Post aus der Antarktis

Wo das Ozonloch am tiefsten ist

Von Isabel Köhler, Bernd Schuldt
23.11.2001. Auf der Neumayer-Station gibt es viel zu tun: Wetterbeobachtungstermine, Radiosondenaufstiege - und dann tauchen plötzlich Polar Stratopheric Clouds auf. Sehr schön, aber auch sehr gefährlich.
Liebe Leserinnen und Leser,

Es ist einmal mehr unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht, und schon wieder ist es soweit, einen neuen Brief zu verfassen. Wir wollen Sie nun nicht länger warten lassen und senden Ihnen erneut einen Gruß aus dem ewigen Eis - von der Neumayer-Station.Wie schon in unserem letzten Brief angekündigt, soll dieses Mal ein wenig die Arbeit von Isabel beschrieben werden.



Die Neumayer-Station

Als Meteorologin, manche nennen Isabel auch die "Wetterfee von Neumayer", hat man es nicht immer leicht, aber das ist wohl überall so, nicht nur auf Neumayer. Der Tagesablauf richtet sich nach den einzelnen Wetterbeobachtungsterminen sowie Radiosondenaufstiegen. Alle drei Stunden, morgens das erste Mal um 9 Uhr, muss Isabel bei Wind und Wetter raus in die frische Luft und nach Wolken, Sichtweiten und besonderen Wettererscheinungen Ausschau halten, kurzum, das aktuelle Wetter wird aufgenommen.

Diese Beobachtungen finden zeitgleich auf sämtlichen Wetterstationen der Erde statt. Die einzelnen Meldungen der deutschen Stationen laufen dann beim Deutschen Wetterdienst (DWD) zusammen, von wo aus sie weitergeleitet werden und somit in die Erstellung der aktuellen Wettervorhersagekarten eingehen. Nachts um 3 Uhr und um 6 Uhr werden die Meldungen ohne die visuellen Beobachtungen abgesetzt, das heißt es werden nur Temperatur, Wind, Luftdruck usw. weitergeleitet, denn die Meteorologin muss irgendwann ja mal schlafen. Am Abend um 21 Uhr und um Mitternacht nehmen wochenweise zwei gut eingearbeitete Kollegen, unter anderem auch Bernd, Isabel den Gang ins Freie ab.



Isabel geht zur Arbeit

Außerdem finden täglich Radiosondenaufstiege statt. Hierbei fliegt eine Sonde, mit der Temperatur, Feuchte, Luftdruck sowie der Wind gemessen wird, an einem Wetterballon bis in Höhen zwischen 30 und 36 Kilometer. Auch diese Daten werden dem DWD übermittelt und gehen in die aktuellen Wettervorhersagen ein. Normalerweise fliegt einmal in der Woche mit einer solchen Radiosonde eine Ozonsonde mit, mit der die aktuelle Ozonverteilung in der Atmosphäre gemessen wird. Im antarktischen Frühling, wenn das "Ozonloch" über dem Eiskontinent in der Stratosphäre aufbricht, werden diese Ozonsondenaufstiege verstärkt durchgeführt, um die Entwicklung und den Verlauf des "Ozonlochs" möglichst genau verfolgen zu können. Da bei uns der Frühling nun so langsam aber sicher zu Ende geht und sich das "Ozonloch" zu schließen beginnt, soll heute das Phänomen "Ozonloch" über der Antarktis etwas genauer erläutert werden. Doch dazu später mehr.



Startfrei für die Radiosonde

Weiter gehören zu den Aufgaben der Meteorologin auf Neumayer tägliche Routinearbeiten, wie das Auswerten und Validieren der Messdaten, die Wartung der Messgeräte, Aufzeichnen von aktuellen Satellitenbildern sowie das Analysieren der aktuellen Wetterlage. Seit einiger Zeit finden mit unseren Nachbarstationen sogenannte "Weathertalks" über Kurzwelle statt, wo die aktuellen Wettersituationen ausgetauscht und über die weitere Entwicklung diskutiert wird. Im Sommer, wenn an der Station Flugbetrieb herrscht, ist außerdem eine präzise Beratung der Piloten notwendig, da sie keinerlei andere Informationsquellen bezüglich des Wetters zur Verfügung haben.

