Magazinrundschau - Archiv

The Independent

5 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 07.07.2020 - Independent

Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Das zeigt besonders die Geschichte des Rassismus. Dessen Ursprung liegt in der Renaissance, schreibt der Romanist Andy Martin, als die Erde rund wurde und Moral immer wichtiger: "Die Kreuzzüge und die Religionskriege und der Aufstieg der Inquisition sind Ausdruck eines zunehmend vertikalen Geschichtsbewusstseins auf der Achse der Großen Kette des Seins, mit höheren und niedrigeren Ordnungen. Die Ära der flachen, horizontalen Erde war vorbei. Es war notwendig geworden, moralisch überlegen zu sein. So wie Gott über die Menschen zu Gericht stand, so mussten wir über andere urteilen, die unseren Standards nicht gerecht wurden. Wir hatten eine völlig binäre Perspektive auf die Menschheit angenommen: Entweder war man drin oder man war draußen. Die meisten Menschen waren draußen. Ein Schwarz-Weiß-Ansatz für die moralische Bewertung war vor jeder Klassifizierung der Menschheit nach einem Farbschema festgelegt worden. Die Möglichkeit einer moralischen Vorherrschaft hatte bereits Wurzeln geschlagen. Von nun an hatten Massaker und Massenvergewaltigungen und Versklavung (wie zuvor) eine moralische Rechtfertigung erhalten. Die heroische Ära war der ethischen gewichen, die leider weniger ethisch war als je zuvor."
Stichwörter: Rassismus, Martin, Andy

Magazinrundschau vom 23.11.2010 - Independent

Wie schreibt man gut über Sex? Arifa Akbar hat dazu einige Verleger und Autoren befragt, darunter Geoff Dyer, der Folgendes zu Protokoll gibt: "'Ich glaube, wer darüber schreibt, muss es absolut eindeutig tun - keine Metaphern, keine Übertreibungen. Nachdem ich Jeff in Venice, Death in Varanasi geschrieben hatte, sagte ich zu meinem Lektor: Ich gehe jede Wette ein, dass ich nicht auf der Liste der Bad Sex Awards stehen werde. Beschreibungen 'pochender Planeten' handeln einem diese Preise ein, nicht ein Satz wie Er steckte seine Zunge in ihren Arsch.' [Jonathan] Beckmann, [Redakteur der Literary Review] stimmt Dyer zu, dass der am wenigsten ostentative Sex der wirkungsvollste ist: 'Die besten Sexszenen sind die eher klinischen, präzisen. Colm Toibins Kurzgeschichten sind ziemlich gut, es gibt eine gute Sexszene in Bret Easton Ellis' Imperial Bedrooms; Dyer hat in 'Jeff in Venice, Death in Varanasi' absolut vernünftige Szenen beschrieben. Er erzählt einfach, was passiert. Nicht gut ist dagegen eine blumige Sprache, die Sex mit transzendentaler Bedeutung tränkt.'" Philip Kerr, der 1995 den Bad Sex Award erhielt, weil er einen Ständer mit einem Gnomon verglich - "das ist das harte Teil einer Sonnenuhr" - ist ganz anderer Ansicht.
(Und hier zur Weiterbildung Colm Toibins Thesen über guten Sex in Büchern, und hier kann man die Thesen an einem unvollendeten erotischen Roman Edith Whartons überprüfen.)

Magazinrundschau vom 14.09.2010 - Independent

Im Namen der Ehre werden Frauen geköpft, verbrannt, gesteinigt, erstochen, durch Stromschläge getötet, erdrosselt und lebendig begraben. Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der ermordeten Frauen auf jährlich 5.000, Frauenorganisation in den betreffenden Ländern schätzen sie viermal so hoch. In einer sehr beeindruckenden Artikelserie befasst sich Robert Fisk hier, hier, hier und hier mit den Verbrechen an Frauen in Ägypten, Jordanien, Pakistan und den palästinensischen Gebieten. Frazana Bari, Dozentin an der Qaid al-Azzam Universität in Islamabad, hat ihm das Problem im abschließenden Artikel so erklärt: "'Die Ehre von Männern ist mit dem Verhalten von Frauen verbunden, weil sie als Besitz der Familie - und der Gemeinschaft - angesehen werden', sagt sie. 'Sie haben keine unabhängigen Identitäten, sie sind keine unabhängigen Menschen. Männer denken von Frauen als Verlängerung ihrer selbst. Wenn Frauen diese Standards verletzen, gilt das als direkter Angriff auf die Vorstellung des Mannes von seiner Identität. Also müssen Frauen diese Werte auch an die Kinder weitergeben. Man versagt als Mutter und Ehefrau, wenn die Kinder die Standards nicht einhalten.' Es dauert nicht lange, bis das Wort 'feudal' in unserer Unterhaltung fällt. 'Der Islam wird nur zum Mordwerkzeug, wenn ein bestimmtes feudales System herrscht... Gerade gab es den Fall einer schwangeren Frau, die verdächtigt wurde, eine außereheliche Affäre gehabt zu haben, ihre Familie hetzte die Hunde auf sie und sie starb. Dies sind sehr grausame, brutale Arten, Menschen zu töten. Ich habe intellektuell ein Problem, dies zu erklären.'"

Magazinrundschau vom 18.08.2009 - Independent

Im Independent berichtet Jonathan Romney über den "Streep-Effect", den man auch als einen Midas-Effekt bezeichnen könnte: Jeder Film, in dem Meryl Streep mitspielt, lässt die Kassen klingeln, und zwar nicht nur die Kinokassen. Nach ihrer Rolle in dem Musical "Mamma Mia" schossen Abba wieder in die Charts. Jüngstes Beispiel: "Meryl Streeps neuester Film, 'Julie & Julia', löst in den USA einen Kochwahnsinn aus. Einzelhändler berichten über einen riesigen Boom bei Kochbüchern, Kochkursen und Le Creuset-Töpfen. Streep spielt hier die späte Julia Child, Autorin des [1961 erschienenen] Klassikers 'Mastering the Art of French Cooking'. Das Buch, das den Film inspirierte, steht nun auf Platz 2 der New-York-Times-Bestsellerliste."

Hier macht die originale Julia Child ein Omelett:




Magazinrundschau vom 29.01.2008 - Independent

Johann Hari malt fasziniert die möglichen Auswirkungen des Internet auf unser Leben und unser Hirn aus. Gefährdet sieht er diese - nicht durch Leser oder Blogs, sondern durch die Kabelbetreiber, die in den USA und Europa mächtig dafür Lobby machen, eine zweispurige Datenautobahn anbieten zu dürfen: Eine Spur für gut zahlende Kunden wie Microsoft oder Nike (oder Tageszeitungen), deren Seiten im Web dann blitzschnell aufgehen, und eine Standardspur, die billiger, aber auch bedeutend langsamer ist. "Mit diesem neuen Modell würden wir nicht länger auf einem offenen Markt der Ideen konkurrieren; Diskussionen würden noch gröber von den Reichen beeinflusst. Während das Internet unseren Verstand und unsere Seele in einer Weise verändert, die wir gerade erst anfangen zu verstehen, müssen wir darum kämpfen, dass es für jeden gleich offen bleibt. Anderenfalls wird die Welt von morgen von Unternehmen kontrolliert werden. Die Kabel, die uns alle verbinden, werden Ungleichheit transportieren."