Post aus der Antarktis

In der Neumayer-Station

Von Isabel Köhler, Bernd Schuldt
18.07.2001. Insgesamt neun Menschen überwintern jedes Jahr auf der Neumayer-Station in der Antarktis. Unsere Briefeschreiber, die sich hier vorstellen, gehören in diesem Jahr auch dazu.
Liebe Leserinnen und Leser,

durch den Brief von Dr. Ulla Stüwe, der ehemaligen Stationsleiterin und Ärztin der Neumayer-Station in der Antarktis, sind Sie bereits ein wenig eingestimmt auf Nachrichten aus dem ewigen Eis. Sie hat damit etwas begonnen, das wir gerne fortsetzen wollen. In unregelmäßigen Abständen werden wir in den nächsten Monaten über die Arbeit und den Aufenthalt auf diesem lebensfeindlichen Kontinent berichten.

Die Neumayer-Station besteht aus zwei 90 Meter langen Röhren, die mit einer Querröhre verbunden sind und in einer Tiefe von circa sechs Metern unter der Eisoberfläche Leben ermöglichen. In den Röhren befinden sich Container, in denen sich unser "Maulwurfbeinahedasein" zumeist abspielt. Hier wird nahezu alles geboten: Kombüse, Messe, sanitäre Einrichtungen, verschiedene Büros, Labors, Schlaf- und Wohnräume (auch Kammern genannt), eine Sauna und ein durchaus modern eingerichtetes Hospital. In vielerlei Hinsicht fungiert diese Station als Schiff, so dass Dinge wie Küche hier eben "Kombüse" und der Aufenthalts- und Speiseraum "Messe" genannt werden.



Die Neumayer Station

Was wir hier allerdings nicht haben und zeitweise sehr vermissen, sind Fenster, einfache Fenster, durch die man nach draußen schauen kann. In den Treppentürmen am Südende beider Röhren bahnen ca. 80 Stufen den Weg an die frische und meist eisige, aber sehr saubere Luft. Die Station ist ins Schelfeis gesunken, das sich mit einer Geschwindigkeit von circa 100 Metern pro Jahr auf die Küste zu bewegt. Aber diese ist acht Kilometer entfernt, kann uns also noch nicht sonderlich gefährlich werden. Die Neumayer-Station ist die einzige deutsche Forschungsstation, die ganzjährig besetzt ist. Es werden wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt und im Sommer dient sie zusätzlich als Basisstation für "Feldeinsätze".

Insgesamt neun Menschen überwintern jedes Jahr auf der Station, darunter zwei Techniker, ein Funker, vier Wissenschaftler, ein Koch sowie ein Arzt. Ein geophysikalisches, luftchemisches und meteorologisches Observatorium wird von den Wissenschaftlern betreut. Die Techniker sind für einen reibungslosen Stationsbetrieb verantwortlich, sie sorgen zum Beispiel dafür, dass wir Elektroenergie und damit auch Wärme haben. Unser Koch verwöhnt uns täglich mit viel zu gutem Essen, der Funker hält den Kontakt zur Außenwelt und der Arzt passt auf, dass möglichst niemandem etwas zustößt.

In dem heutigen Brief möchten wir uns kurz vorstellen und Ihnen erklären, was uns bewegt hat, mehr als ein Jahr, wahrscheinlich 15 Monate, unseres Lebens an diesem Fleckchen Eis-Erde zu verbringen.


Isabel Köhler


Ich bin die Meteorologin der Neumayer-Station und mit 26 Jahren das Kücken in unserem Team. Dies ist jedoch nicht der einzige Rekord, den ich in dieser Runde aufstellen kann. Mit meiner Heimatstadt Göppingen im guten alten Schwabenland habe ich den der Antarktis am nächsten gelegenen Wohnsitz in Deutschland. Nur 13339 Kilometer trennen mich im Moment von meinem Zuhause. Mein Studium habe ich ebenfalls im "wilden Süden" an der Universität in Karlsruhe absolviert.