Am 5. August konnten wir am Himmel ganz besondere Wolken sehen. Zu unserer Freude entdeckten wir sogenannte "Polar Stratopheric Clouds" (PSC). Das sind Eiswolken in der Stratosphäre. Sie können sich in einer Höhe von ca. 15 km bei extremer Kälte, bei Temperaturen unter -75 °C bilden, obwohl in dieser Höhe die Luft sehr trocken ist. Wegen ihrer geringen Dichte erscheinen sie oft wie Dunst. Außerdem treten sie nur im Winter und, wie der Name schon sagt, in den polaren Gebieten auf.

Diese PSCs spielen beim Abbau des Ozons in der Stratosphäre eine zentrale Rolle. Sie bestehen aus kleinen gefrorenen Partikeln, die neben einem geringen Anteil von Schwefelsäure eine Mischung von gefrorenem Wasser und Salpetersäure enthalten. Sie wirken wie Katalysatoren, auf deren Oberflächen chemische Reaktionen erleichtert und somit auch beschleunigt werden. So kann zum Beispiel aus Clorverbindungen reaktives Chlor freigesetzt werden, das nach Sonnenbestrahlung Reaktionszyklen antreibt, die das Ozon in der Stratosphäre zerstören. Diese Reaktionen würden in der Gasphase nicht oder nur sehr viel langsamer ablaufen.

Über den genauen Entstehungsprozess dieser Teilchen sind noch nicht alle Fragen geklärt. Fakt ist jedoch, dass es sie gibt und dass sie ungewöhnlich lange weiterbestehen können, obwohl sich die Luft der Umgebung wieder erwärmt. Dadurch wird der Ozonabbau in der Stratosphäre erheblich angetrieben.



PSC-Wolken

Man kann es allerdings nicht leugnen: Auch wenn diese Wolken gefährlich sind, sind sie sehr schön anzuschauen, sie wirken so harmlos...

Nach und nach wurde es aus den Daten der Ozonsondierungen immer deutlicher: Die Ozonschicht, die uns vor der gefährlichen UV-Strahlung schützen soll, wurde zusehends dünner und dünner. Das "Ozonloch" brach auf!

Der eine oder die andere von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, hat bestimmt schon viel über das Phänomen des Ozonabbaus vor allem über dem antarktischen Kontinent gehört oder gelesen. Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass das "Ozonloch", von dem heute die Rede sein soll, nichts mit dem bodennahen Ozon, das im Sommer in den Städten für den "Sommersmog" verantwortlich ist, gemein hat.

Zuerst soll nun die Frage geklärt werden, was eigentlich die Ozonschicht ist und wozu sie überhaupt dient. Die Ozonschicht ist eine Schicht in der Lufthülle unseres Planeten zwischen 15 und 40 Kilometern Höhe über dem Boden, in der besonders viel Ozon gebildet wird. Hier befinden sich rund 90 Prozent des gesamten atmosphärischen Ozons. Oberhalb dieser Schicht befindet sich zu wenig Sauerstoff in der Atmosphäre und unterhalb ist zu wenig energiereiche UV-Strahlung vorhanden, dass Ozon in größeren Mengen gebildet werden könnte. Gleichzeitig wird aber Ozon unter Lichteinwirkung wieder zerstört, so dass ein natürliches Gleichgewicht entsteht.

Kurzum, die Ozonschicht schützt uns Menschen vor der gefährlichen UV-Strahlung. Über dem antarktischen Kontinent bildet sich im Winter ein Wirbel, der aufgrund der fehlenden Verbindung zu den Landmassen der gemäßigteren Breiten einen Luftmassenaustausch mit der Umgebungsluft aus diesen Gebieten nicht zulässt. Somit fehlt auch der Nachschub an Ozon, das überwiegend über dem Äquator gebildet wird und über die allgemeine Zirkulation zu den Polen transportiert wird. Im Inneren des Wirbels bleibt die Menge an Ozon konstant, da eben diese Luftmassenaustausche durch den Wirbel unterbunden werden und ein Abbau von Ozon nur mit Hilfe von Licht stattfinden kann.

