Mord und Ratschlag

Schönheit in den Gesten

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
02.04.2012. In Oscar Urras Madrid-Trilogie raffen sich erschöpfte Männer noch einmal auf, um gegen die Mafia, einen korrumpierten Apparat und ihre Abschiebung aufs Abstellgleis zu kämpfen. Fred Vargas lässt in ihrem neuen Roman "Die Nacht des Zorns" die Wilde Jagd durch die Normandie reiten.
Gern heißt es, dass ein Krimiplot ruhig unwahrscheinlich sein darf, nur plausibel muss er bleiben. Die Geschichten, die Oscar Urra in seiner Madrid-Trilogie erzählt, sind nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch ganz und gar unplausibel, aber, und das ist vielleicht der entscheidende Punkt, sie sind nie beliebig. Urra erzählt eine wunderbar schräge, abgedrehte und groteske Geschichte, die bitter und komisch, düster und tröstlich zugleich ist. Eine Madrider Geschichte eben.

Privatdetektiv Julio Cabria pflegt eine sehr ungesunde Liebe zum Pokerspiel, dabei hat er in seinem Leben noch jede Partie verloren. Seine Frau hat ihn sitzen lassen, seine Tochter redet nicht mehr mit ihm, seit er sämtliche Ersparnisse verspielt hat. Aber auch vor dem Eklat dürfte er seiner Sammlung französischer Chansons und spanischer Lyrik mehr zärtliche Fürsorge entgegengebracht haben als seinen Mitmenschen. Sehr innig ist auch sein Verhältnis zum Alkohol.

Sein Revier ist das etwas heruntergekommene Viertel Embajadores um die Plaza Tirso de Molina mit ihren Junkies und Prostituierten, den leeren Programmkinos und vollen Spelunken. Hauptschauplatz der Romane ist das Portón, die Bar des etwas anrüchigen César, über dessen Hang zu halbwüchsigen Mädchen alle hinwegsehen, weil er als Spitzel der Polizei gute Dienste leistet und seine Bar als umsatzstarke Informationsbörse, Schlupfwinkel und, wenn es sein muss, Folterkeller auch allen anderen sehr nützlich ist. In dieses Viertel hat sich nicht einmal während des allumfassenden spanischen Immobilienbooms kein Spekulant verirrt, und wenn, dann hätten das die Anarchosyndikalisten zu verhindern gewusst.

Im ersten Band "Poker mit Pandora" wird Cabria von zwei Kleingangstern angeheuert, um eben jene mysteriöse Pandora aufzuspüren, die Madrids Unterwelt in Unruhe versetzt und bereits die italienische Mafia auf den Plan gerufen hat. Bei den Anarchisten dagegen scheint Pandora eher den "bittersüßen Geschmack der Hoffnung" zu verströmen, das "herzerwärmende Aroma der Freiheit". Im zweiten, gerade erschienenen Roman "Harlekin sticht" setzt sich Cabria auf die Spur eines Mörders, der bereits einen Zuhälter und einen Priester umgebracht hat. Der Mann hinterlässt bei seinen Opfern als höhnischen Kommentar eine Spielkarte, den Joker. Die Polizei nennt ihn den Harlekin, weiß aber, dass es genauso gut der leibhaftige sein könnte, so rasant, stinkend und feurig er einem Messdiener zufolge aus der Kirche geflitzt sein soll.

Dabei wird Cabria von einer Reihe von Polizisten flankiert, die keinem Verbrecher wirklich gefährlich werden, sich gegenseitig oder einem Privatdetektiv aber eine Menge Schwierigkeiten. Wie Gregorio Melendez, der fünfzehn Jahre lang eine ruhige Bürokugel geschoben hat, und sich jetzt vor dem Ruhestand retten muss. Oder dem übermotivierten EmmEmm, der mit seiner Rechtschaffenheit den Kollegen Belmonte immerhin so weit reizt, bis dieser auch mal eine Eingebung und Handlungswillen entwickelt.

Sie sind Urras wunderbare Helden, diese erschöpften Männer über fünfzig, deren Müdigkeit Urra in "Jahrhunderten, Tonnen, Kubikmetern" bemisst. Auf einmal müssen sie mit ihrem verpfuschten Leben und kraftlosen Körper einen Kampf führen, bei dem es nicht nur um Leben oder Tod geht, sondern um die letzte Chance, nicht auf dem Abstellgleis zu landen.

