Mord und Ratschlag

Das ist also Reichtum

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
14.05.2012. Oliver Harris holt mit "London Killing" den englischen Krimi zurück in die Metropole und lässt seinen Detective Belsey sehr riskant, aber vornehm gegen die City zocken. Giancarlo de Cataldo und Mimmo Rafele decken in "Zeit der Wut" den Plan zur Abschaffung Italiens auf.
Keine Stadt der Welt zieht so viele Abenteurer und Glücksritter an wie London. Russische Oligarchen, saudische Scheichs und indische Magnaten tummeln sich in dieser Stadt, deren Zehntausende von Überwachungskameras jeden Kleinkriminellen im Blick haben, aber Waffenhändler, Kriegsverbrecher und abtrünnige Agenten nicht so genau ins Visier nehmen, wenn sie ihr Geld nur schön in der City anlegen oder im Ambassadeurs-Club ausgeben. Seltsamerweise interessieren sich auch die britischen Krimiautoren eher für delinquente Jugendliche in Edinburgh oder Nottingham als für die vermögende Kundschaft von Harrod's. Es gibt nur wenige Krimis, die in London spielen, gemordet wird in England gemeinhin auf dem Land und in der Bibliothek.

Oliver Harris stößt mit seinem Thriller "London Killing" nun mitten hinein in Londons Herz, in die City. Dabei folgt er der Devise "In ein Abenteuer zu stolpern, zeugt von großer Inkompetenz", seinen Helden lässt er also mit Karacho hineinspringen: Detective Constable Nick Belsey geht gern aufs Ganze. Ihm gefallen Leute, die nicht gefallen wollen, und die einzig moralische Art, mit viel Geld umzugehen, ist seiner Meinung nach, sich damit zugrunde zu richten. Belsey ist in dieser Hinsicht über jeden Zweifel erhaben: Er hat sein Geld, seine Wohnung, eigentlich seine ganze Existenz beim Spielen verzockt. Im Pub bedient er sich an den Trinkgeldschalen, um sein Bier zu bezahlen, im Coffeeshop beschwert er sich, dass sein Kaffee abgeräumt wurde, um sich einen neuen bringen zu lassen. Eigentlich bleibt ihm als Ausweg nur noch der Irak. Doch dann verschwindet der russische Oligarch Alexei Devereux aus seiner Villa in Hampstead, und Belsey ergreift die Gelegenheit, sich an Unterkunft, Wertsachen und Kreditkarten gütlich zu tun.

Aber kaum hat er angefangen, das gute Leben in der Bishop's Avenue mit einem 1989er Rotwein aus dem Piemont zu genießen ("Das ist also Reichtum, dachte er, und nach einem weiteren Glas: Das ist das Aufregendste, was ich je gemacht habe."), entdeckt er die Leiche des Oligarchen in einem zum Schutzbunker umgebauten Wandschrank. Doch da Devereux' Partner so scharf darauf sind, weiter mit ihm lukrative Geschäfte zu machen, springt Belsey ein und hält den Mord unter der Decke. Damit löst er eine Kette von Ereignissen aus, die auch nur anzureißen völlig unmöglich ist. In hakenschlagendem Tempo geht es von abgeranzten Kaschemmen von Hackney zum Chamberlain der City, auf die aristokratischen Anwesen von Hertfordshire und zu den Anonymen Alkoholiker (deren Sitzungen von lauter Journalisten, Polizisten und Geheimdienstlern auf der Suche nach delikaten Informationen bestritten werden). Belsey verhandelt mit dem Hongkong Gaming Consortium, mit dem Kinderhilfsfonds der City und mit Prinz Faisal Bin Abdul Aziz. Mit deren Geld lässt sich natürlich viel vornehmer zocken als mit dem bisschen Polizistengehalt, das er früher verprasste.

Harris lässt Belsey auf einer gewaltigen Tour de Force durch Londons sinistre Finanzwelt jagen, auf der dem aus dem Ruder gelaufenen Detective keiner seiner gehässigen, aber einfallslosen Kollegen folgen kann. Die Jagd endet in einem grotesk überdimensionierten Finale, bei dem man sich wundert, dass in Heathrow, Hampstead oder der City überhaupt noch ein Stein auf dem anderen steht. Mitunter bleibt bei diesem Gewaltritt auch die Glaubwürdigkeit auf der Strecke, aber Harris hat seinen Helden mit so viel Cleverness und Witz ausgestattet, dass man sich doch bestens und außergewöhnlich intelligent unterhalten fühlt.