Mit dem Ende der Polarnacht, wenn die Sonne wieder aufgeht, fängt die Ozonzerstörung an. Da der Wirbel allerdings noch einige Zeit stabil über dem antarktischen Kontinent existiert, entsteht innerhalb dieses Wirbels ein Defizit an Ozon, das "natürliche Ozonloch". Erst nach dem Zerfall des Wirbels durch die wiederkehrende Wärme werden diese Ozonverluste durch ozonreiche Luftmassen aus den niederen Breiten ausgeglichen. Das natürliche "Ozonloch" schließt sich demnach erst im antarktischen Sommer wieder.

Seit Ende der siebziger Jahre wird im September und Oktober eine bedenklich starke Abnahme des Ozons beobachtet. Ursache hierfür sind extrem tiefe Temperaturen sowie anthropogen, das heißt vom Menschen erzeugte Spurengase, wie zum Beispiel FCKW, durch die der Ozonabbau in dieser Höhe deutlich beschleunigt wird. Das natürliche Gleichgewicht gerät somit aus den Fugen und ein in der Zwischenzeit erschreckend großes "Ozonloch" breitet sich in jedem Frühling über der Antarktis aus.

In der Zwischenzeit haben wir den Tag, an dem das "Ozonloch" am "tiefsten" war, längst hinter uns gebracht, nach und nach schließt sich das Loch wieder. "Tief" deshalb, weil in der Flächenausdehnung, und somit dem Begriff, der landläufig als Größe des "Ozonlochs" bezeichnet wird aufgrund des Wirbels eigentlich nichts mehr größer werden kann. Das wirklich Gefährliche ist die Tiefe des Lochs, oder anders gesagt, wie dünn die Schicht letztendlich schon ist, ob überhaupt noch etwas an Ozon vorhanden ist.

Am 6. Oktober wurde an Neumayer der minimalste Wert in diesem Jahr gemessen. Nur 113 Dobson Units (DU) waren das Ergebnis der Sondierung. Wenn man bedenkt, dass sich die Werte im Sommer und bis in den Herbst hinein zwischen 300 und 400 bewegen, ist das eigentlich nichts mehr.

Es wurde bereits 1987 durch das Montrealer Protokoll das gemeinsame Ziel festgelegt, die Ursachen und letztlich das Ausmaß des "Ozonlochs" unter Kontrolle zu bekommen. Seither hat sich so einiges getan, die weltweite FCKW-Produktion ist seitdem auf circa ein Prozent des damaligen Standes zurückgegangen. Aus dem rasanten Anstieg der troposphärischen FCKW-Konzentrationen ist in den letzten Jahren ein langsamer Abfall geworden. Die Erholung der Stratosphäre wird allerdings noch mindestens eine Generation erfordern, denn so lange dauert der Austausch über die Tropopause. Es wird also vermutlich frühestens in 50 Jahren mit keiner Zunahme des "Ozonlochs" mehr zu rechnen sein.

Fehlt nun dieses Ozon in der Stratosphäre, kann die harte UV-Strahlung ungehindert bis zur Erdoberfläche gelangen. Die Auswirkungen dieser zellschädigender Strahlung auf die Biosphäre sind noch weitestgehend unbekannt.

Soviel Meteorologie soll für heute genug sein. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern einen schönen Spätherbst, während bei uns vor ein paar Tagen (14. zum 15. November) die Sonne das letzte Mal unter dem Horizont versinkt. Hier ist jetzt Polartag!



Polartag. Alle Fotos: Bernd Schuldt


Herzliche Grüße aus dem ewigen Eis

Isabel und Bernd

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