Intervention

Fachkraft gesucht

Von Max Thomas Mehr
05.09.2022. Die Intendantenkrise im RBB zeigt vor allem, dass zumindest Teile von Politik und  öffentlich-rechtlichen Medien den "inneren Kompass" für ihre Rolle in der Gesellschaft verloren haben. Dreierlei muss ein neuer Intendant, eine neue Intendantin mitbringen: Erstens: unangefochtene moralische Integrität. Zweitens: Journalistische Brillanz und damit kritische Distanz zur Berlin/Brandenburger Politik. Drittens: Managerwissen.
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: die Intendantenkrise im RBB zeigt vor allem, dass zumindest Teile von Politik und  öffentlich-rechtlichen Medien den "inneren Kompass" für ihre Rolle in der Gesellschaft verloren haben.

Wenn der Rundfunkrat des RBB demnächst eine neue Spitze wählt, muss Schluss sein mit der Kuschelei, mit moralischem Überlegenheitsgestus und Handeln gegen Recht und Gesetz. Denn davon profitiert am Ende nur -  die AfD.

Maßlose Gehaltszahlungen für die Ex-Intendantin und Boni im je fünfstelligen Bereich für 27 oder gar 40 Spitzenkräfte des Senders mit der niedrigsten Einschaltquote bundesweit sind dabei nur ein Symptom.

Wobei natürlich nicht hinzunehmen ist, dass eine Intendantin in der Zweiländeranstalt RBB mehr verdient als eine Regierende Bürgermeisterin oder der Ministerpräsident von Brandenburg. Auch die außertariflichen Einkommen der Häuptlinge unterhalb der Intendanz sind nicht hinnehmbar. Vergleiche zu Verdienstmöglichkeiten bei Privatunternehmen verbieten sich schon deshalb, weil Sat1 oder RTL längst die gesamte Führungsriege ausgewechselt hätten, böten sie Einschaltquoten wie der RBB. Die dort Verantwortlichen können hingegen darauf setzen, bis zur Rente durchgefüttert zu werden. Im Einzelfall gilt das offenbar selbst dann, wenn jemand für 700.000 Euro nicht mal mehr zur Arbeit erscheinen muss!

Die Intendantinnenkrise ist in erster Linie eine Krise der moralischen Legitimation des Senders. Wie soll etwa ein RBB-Journalist ernst genommen werden mit einem "Tagesthemen-Kommentar" zum Thema "300 Euro Energiegeld", wenn jeder gelesen hat: seine Intendantin soll sich  weitaus höhere Kosten für mutmaßlich private Abendessen mit Gästen vom Sender habe erstatten lassen?

Wie soll ein Reporter des RBB nach diesem Skandal gegenüber anderen Firmen auftreten, über deren Compliance-Verstöße er recherchieren und berichten will?

Vor sechs Jahren war es eine der ersten Amtshandlungen der neuen Intendantin, das regionalpolitische Magazin "Klartext" abzuschaffen - ein investigatives und kritisches Format. Mein Verdacht: Politik und RBB wollten und wollen sich in Berlin möglichst wenig Reibungsflächen bieten.

Woher sollten die auch kommen - wenn etwa der Ehemann der Berliner Umweltsenatorin Bettina Jarasch als Leiter des neuen CNC, des "Crossmedialen News Centers", eine wichtige Rolle in der politischen Tagesberichterstattung spielt, wie das Magazin Cicero schreibt. Dort wird  für Internet, Radio und Fernsehen produziert. Selbst wenn Oliver Jaraschs Job als Managerjob tituliert ist - wer Workflows festlegt, bestimmt damit auch, wieviel Zeit für welche Recherche bleibt.

Kontrolle der Politik wäre die Aufgabe vom ÖRR. Geht das, wenn man personell so miteinander verbandelt ist? Glaubt wirklich jemand ernsthaft, daß das auseinanderzuhalten ist? Oder ist es schlicht frommer Selbstbetrug.

Was muss der neue (Interims-) Intendant, die neue Intendantin, also mitbringen?

Dreierlei. Erstens: unangefochtene moralische Integrität. Zweitens: Journalistische Brillanz und damit kritische Distanz zur Berlin/Brandenburger Politik. Drittens: Managerwissen.

Letzte Woche wurde die Wahl eines Interim-Intendanten kurzfristig abgesagt. Angeblich konnte die Findungskommission sich nicht darauf einigen, nur den einen Kandidaten dem Rundfunkrat vorzuschlagen, den der aktuelle Rundfunkrats- sowie die derzeitige Verwaltungsratsvorsitzende präsentieren wollten. Die Personalvertreterinnen in der Kommission sollen daher um mehr Zeit für die Kandidatensuche gebeten und sie auch bekommen haben: eine weitere Woche.

Wie konnte man aber überhaupt auf die Idee kommen, nur einen Kandidaten vorzuschlagen? Der böse Verdacht: Sollte der Rundfunkrat lediglich abnicken? Gar keine Auswahl haben?

Dabei gäbe es etliche Kandidaten, die als Krisenmanager und Topjournalisten weit weg von RBB und ARD den Job übernehmen könnten.

Zum Beispiel der ehemalige Intendant des ORF aus Wien, Alexander Wrabetz. Er machte - wenn auch erst nach Ende seiner Amtszeit - die Verfilzung von Politik und Sender zum Thema,  indem er die Namenslisten der regierenden Parteien veröffentlichte, mit denen diese ihre Spezies in Schlüsselpositionen der Sendeanstalt unterbrachten - quasi als Teil ihres Koalitionsvertrages.

Zwei weitere KandidatInnen von Interesse: die höchst erfolgreiche Saniererin und ehemalige VRT-Intendantin des flämischen Rundfunks Christina von Wackerbarth - übrigens eine gebürtige Braunschweigerin.

Oder: Roger de Weck, international anerkannter Wirtschaftsjournalist, ehemals Chefredakteur des Tages-Anzeiger und der ZEIT. Als langjähriger Chef des Schweizer Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks hat er außerdem Managementkompetenz bewiesen - Umbau und Krisenmanagement bezeichnet er selbst als seine Kernkompetenz.

Ob einer von den Dreien überhaupt gefragt worden ist? Keine Ahnung. Jedenfalls haben sie wohl sicher nicht an den privat-dienstlichen Abendessen im Hause Schlesinger teilgenommen.

Am Mittwoch soll es heißen: "Habemus IntendantIn". Man darf gespannt sein, was er oder sie qualifiziert.

Max Thomas Mehr