Edouard Louis

Im Herzen der Gewalt

Roman
Cover: Im Herzen der Gewalt
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017
ISBN 9783103972429
Gebunden, 224 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. In seinem autobiografischen Roman 'Im Herzen der Gewalt' rekonstruiert der französische Bestsellerautor Édouard Louis die Geschehnisse einer dramatischen Nacht, die sein Leben für immer verändert. Auf der Pariser Place de la République begegnet Édouard in einer Dezembernacht einem jungen Mann. Eigentlich will er nach Hause, aber sie kommen ins Gespräch. Es ist schnell klar, es ist eine spontane Begegnung, Édouard nimmt ihn, Reda, einen Immigrantensohn mit Wurzeln in Algerien, mit in seine kleine Wohnung. Sie reden, sie lachen, aber was als zarter Flirt beginnt, schlägt um in eine Nacht, an deren Ende Reda Édouard mit einer Waffe bedrohen wird. Indem er von Kindheit, Begehren, Migration und Rassismus erzählt, macht Louis unsichtbare Formen der Gewalt sichtbar.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 08.10.2017

Rezensent Harald Staun erkennt den Sieg der Literatur über die Realität in Edouard Louis' zweitem Buch. Feierte der Autor in seinem ersten Buch die Abkehr von seinen Ursprüngen, die ihn sich selbst verleugnen ließen, muss die eigene Geschichte diesmal einen physischen wie psychischen Angriff überstehen, erklärt Staun. Der Ekel und der Schmerz verschlagen dem Erzähler zunächst die Sprache und lassen andere die Geschichte erzählen, Polizei, Ärzte, Familie, Freunde. Wie der Erzähler die Macht über seine Geschichte zurückerlangt, um ein anderer zu werden, darum geht es laut Rezensent in dem Buch.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.10.2017

Rezensentin Wiebke Porombka hat mit angehaltenem Atem Edouard Louis' neuen Roman "Im Herzen der Gewalt" gelesen. Der junge französische Intellektuelle erzählt ihr hier von jener Nacht, als er von einem Algerier nach einem One-Night-Stand vergewaltigt, stranguliert und fast ermordet wird. Eindringlich vermag ihr Louis nicht nur zu beschreiben, wie er versucht, das Geschehene zu fassen, ihm die Erinnerung immer wieder entgleitet und die Angst zu einem ständigen Begleiter wird, sondern er schildert auch, wie er versucht, Verständnis für den "sozial Stigmatisierten" aufzubringen und zugleich beginnt, Ressentiments gegen "algerisch anmutende" Männer zu entwickeln, resümiert die Kritikerin. Ein beeindruckendes Werk über das "fragile Verhältnis von Sprache, Wirklichkeit und Erfahrung", schließt Porombka.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.09.2017

Rezensentin Lena Bopp sieht im neuen Buch von Edouard Louis die Fortsetzung von dessen erstem Roman. Hier wie dort, meint sie, wird vor dem Hintergrund von Gewalt die Frage verhandelt, wie Wahrnehmung die Menschen trennt, welche feinen Gesetze unsere Begegnungen prägen. Dass der Autor für seinen Text wiederum eindeutig auf seine Biografie zurückgreift, scheint Bopp legitim. Gut gefallen hat ihr, wie Louis die Perspektivik aufspaltet, um unterschiedliche Sichtweisen des Geschehens vorzuführen. Das mosaikartige Bild der Ereignisse, der Vergewaltigung im Zentrum des Buches und ihrer Folgen, findet Bopp faszinierend. Ebenso Louis' Tiefenbohrungen in verschiedene Gesellschaftsschichten.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.09.2017