Man kann die beiden Romane unabhängig voneinander lesen, sollte es aber nicht. Urra legt so viele Handlungsfäden aus, lässt sie fallen und greift sie wieder auf, dass es eh nicht ganz leicht ist, der hakenschlagenden Erzählung zu folgen. Denn Urra hält sich nicht lange mit Erklärungen oder Beschreibungen der Stadt auf, er jagt durch Madrid, dessen Witz und Wahnsinn Peter Kultzen mit seiner Übersetzung grandios ins Deutsche gerettet hat. Außerdem würde man sich erstens um die Eröffnungsszene bringen, in der Cabria es einfach nicht schafft, sich das Leben zu nehmen, weil ein Sprung von seiner Dachterrasse eine Vitalität erfordern würde, die er nicht aufbringen kann. Und man würde zweitens nicht ermessen können, was es bedeutet, dass Cabria im zweiten Band sogar seine Wohnung putzt.

Oscar Urra: Poker mit Pandora. Kriminalroman. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Unionsverlag, Zürich 2011, 204 Seiten, 16,90 Euro

Oscar Urra: Harlekin sticht. Kriminalroman. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Unionsverlag, Zürich 2012, 280 Seiten, 16,95 Euro



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Die Wilde Jagd ist eine schwarze Reiterhorde, deren Mythos vor allem in den flachen Weiten Nordeuropas gepflegt wird. Am Niederrhein wird sie besonders zwischen den Jahren gefürchtet, absolut verboten ist es hier daher, sich zwischen Weihnachten und Neujahr die Nägel zu schneiden oder die Wäsche zu waschen. Dann nämlich kommt die Wilde Jagd.

In der normannischen Version scheint diese Reiterarmee noch ein wenig verstümmelter und stinkender zu sein, sie reißt diejenigen mit sich, die getötet haben, die getötet wurden und es allesamt nicht besser verdient haben. Dieses Wütende Heer lässt Fred Vargas lässt in ihrem neuen Krimi sein Unwesen treiben, zumindest wird Kommissar Adamsberg nach Ordebec gerufen, einem so unschuldig wie diabolisch anmutenden Ort in der Normandie, um schauderhafte Morde an schauderhaften Menschen aufzuklären. Vergeltung droht Männern, die ihre Mütter getötet haben oder junges Wild erlegt haben.

Dass die meist unappetitlichen Morde den Lesegenuss bei Fred Vargas nicht schmälern, versteht sich von selbst. Meist spielen sie eh eine untergeordnete Rolle, zumal Adamsberg in Paris eigentlich klären müsste, welcher missratene Bengel einer Taube die Hinterbeine zusammengebunden hat oder was er mit dem Alten machen soll, der seiner nervtötenden Frau ein für alle Mal den Mund gestopft hat. Wie immer viel wichtiger als der etwas luftig konstruierte Plot sind die verrückten und sympathischen Personen, die Vargas mit kluger Menschenfreundlichkeit erschafft, die der standardisierten Vernunft so wenig abgewinnen kann wie dem geordneten Dienstweg - ohne dabei jemals dem Obskurantismus zu verfallen. Da wäre schon Commandant Danglard vor, der Oberaufklärer des Pariser Polizeitrupps: "Zwischen annähernd und ungenau löst sich die Wahrheit auf."

Ihrem versponnenen wolkenschaufelnden Kommissar an die Seite gestellt hat Vargas neben seinen schrulligen Polizeikollegen aus Schlafsüchtigen, Wissensmonstern und Riesenschönheiten diesmal einen zu Unrecht verfolgter Delinquenten aus der Banlieue, seinen spät entdeckten hypersensiblen Sohn Zerc und eine Viererbande von hochbegabten, aber schwer misshandelten Geschwistern. Dabei schweißt sie vielleicht nicht unbedingt der Kampf gegen das Unrecht zusammen, sehr wohl aber der Kampf gegen Kleinmut. Was ist das Leben schon wert, wenn Freunde Bedingungen stellen?

Von diesen so schrulligen wie unerschrockenen Figuren erzählt Vargas in "Die Nacht des Zorns" mit einer verehrungswürdigen Nonchalance, mit so heiterem wie tiefgründigem Witz, und sie tut dies wieder deutlich eleganter und souveräner als etwa im "Verbotenen Ort", in dem sie begann, ihre Charaktere zu analysieren. Hier siegt die Poesie wieder klar über die Psychologie. Und die Ästhetik über das Gesetz: "Man braucht hin und wieder ein bisschen Schönheit in den Gesten", sagt Adamsberg zur mutigen Violette Retancourt.


Fred Vargas: Die Nacht des Zorns. Roman. Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze. Aufbau Verlag, Berlin 2012, 454 Seiten, 22,99 Euro