Oliver Harris: London Killing. Thriller. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Karl Blessing Verlag, München 2012, 478 Seiten, 19,95 Euro

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Seit den Tagen der berüchtigten Loge Propaganda Due und der mit ihr verbandelten Nato-Geheimoperation Gladio gibt es wohl keine politische Unanständigkeit, die man einem italienischen Geheimbund nicht zutrauen würde, zumal die Karriere des Silvio Berlusconi wohl als einer der fatalsten Erfolge der P2 betrachten werden muss. Und wenn dann auch noch Versuche, die Loge wiederzubeleben, ruchbar werden, dann können Giancarlo de Cataldo und Mimmo Rafele für ihre "Zeit der Wut" aus dem trüben Vollen schöpfen. Finster sind die Machenschaften des rechtsradikalen Zirkels, in dem die beiden Autoren hochrangige Militärs und Bankiers, Prälaten, Diplomaten und Aristokraten versammeln, um das Land vor Schwarzen, Muslimen, Zigeunern und Schwulen zu schützen. Diese ehrenwerte Gesellschaft schart sich um ihren charismatischen Kommandanten, einen früheren Geheimdienstmann, der in den Balkankriegen den Kroaten als Söldner diente. Als bewaffneter Arm dient ihnen ein gewalttätiger Polizeitrupp, der sich mit Waffen, Drogen und Schwarzgeld bei der serbischen Mafia versorgt, entweder bei Razzien oder mit gemeinsamen Geschäften. Gegenspieler des Kommandanten ist dessen früherer Geheimdienstkollege Nicola Lupo, der vom Innenministerium auf besonders heikle Fällen angesetzt wird.

Die Unterwanderung des Staates, sein Kampf um Selbstbehauptung ist toller und spannender Stoff und natürlich ein Dauerbrenner des italienischen Krimis. Cataldo und Rafele lassen ihren Helden allerdings nicht nur den Kampf gegen Geheimlogen, Drogenmafia und Rechtsradikalismus aufnehmen, Probleme bereiten auch die Fußball-Hooligans von Hellas Verona, Globalisierungsgegner, zweifelhafte Moscheevereine und die perfide Operation Rebuildung des amerikanischen Geheimdiensts NSA. Schneller wechseln die Schlagzeilen nur bei Spiegel Online.

Giancarlo de Cataldo arbeitet im Hauptberuf als Richter an einem Berufungsgericht in Rom, sein Debütroman "Romanzo Criminale" erzählte eher ausufernd auf über 600 Seiten vom Aufstieg einer Jugendbande zu den Herren der römischen Unterwelt. Trotzdem wurde der Roman gleich zweimal verfilmt. Mit Mimmo Rafele hat sich Cataldo nun mit einem Drehbuchautor zusammengetan, der als Schöpfer der Achtzigerjahren-Serie "Allein gegen die Mafia" durchaus seine Anhänger hat und unkomplizierte Verfilmbarkeit garantiert. Aber nicht unbedingt Subtilität. Ihren ganzen überladenen Plot wickeln Cataldo und Rafele auf nicht mal 250 Seiten ab, eine Szene wird dabei so schnell an die nächste montiert, als würde im Hintergrund der Produktionskostenrechner laufen. Entsprechend wenig Zeit blieb dabei für die Figuren, eher behauptet als gezeichnet werden die Charaktere. Die serbische Bande ist "brutal, entschlossen, blutrünstig", das Mädchen "hübsch, sehr hübsch", der Kommissar also klug, vielleicht zu klug.

Bei all dem angetäuschten Tiefgang und dem super-abgebrühten Stil kippt der immer wieder geschürte Zweifel, ob das Land nicht ganz ohne Staat besser dran wäre, vom Anarchistischen ins Zynische. Doch auch wenn man sich all die politischen Verschwörungen noch gefallen lassen kann, wirklich übel nehmen muss man Cataldo und Rafele die verschwiemelte Frauenfantasie, die sie mit der Figur der "verschreckten Schönheit" Alissa - Heilige und Hure, geschändeter Engel und Killerin - zu grandioser Klebrigkeit gesteigert haben. Dem Cavaliere dürfte sie gefallen.

Giancarlo De Cataldo, Mimmo Rafele: Zeit der Wut. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio Verlag, Wien 2012, 247 Seiten, 22,90 Euro