanischen Propagandagetöse hatte die iranische "Vergeltungsaktion" gegen die USA als Reaktion auf die Tötung des iranischen Terror-Generals Soleimani bereits eher kläglich gewirkt. Und mit dem Fehlschuss, der 176 unbeteiligte Menschen in der ukrainischen Maschine das Leben kostete, hat das Regime dann auch noch ein verheerendes Eigentor geschossen.

Unabhängig von den Motiven von US-Präsident Trump und der Frage, ob dahinter überhaupt irgendeine strategische Überlegung steckte, erweist sich die Beseitigung Soleimanis, der nicht zuletzt für schwerste Kriegsverbrechen gehen die Zivilbevölkerung in Syrien verantwortlich war, somit als das richtige Signal. Aggressive Mächte wie die Islamische Republik Iran geben nur nach, wenn ihnen mit unzweideutiger Härte die Grenzen aufzeigt werden. Gleichwohl gilt es, auf der Hut zu bleiben: Gerade im angeschlagenen Zustand, den drohenden Untergang vor Augen, bleiben autoritäre und totalitäre Systeme gefährlich und unberechenbar.

Ob den USA unter ihrer gegenwärtigen Führung eine konsistente Abschreckungspolitik gegenüber dem Iran zuzutrauen ist, bleibt indes fraglich. Stand der Schlag gegen Soleimani doch im Gegensatz zur Rückzugslogik der Außenpolitik Trumps und seiner erklärten Absicht, das militärische Engagement der USA im Nahen Osten schnellstmöglich zu beenden. Die verschärfte Konfrontation mit Teheran stellt Trump nun aber vor die Notwendigkeit, sich für größere militärische Konfrontationen in der Region zu rüsten. Ebenso sah er sich dazu genötigt, der Protestbewegung im Iran öffentlich seine Unterstützung zu bekunden - obwohl die Förderung von Menschenrechten eigentlich nicht auf seiner nationalistischen außenpolitischen Agenda steht.

Um Irans Einfluss in der Region tatsächlich zu schwächen, darf man ihm aber auch in Syrien nicht länger das Terrain überlassen. Dazu aber müsste von westlicher Seite endlich auch Putins Russland, Irans Kriegsverbündetem und Paten des iranischen Expansionskurses in der Region, mit Stärke begegnet werden, statt ihn weiterhin als "Vermittler" und "Stabilitätspartner" zu hofieren. Genau dies aber tut die deutsche Bundesregierung derzeit sogar noch in verstärktem Maße. So reisten Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas mitten in der Iran-Krise ausgerechnet zu Wladimir Putin nach Moskau, um sich mit ihm über Krisenlösungen zu einigen. Wie von unsichtbarer Hand geführt laufen die deutschen Appelle zur "Deeskalation" stets auf eine Annäherung an Moskau hinaus, und der chronische Aggressor wird so ein ums andere Mal zum potenziellen Friedensstifter aufgewertet. Das ist auch für die Ukraine eine große Gefahr. Denn dass Berlin zunehmend auf Russland als "Ordnungsmacht" im Nahen Osten setzt, lässt befürchten, dass es Putin auch in den aktuellen Verhandlungen über die Befriedung der Ostukraine noch größere Zugeständnisse machen wird.

Dass bereits eine entschlossene Aktion wie die gegen Soleimani genügte, um das iranische Regime ins Taumeln geraten zu lassen, und dass der entschiedene demokratische Widerstand der Bürger Hongkongs und Taiwans dem Hegemonialdrang des chinesischen Totalitarismus vorerst Einhalt gebieten konnte, zeigt dagegen, dass die vermeintliche Stärke autoritärer Regimes in Wahrheit auf tönernen Füßen steht. Im Blick auf diese hat sich im Westen jedoch im Laufe des vergangenen Jahrzehnts ein kleinmütiger Fatalismus breit gemacht. Der Westen, hört man oft, könne anderen Kulturen nicht "seine Werte aufzwingen" und solle daher aufhören, andersartige politische Systeme zur Demokratie "bekehren" zu wollen. In Wirklichkeit aber sind es autoritäre Regimes wie die des Iran, Chinas und Russlands, die ihrer eigenen Bevölkerung ebenso wie anderen Völkern mit Gewalt ihre "Werte" aufzwingen. Die Werte des freien Westens hingegen werden von Demokratiebewegungen rund um die Welt immer wieder mit Vehemenz und großer Opferbereitschaft eingeklagt. Sie müssen vom Westen nicht erst "bekehrt" werden. Ihr Problem ist vielmehr, dass sie von ihm allzu oft im Stich gelassen werden.

Richard Herzinger

Der Autor ist Korrespondent für Politik und Gesellschaft der Welt und Welt am Sonntag. Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. In der Reihe "Intervention" möchten wir künftig kompakte, meinungsstarke Stücke zu politischen oder kulturellen Themen veröffentlichen. Hier der Link zur Originalkolumne. D.Red.