Orlando Figes

Die Europäer

Drei kosmopolitische Leben und die Entstehung europäischer Kultur
Cover: Die Europäer
Carl Hanser Verlag, München 2020
ISBN 9783446267893
Gebunden, 640 Seiten, 34,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Mit 36 farbigen Abbildungen. 1843 - Die berühmte Opernsängerin Pauline Viardot reist nach Russland, wo die Eisenbahnstrecken gerade ausgebaut werden und europäische Ideen auf der Tagesordnung stehen. An ihrer Seite der Kunstkritiker Louis Viardot, ihr Ehemann. Während Pauline in St. Petersburg auftritt, kann ein Schriftsteller im Publikum seinen Applaus kaum im Zaum halten. Iwan Turgenew wird von nun an der ständige Begleiter der Viardots sein: Es entfaltet sich eine lebenslange Dreiecksbeziehung, in der sich die Entwicklung einer neuen Epoche spiegelt: die Moderne. In "Die Europäer" erzählt Orlando Figes nicht weniger als die Entstehung unseres kulturellen Selbstverständnisses.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.02.2021

Arno Widmann entdeckt mit dem Buch des britischen Historikers Orlando Figes die Ursprünge europäischer Kultur. Das Zusammenwirken von Eisenbahn, Zeitungswesen, Urheberrecht, Theatershops leuchtet ihm ein, wenn der Autor ihm anhand dreier Protagonisten, des Ehepaars Pauline und Louis Viardot sowie Iwan Turgenews, das kosmopolitische Leben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schildert. Dass der Autor die "Geschichte der Kapitalisierung der Kultur" nicht anklagend erzählt, sondern dicht beschreibend und den Leser mit seiner Kenntnis beschenkend, nimmt Widmann dankbar zur Kenntnis.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.01.2021

An Orlando Figes' Geschichte Europas haben dem Rezensenten Micha Brumlik gleich zwei Aspekte besonders gut gefallen: zum einen die Tatsache, dass er auf den Spuren des russischen Dichters Turgenjew wandelt, um sie zu erfassen; zum anderen der Nachweis, dass wirtschaftliche und kulturelle Errungenschaften gleichermaßen an der Entstehung des europäischen Gemeinschaftsbewusstseins beteiligt waren und sich gegenseitig bedingten. Es scheint dem Kritiker, als habe der Historiker Walter Benjamins Ziel des Nachvollzugs kultureller Interessen bestens erfüllt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.11.2020

Orlando Figes erzählt in seinem Buch "Die Europäer" von einer turbulenten Triade zwischen der Sängerin Pauline Viardot García, ihrem Ehemann Paul Viardot und dem Schriftsteller Iwan Turgenjew. Diese Beziehung an sich ist schon interessant, meint Rezensentin Claudia Mäder, doch auch, wer sich nicht für die drei Künstler interessiert, dem legt Mäder die Lektüre ans Herz, denn Figes gelingt in "Die Europäer" Außerordentliches: Nicht nur verknüpft er drei Biografien miteinander, er nutzt diese Lebensgeschichten auch, um vom Einfluss der Eisenbahn auf Wirtschaft, Beziehungen und die Kulturproduktion zu erzählen, die damals ganz neue Formen annahm. So beschreibt Figes, wie sich durch den Kultur-Tourismus und Bahnhofs-Kioske erstmals so etwas wie ein Kanon herausbilden konnte, lesen wir. Einige kleinere und größere historische Ungenauigkeiten kann die Rezensentin hierbei verschmerzen, denn insbesondere die zahlreichen Bezüge zur Gegenwart machen die Lektüre trotzdem lohnenswert.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 30.10.2020

Rezensentin Edelgard Abenstein begreift mit Orlando Figes' um das Trio Pauline Viardot, Louis Viardot und Iwan Turgenjew gesponnene Netz aus Details zur europäischen Kulturszene in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie bedeutsam die Kultur für die europäische Identität ist. Das Exemplarische der Protagonisten scheint Abenstein einzuleuchten, wenn der Autor sie vor dem Hintergrund moderner Errungenschaften wie Eisenbahn und Lithografie ablichtet. Wie Europa damals kulturell näher zusammenrückte und etwa die Opern-Spielpläne sich anglichen, vermittelt der Autor Abenstein leider nicht immer mit der nötigen Stringenz. Vieles im Buch scheint ihr unverbunden und unstrukturiert. Ein Panorama, das die weitreichende Wirkung von Malerei, Musik und Literatur begreiflich macht, bietet es ihr aber dennoch.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2020

Rezensent Jan Brachmann schätzt den frischen Blick auf europäische Kunst und Kultur, wie ihn Orlando Figes mit seinem Buch bietet. Wie der Kulturbetrieb, Buch-, Kunst- und Musikmarkt, sich aus dem Geist des Kapitalismus entwickelte, aus Fortschritten beim Verkehr, in der Industrie und beim Vertrieb, was etwa dazu führte, dass Operngäste plötzlich von Metropole zu Metropole reisten, veranschaulicht der Autor laut Brachmann überzeugend. Nicht weniger faszinierend scheinen Brachmann die drei kosmopolitischen Biografien, denen der Autor sich widmet: Louis Viardot, Pauline Viardot-Garcia und vor allem Iwan Turgenjew. Wie der Autor hier Epochenbild und Privatschicksale miteinander verbindet, scheint Brachmann stark. Turgenjews Verdienste als Literaturvermittler über Ländergrenzen hinweg sind jeder Aufmerksamkeit wert, findet der Rezensent. Nebenbei stellt er fest, wie wenig international Europa zu Turgenjews Zeit tatsächlich war. Ein originelles, faktenreiches, "glänzend gebautes" Buch, schwärmt Brachmann.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 21.09.2020

Volkmar Mühleis begreift mit Orlando Figes' Buch, dass die Geschichte Europas noch lange nicht auserzählt ist. Dass der Historiker sich für seine Darstellung der Dynamiken und Bruchlinien europäischer Entwicklung mit Iwan Turgenjew, Pauline Viardot und ihres Ehemannes Louis Viardot dreier kosmopolitischer Zeitzeugen bedient, die für europäisches Selbstverständnis im 19. Jahrhundert stehen, scheint Mühleis sinnvoll. Ebenso klug findet er den Einbezug der Eisenbahn als "Knotenpunkt der Betrachtung". Wie Figes das Selbstverständnis der Europäer aus dem Machtkampf der Länder, aber auch aus übergreifenden "empirischen Strukturen" wie der Eisenbahn entwickelt, findet Mühleis spannend und lehrreich.