Sehr bewegend ist der
Bericht des Dirigenten
Vitali Alekseenok, der die Wahlen in
Belarus und die sich daran entflammende, immer energischer und selbstbewusster auftretende
Protestbewegung aus nächster Nähe - vom Wahlabend über die flächendeckende Netzblockade bis zum Protest auf den Straßen - miterlebt hat. Vor allem auch die Künstler stellten sich auf die Hinterbeine, etwa im Projekt "'
Symphonie der Solidarität', eine Collage von musikalischen Klängen, die von Dutzenden unterschiedlichster Musiker:innen aufgenommen wurden, zusammen mit den Originalklängen der Autos, der Polizei und der Zivilbevölkerung während der Proteste. ... In der ganzen Zeit der Proteste haben Belarussen kein einziges Schaufenster zerstört, keine Gewalt initiiert. Menschen bringen für ihre Mitstreiter Wasser und Essen, warten bei Rot an der Ampel, skandieren 'Aufräumen!', wenn sie einen Versammlungsort verlassen. Noch nie habe ich das belarussische Volk als eine
Gruppe so intelligenter,
höflicher und hilfsbereiter Menschen erlebt. Selbst wenn der Wendepunkt noch nicht in den nächsten Tagen kommt, wird es nicht mehr lange dauern. Jeden Tag begegnen wir der
menschlichen Würde, welche ich so intensiv noch nie erfahren habe. Jetzt brauchen wir eine Regierung, die unserer würdig ist."
Kathrin Bellmann hat für ihre Doktorarbeit erforscht, was vom
Probespiel zu halten ist, mit dem sich Orchester ihren Nachwuchs rekrutieren. Nicht so wahnsinnig viel,
erklärt sie im Gespräch: Die
Reliabilität fehle, "also die Zuverlässigkeit in der individuellen Bewertung, das heißt: Jemand bewertet ein und dieselbe Performance
beim ersten Mal hören anders als beim zweiten Mal. ... Ein ganz bekannter Messfehler ist der Halo-Effekt: Mangels Bewertungskriterien hänge ich mich an einem
Detail auf. Im Falle des Probespiels sagt dann die eine: '
Dieser Triller,
der war brillant, wir müssen den haben in unserem Orchester.' Und ein anderer meint: 'Der hat das c viel zu tief gespielt, den können wir auf keinen Fall nehmen.' Man muss sich eben der Tatsache stellen, dass die menschliche Bewertung sehr fehleranfällig ist, und einen möglichst guten Weg finden, damit umzugehen. Das kann funktionieren, wenn man im Vorfeld
Bewertungskriterien wie Intonation, Artikulation, Rhythmus, Phrasierung, … festlegt und diese beim Bewerten auch nutzt, beispielsweise in Form einer Ratingskala."
Mitunter ins unfreiwillig Komische
driftet ein Gespräch mit
Timothy Morton ab, der als "Star der neuen Philosoph:innen" vorgestellt wird und seine Ideen in enger Wechselwirkung mit Musik entwickelt. Zumindest im Interview beschleicht einen allerdings der Eindruck, man könne hier den Niedergang der Dekonstruktion zur
Esoterik beobachten: Die Art, wie Zeit gemessen wird, sei eine "
koloniale Ideologie" zum Zwecke der Unterwerfung, lesen wir. Fakten helfen nicht weiter bei der Gestaltung der Zukunft,
Gefühle hingegen schon, denn die seien selbst "aus der Zukunft", auch habe alles Lebendige "eine
spezifische Schwingung", entsprechend sei "Quantentheorie freundlich, sie verbindet uns mit allem Lebendigen, sie ist also eigentlich politisch sehr fortschrittlich." Und überhaupt "kann uns Kunst als Erfahrung dabei helfen, unsere Beziehung zum Nichtmenschlichen zu verstehen. Wenn ich heute Musik höre, die mich im Innersten bewegt, dann habe ich morgen vielleicht
Mitgefühl mit einem Seevogel oder einem Igel im Garten."