Was eine Gewalterfahrung mit einem Menschen macht, wie es seine Wahrnehmung, sein Denken und Fühlen verändert, lernt Rezensent Matthias Hennig in Edouard Louis' zweitem Roman, einer Fortschreibung der Emanzipationsgeschichte des Autors, wie Hennig feststellt. Im Pariser Intellektuellen-Milieu, in das die Haupfigur aus der Picardie geflohen ist, wird sie durch eine Extremsituation mit Fragen der Identität konfrontiert, erklärt Hennig. Dazu passt der Wechsel der Perspektiven auf das Geschehen, meint Hennig. Dass der Autor von seiner Erfahrung ganz ironiefrei und ungekünstelt berichtet, scheint ihm gut nachvollziehbar.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 09.09.2017

Rezensent Tilman Krause sehnt sich nach der Lektüre von Edouard Louis' autobiografisch geprägtem Roman "Im Herzen der Gewalt" ein wenig nach jener Selbsterkenntnis, die noch Balzacs junge Helden auszeichnete. Der Kritiker liest hier, wie Louis seinen Neustart in Paris beginnt, am heiligen Abend von einem jungen Araber zunächst verführt, dann beklaut und schließlich vergewaltigt wird und sich statt einer Anzeige für eine Reise nach Istanbul entscheidet, um sich mit der "muslimischen Welt zu versöhnen" und den eigenen Schmerz zu ergründen. Die "Selbstentblößung" mag zunächst noch ganz reizvoll sein, bald kippt der Roman aber in Wehleidigkeit und Pseudoromantik, meint der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.09.2017

Édouard Louis' "Im Herzen der Gewalt" ist der zweite autobiografische Roman des Autors, weiß Alex Rühle. In "Das Ende von Eddy" hatte Louis von seiner Kindheit in der französischen Provinz erzählt, vor allem vom Leid und von den Misshandlungen durch seine Familie und seine Mitschüler. In seinem neuen Buch steht eine Vergewaltigung im Mittelpunkt, die Louis erlebt hat, als er schon längst aus der geografischen und gesellschaftlichen Peripherie ins Zentrum des Pariser Kulturbetriebs geschafft hatte, fasst der Rezensent zusammen. Die "Leit- und Leidmotive" des Romans sind die sichtbare und die unsichtbare Gewalt und ihre Verhältnis zur Sprache sowie ihr Platz darin, erklärt Rühle. Immer wieder erzählen andere Figuren Louis' Geschichte oder lenken sie durch ihre Fragen - seine Schwester, Polizeibeamte - und Louis merkt, wie ihm der Diskurs über das, was ihm geschehen ist, entgleitet, so der Rezensent. Dem Autor ist ein schmerzhaft wahres Buches gelungen, lobt Rühle.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.08.2017

Rezensent Stefan Hochgesand schätzt den jungen französischen Autor Edouard Louis für sein Talent, jenseits "individueller Empfindlichkeiten" immer auch die gesellschaftliche Relevanz fassbar zu machen. Entsprechend gebannt liest der Kritiker das nun auch auf Deutsch erschienene zweite Buch, das für ihn trotz der Bezeichnung als Roman doch eher eine autobiografische Erzählung ist. Denn Louis schildert ihm hier eindringlich, wie er von einem jungen Algerier zunächst verführt und schließlich mit einem Revolver am Kopf vergewaltigt wurde. Dass der Autor die eigene Erzählperspektive immer wieder mit jener seiner Schwester durchbricht, die ihrem Mann von seinen Schreckenserlebnissen erzählt, findet der Rezensent nicht nur "raffiniert" und unkonventionell, sondern geradezu horizonterweiternd. Vor allem aber bewundert Hochgesand, wie einfühlsam Louis in diesem sozial bedeutsamen "Seelenkrimi" über jene gesellschaftlichen Umstände reflektiert, die zu der traumatischen Nacht führten. Neben vielen klugen Gedanken zu Rassismus, Armut, Fremddefinition und Kolonialismus hat der Kritiker nicht zuletzt auch ein wunderbares Buch über Freundschaft gelesen, in dem auch Didier Eribon seinen Auftritt hat.