Schon lange hegte ich den Wunsch, einmal für längere Zeit in der Antarktis, deren Einmaligkeit mich seit der Grundschulzeit fasziniert, zu leben. Deshalb hatte ich mich für eine Überwinterung beworben. Meine Aufgabe besteht nun in der Betreuung des meteorologischen Observatoriums. Täglich werden Radiosondierungen durchgeführt, um Informationen über die Schichtung der Atmosphäre zu erhalten. Diese Daten gehen unmittelbar in die weltweiten Wettervorhersagemodelle ein. Außerdem wird dreistündlich fast rund um die Uhr das Wetter beobachtet. Weiter finden umfangreiche Messungen der Sonnenstrahlung und natürlich auch der UV-Strahlung statt. Momentan einmal pro Woche wird mit der Radiosonde eine Ozonsonde in die Höhe geschickt, um die Entwicklung der Ozonschicht zu verfolgen. Im antarktischen Frühjahr, wenn das Ozonloch aufbrechen wird, werden diese Ozonsondierungen verstärkt durchgeführt.

Nicht nur im antarktischen Sommer werden täglich über Funk die neuesten Wetterinformationen mit unseren Nachbarn, der südafrikanischen Station SANAE (rund 200 km -) und der britischen Station Halley (800 km entfernt) ausgetauscht. Zusätzlich werden während dieser Zeit sämtliche Sommercamps sowie der Basisstützpunkt von "Polar Logistics" in BLUE 1 mit Wetterinformationen versorgt. Wenn ebenfalls nur im Sommerhalbjahr unsere "Flieger" in der Luft sind (teilweise für logistische Einsätze, vor allem aber für Messflüge), gehört die meteorologische Betreuung des Fluges ebenfalls zu meinen Aufgaben. Jeden Morgen findet hierzu eine Wetterberatung mit den Piloten statt.



Isabel Köhler und Bernd Schuldt


Bernd Schuldt

Ich bin der Funker an der Neumayer-Station und Betreuer für die Rechentechnik.

Von Geburt und Überzeugung Mecklenburger des trefflichen Jahrgangs 1947 des vergangenen Jahrhunderts, fuhr ich nach Absolvierung von Schulzeit, Lehre, Wehrdienst und Studium etwa 25 Jahre als Funkstellenleiter bzw. Funkoffizier auf zahlreichen Handelsschiffen der verschiedensten Typen sowie auf dem Kreuzfahrtschiff "Arkona" (vormals "Astor" - das erste Traumschiff der ZDF-Serie) zur See. Nachdem moderne Navigations- und Funkverfahren den Funkoffizier an Bord von Seeschiffen die Arbeit abgenommen haben, verschwand selbiger, der als letzter an Bord der Schiffe kam, als erster wieder aus den Besatzungslisten.

Aber eben jene modernen Kommunikationsmöglichkeiten, wie eine Satellitenstandleitung über einen im All mit der Erde mitkreisenden Satelliten, der Erdefunkstelle Raisting in Bayern, dem Server am AWI in Bremerhaven erlauben es uns, dass wir uns Ihnen vorstellen können und über das Leben und Arbeiten sowie einmaligen Eindrücken von der Antarktis zu berichten.

Beweggründe für mich waren die Möglichkeit, noch einmal im lange ausgeübten Beruf - zumindest teilweise - tätig werden zu können und die Tatsache, etwas kennen- und erleben zu lernen, das mit Sicherheit eine berufliche Herausforderung ist und neue menschliche und persönliche Erfahrungen bringen wird.

Nun kennen Sie uns ein wenig, liebe Leserinnen und liebe Leser. Im nächsten Brief erzählen wir Ihnen dann mehr über das Leben während des antarktischen Winters, der zeitweilig atemberaubend schön, aber auch äußerst unfreundlich sein kann. Nach Perlen tauchen ist in diesem See- und Eisgebiet völlig unsinnig, aber wir möchten Sie einladen, mit uns in die weiße Unendlichkeit der Antarktis zu "tauchen".

In diesem Sinne verabschieden wir uns für heute und sagen adieu.

Herzliche Grüße

Isabel & Bernd