Anna Lowenhaupt Tsing

Der Pilz am Ende der Welt

Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus
Cover: Der Pilz am Ende der Welt
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2018
ISBN 9783957575326
Gebunden, 448 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Dirk Höfer. Das erste neue Leben, das sich nach der nuklearen Katastrophe in Hiroshima wieder regte, war ein Pilz. Ein Matsutake, der auf den verseuchten Trümmern der Stadt wuchs - einer der wertvollsten Speisepilze Asiens, der nicht nur in Japan, wo er Spitzenpreise aufruft, vorkommt, sondern auf der gesamten Nordhalbkugel verbreitet ist. Dieser stark riechende Pilz wächst bevorzugt auf von der Industrialisierung verwüsteten und ruinierten Böden und ist nicht kultivierbar. In ihrem kaleidoskopischen Essay geht die Anthropologin Anna Lowenhaupt-Tsing den Spuren dieses Pilzes sowie seiner biologischen und kulturellen Verbreitung nach und begibt sich damit auch auf die Suche nach den Möglichkeiten von Leben in einer vom Menschen zerstörten Umwelt. Sie erzählt Geschichten von Pilzsammlern, Wissenschaftlern und Matsutake-Händlern und öffnet einen neuen und ungewohnten Blick auf unsere kapitalistische Gegenwart. Denn eigentlicher Gegenstand ihrer preisgekrönten Erzählung ist die Ökologie des Matsutake, das Beziehungsgeflecht um den Pilz herum, als pars pro toto des Lebens auf den Ruinen des Kapitalismus, das ein Leben in Beziehungen sein - oder aber nicht sein wird.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.04.2018

Der hier rezensierende Zoologe, Evolutionsbiologe und Ökologe Josef Reichholf zählt Anna Lowenhaupt Tsings Buch schon jetzt zu den "Klassikern der Ökologie", so sehr hat ihn der "Der Pilz am Ende der Welt" fasziniert. Die Autorin vollbringt für ihn ein wahres Kunststück, da es ihr gelinge, all ihre komplexen Themen über den Matsutake-Pilz miteinander zu verknüpfen. Noch dazu sei sie als Person im Text spürbar, statt nur neutral Fakten zu präsentieren. So fließen Kapitalismuskritik, Umweltschutzdebatte und hochaktuelle soziologische Beobachtungen in ihrem "interdisziplinären Essay" anschaulich ineinander, freut sich Reichholf. Außerdem hält die Autorin für ihn noch die ein oder andere scharfsinnige Überraschung bereit: Laut Reichholf plädiert sie dafür, die ökologischen "Ruinen des Kapitalismus" eher auf ihr Potenzial abzuklopfen, statt panisch zu versuchen, unwiederbringliche Zustände wiederherzustellen - den Matsutake finde man schließlich auch nur in Gegenden, wo kümmerliche Kiefernwälder den Raubbau der Menschen an der Natur belegen, so Reichholf.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.04.2018

Herrlich erfrischend findet Rezensent Tobias Haberkorn es, mit "Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus" endlich einmal ein Buch über die unwiderruflichen Veränderungen des globalen Ökosystems zu lesen, das weder dystopisch die Apokalypse beschwört noch utopisch auf innovative Technologien verweist. Stattdessen findet er bei Anna Lowenhaupt Tsing die für ihn längst überfällige Feststellung, dass wir doch bereits in ökologischen Ruinen leben. Da bleibt nur Anpassung, stimmt er Tsing zu. Die Anthropologin zeigt ihm anhand des Matsutake-Pilzes, der mit Vorliebe in unwirtlichen Gefilden auftaucht, dass es auch unter scheinbar aussichtslosen Bedingungen immer noch Wege gibt. In den Augen des Rezensenten ist es ihr gelungen, mit dem Pilz ein Musterbeispiel für Resilienz und Wendigkeit zu bieten. Den Fokus auf die Handlungsmöglichkeiten, die immer doch bleiben, findet Haberkorn ungeheuer besänftigend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.03.2018

Rezensentin Meredith Haaf lernt zunächst einmal, dass man den sehr nahrhaften Matsutake-Pilz unbedingt trocken braten muss, denn in Öl oder Butter entfaltet er unangenehme Aromen. Den Rat verbucht sie auf der Haben-Seite, auch das fantastische Kapitel über das Riechen nennt sie ein "kleines Meisterwerk". Darüber hinaus tut sich die Kritikerin etwas schwer mit diesem Buch von Anna Lowenhaupt Tsing. Dabei findet sie nicht uninteressant, was die politisch aufmerksame Anthropologin über die untergründigen Netzwerke der widerstandsfähigen Matsutake-Pilze erzählt, die der Rezensentin zufolge eine Art "postapokalyptische Super-Performer" sind. Doch Haaf misstraut dieser Form eskapistischer Naturprosa, die derzeit beim zivilisationsmüden Publikum so beliebt ist wie die Tierfilm-Doku im Vorabendprogramm. Dass Lowenhaupt Tsing ihr Thema so sprunghaft, unstrukturiert und ohne erkennbaren Gedankengang angeht, findet sie zudem für einen Künstler-Vortrag angemessen, aber nicht für einen Essay.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.03.2018

Rezensent Eberhard Rathgeb folgt der amerikanischen Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing fasziniert auf der Suche nach den Geheimnissen des Matsutake-Pilzes. Den den Kunstkniff der Autorin, Pilz und Zivilisation zusammenzudenken, fand er sowohl äußerst unterhaltsam als auch ernsthaft lehrreich: Er hat gelernt, dass der Matsutake darin brilliert, auch unter den denkbar schlechtesten Naturbedingungen zu wachsen, indem er "netzwerkartige Notgemeinschaften" mit verschiedenen anderen Pflanzen eingeht. So besiedelte er Rathgeb zufolge als eine der ersten Lebensformen wieder die verseuchten Böden Hiroshimas. Für Rathgeb gelingt es Lowenhaupt Tsing auf erstaunliche Art und Weise, am Beispiel des robusten Pilzes zu zeigen, wie ein soziales Leben in den zukünftigen "Ruinen des Kapitalismus" auch für den Menschen gelingen könnte. So keimt dank Lowenhaupt Tsings Buch doch noch ein Schimmer Hoffnung in Rathgebs düsterer Vision vom kommenden Leben "in prekären, desaströsen, ungeschützten Verhältnissen" auf.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.03.2018

Rezensent Helmut Mayer denkt mit Anna Lowenhaupt Tsing darüber nach, was nach dem globalen Fortschritt kommen könnte. Am Beispiel des Matsutake-Pilzes aus den Wäldern Oregons und seiner Vermarktung erkundet die Autorin die Ränder des kapitalistischen Warensystems, erläutert Mayer. Entwicklungen auf dem internationalen Holzmarkt kommen genauso in den Blick wie die Naturgeschichte des Matsutakes, so der Rezensent. Als Ideologiekritik eignet sich das Buch nur bedingt, meint er. Schließlich ist die Natur, in der der Matsutake wächst, weder eine unberührte noch eine sehr freundliche. Aber immerhin "Weltkenntnis" könne man beim Pilzesammeln erwerben.
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