Intervention

Eine in Deutschland wachsende Stimmung

Von Richard Herzinger
27.08.2020. Dass die SPD die Linkspartei jetzt für koalitionsfähig erklärt, zeigt, dass die Abkehr vom transatlantischen Bündnis in Deutschland zunehmend hoffähig wird. In ihrer Hinwendung zu Russland nähern sich die Sozialdemokraten und die SED-Nachfolgepartei schon seit geraumer Zeit an. Doch gibt es in dieser Frage auch eine Querfront mit der AfD.
Die Anzeichen für eine schleichende Abkehr Deutschlands vom transatlantischen Bündnis nehmen zu. Ein weiteres beunruhigendes Signal, das darauf hindeutet, kam jüngst von den deutschen Sozialdemokraten. Mit der Erklärung ihrer beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, sie seien zu einer Koalition mit der SED-Nachfolgepartei Die Linke nach der Bundestagswahl 2021 bereit, hat die SPD eine historische rote Linie überschritten.

Sie gibt damit nun auch auf Bundesebene - in Länderregierungen koaliert sie schon seit vielen Jahren mit der Linken - die prinzipielle Distanz zu einer Partei auf, die organisatorisch wie ideologisch in der totalitären kommunistischen Diktatur wurzelt, und die das westliche Verteidigungsbündnis ablehnt. Statt dessen propagiert die Linkspartei, ganz im Sinne des Kreml, ein "gesamteuropäischen kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands".

Zwar hat sich die Führung der Linken in einer Reihe von Punkten von der Praxis der SED-Alleinherrschaft distanziert, doch das Eingeständnis, dass die DDR von Anfang an eine Diktatur und somit ein Unrechtsstaat war, kommt ihr bis heute nicht über die Lippen. Weiterhin pflegt sie den Mythos von den positiven "antifaschistischen" Anfängen der DDR, deren "humanistische" Grundsätze erst im Verlauf ihrer Entwicklung pervertiert worden seien. Folgerichtig duldet die Linkspartei offene Anhänger und Nostalgiker des ostdeutschen Staatssozialismus in ihren Reihen, die dort sogar führende Positionen bekleiden können.

Dabei war die Zwangsvereinigung der SPD mit der Kommunistischen Partei zur SED in der sowjetischen Besatzungszone 1946 und die damit verbundene Verfolgung von Sozialdemokraten, die sich ihr widersetzten, einer der entscheidenden Schritte in die Diktatur, die bereits vor der Gründung der DDR 1949 auf deren Territorium errichtet wurde.  Dass jetzt ausgerechnet die SPD, eine der tragenden Säulen der bundesdeutschen Nachkriegsdemokratie, der SED-Nachfolgepartei das Gütesiegel der Koalitionsfähigkeit ausstellt und ihr damit gleichsam offiziell bescheinigt, eine "normale" demokratischen Partei zu sein, zeugt von einer bedenklichen Erosion ihres Geschichtsbewusstseins.

Volles Zutrauen in ihren neuen Linkskurs scheint die SPD allerdings nicht zu haben. Denn als ihren Spitzenkandidaten für 2021 hat sie den amtierenden Finanzminister Olaf Scholz nominiert. Scholz, der für eine solide bürgerliche Politik steht und eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei skeptisch beurteilt, soll für die SPD Stimmen in der gesellschaftlichen Mitte sammeln. Am Ende dürfte aber auch er sich einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht verweigern, sollte dies rechnerisch möglich sein. Denn die Sozialdemokraten wollen unter keinen Umständen ein weiteres Mal in eine Große Koalition unter Führung der CDU/CSU eintreten. Zu einer Linkskoalition kann es allerdings nur kommen, wenn sich ihr auch die Grünen anschließen würden, die derzeit in den Umfragen zweitstärkste Kraft vor der SPD sind.

Insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zu Russland nähern sich SPD und Linkspartei schon seit längerer Zeit an. So sprechen sich eine ganze Reihe von führenden Sozialdemokraten, darunter Ministerpräsidenten in den Ländern, für eine Lockerung oder Aufhebung der wegen der russischen Aggression in der Ukraine verhängten Sanktionen gegen Moskau aus. Bislang hält die SPD-Führung indes offiziell an der Zugehörigkeit zur westlichen Verteidigungsallianz fest. Doch angesichts ihres Widerstands gegen die Realisierung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO sowie ihrer jüngst erhobenen Forderung, die USA sollten ihre in Deutschland gelagerten Atomwaffen abziehen - verbunden mit dem Ausstieg Deutschlands aus der nuklearen Teilhabe im Rahmen des transatlantischen Bündnis -, klingt dies zunehmend nur noch wie ein Lippenbekenntnis.

Unterdessen gibt US-Präsident Donald Trump mit seinem Plan eines Teilabzugs von US-Truppen aus Deutschland den Antiamerikanern und Putin-Freunden auf der Rechten wie der Linken kräftigen Auftrieb. Nicht nur die Linkspartei, sondern auch die rechtsnationalistische AfD begrüßt Trumps Rückzugsabsichten als eine Chance für mehr deutsche Souveränität in der nationalen Verteidigungspolitik - und wie die Linke sieht auch die AfD die sicherheitspolitische Zukunft Deutschlands in der Hinwendung zu Russland. Zwar repräsentiert diese Links-Rechts-Querfront nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung. Doch in ihrem Antiamerikanismus und ihrer Russlandfreundlichkeit findet sie weit über ihre Anhängerschaft hinaus Zustimmung.

Die Hoffnung einiger Verteidiger der Politik Trumps, seine Drohungen werde die Deutschen unter eine Art heilsamen Druck setzen, ihren Verteidigungsbeitrag für die NATO zu erhöhen, hat sich als realitätsfernes Wunschdenken erwiesen. Vielmehr zeigt sich, dass die Mehrheit der deutschen Wähler offenbar glaubt, mit einer Loslösung aus dem engen Bündnis mit den USA gut leben zu können.

In einer jüngsten Umfrage befürworteten 47 Prozent der Befragten die von Trump angekündigte Verringerung der Truppenstärke von derzeit 36.000 US-Soldaten um ein Drittel. Jeder vierte Befragte meint sogar, die US-Streitkräfte sollten Deutschland ganz verlassen. Nur 28 Prozent sind dafür, dass die amerikanischen Truppen im bisherigen Umfang bleiben, und nur 4 Prozent, dass sie sogar aufgestockt werden sollten. Nur bei den Anhängern der CDU/CSU gibt es eine knappe Mehrheit für die Erhaltung der bisherigen US-Truppenstärke. Für die Entfernung der in Deutschland gelagerten US-Atombomben sprachen sich sogar 66 Prozent der Bevölkerung aus, und  nur 19 Prozent wollen, dass sie bleiben.

Die Umfrage spiegelt eine in Deutschland wachsende Stimmung wider, die USA nicht mehr als einen Verbündeten, sondern eher als eine Bedrohung zu betrachten. Wird Trump im November wiedergewählt, könnte sich diese Tendenz dramatisch verstärken. Deutschlands Westbindung, die ein Fundament seiner demokratischen Ordnung ist, geriete damit auf längere Sicht in Gefahr.

Richard Herzinger

Der Autor arbeitet als Publizist in Berlin. Hier seine neue Seite "hold these truths". Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. In der Reihe "Intervention" möchten wir künftig kompakte, meinungsstarke Stücke zu politischen oder kulturellen Themen veröffentlichen. D.Red. Hier der Link zur Originalkolumne.