Link des Tages

Blaupause der Macht

02.07.2008. Kann ein Olympiastadion ein undemokratisches Regime kräftigen? Gibt es Bauten des Bösen? Seit dem Erscheinen von Deyan Sudjics Buch "The Edifice Complex: How the Rich and Powerful Shape the World" wird in Zeitungen und Zeitschriften lebhaft über Architektur und Moral gestritten. Wir haben Artikel und Interviews zum Thema zusammengestellt.
Seit dem Erscheinen der deutschen Fassung des Buches "The Edifice Complex: How the Rich and Powerful Shape the World" Architekturkomplex" von Deyan Sudjic (mehr bei 3sat) wird auch bei uns heftig über die Rolle europäischer Architekten in nicht-demokratischen Staaten wie China oder Libyen gestritten.

Guido Mingels erklärte Anfang 2007 in einem langen Artikel für Das Magazin Peking zum "Elysium für internationale Star-Architekten". Er hatte "bird's nest", das Pekinger Olympiastadion besichtigt und mit den Schweizer Architekten Jaques Herzog und Pierre de Meuron über den Bau gesprochen. Pierre de Meuron hofft, dass er ein Symbol wird für die Öffnung Chinas: "Ich glaube nicht, dass dieser Prozess der Öffnung umkehrbar ist. Und an diesem Wendepunkt der Geschichte zu sagen, 'nein, für euch bauen wir nicht, weil ihr nicht unsere Demokratie habt', wäre dumm. Es wäre sogar feige."


Jacques Herzog, Ai Weiwei und Pierre de Meuron vor dem Olympiastadion. Foto aus dem Film "Bird's nest".

Albert Speer, der seit langem in China baut und auch die Planung für zwei Autostädte, Anting bei Schanghai und Changchun, übernahm, erklärte sich am 24.05.2007 in der Sendung Kulturzeit kurzerhand für apolitisch: "Ich verstehe den Architekten und insbesondere unser Büro als Dienstleister. [...] Ideologien haben da für mich eigentlich keinen Platz." Im Interview mit der Welt sah Speer das eigene Engagement noch positiver: "Ich achte darauf, dass die Chinesen anfangen, sich mit dem Thema Umwelt, Energievorsorge, Energieeinsparen auseinander zusetzen. Ich glaube, dass hier die Nachfrage nach deutschem Know-how in umweltgerechter und energieeffizienter Stadt-, Bau- und Verkehrsplanung die nächsten zehn Jahre boomen wird. Wenn wir hier ein bisschen bewegen, ein wenig von unseren Vorstellungen umsetzen können, sind wir nicht nur gut im Geschäft, sondern verändern mehr als woanders, weil der Effekt viel größer ist." Albert Speer baute als "Dienstleister" auch das Kriminalgericht im saudi-arabischen Riad, wo radikal nach der Scharia geurteilt wird.


Criminal Court Complex in Riad. Foto: Albert Speer und Partner

Im Spiegel erklärte dann der Architekt Christoph Ingenhoven am 21.12.2007, er werde in China "in absehbarer Zeit nichts mehr bauen und auch nichts in Libyen, nichts in Saudi-Arabien". Qualität sei in solchen Ländern einfach nicht möglich. Ingenhoven glaubt, "dass es eine Kongruenz gibt zwischen der politischen Verfassung eines Landes - ob es eine Demokratie ist oder keine, ob die Menschenrechte geachtet werden oder nicht - und der Art, wie Architekten dort behandelt werden." In China zum Beispiel "zählt das einzelne Leben, zählen individuelle Rechte offenbar nicht viel. Und da ist es nur logisch, dass die westlichen Vorstellungen von geistigem Eigentum kaum ernst genommen werden. Das europäische Urheberrecht ist für uns Architekten die Basis unseres Schaffens, in den Augen vieler Chinesen gilt es aber als überflüssig."


Peking, Flughafen Terminal 3, Norman Foster

Alexander Hosch zog am 3.1.2007 unter der Überschrift "Bauten des Bösen" in der SZ eine Linie von Le Corbusier - der seinen Plan Voisin für ein Wolkenkratzerviertel nacheinander "Mussolini, den Sowjets und dem Vichy-Regime" andiente - und Mies van der Rohe - der "noch 1937 den von Speer organisierten deutschen Beitrag zur Pariser Weltausstellung" belieferte - zu Herzog & de Meuron und Rem Kohlhaas. Hosch fragte, ob man "in demokratischer Zeit das Bauen für Dikatoren nicht ächten" müsse, votierte aber dafür, "in China, Russland oder Dubai jedes Projekt einzeln" zu beurteilen.

Am 29.01.2008 stellte Severin Weiland im Spiegel die "Verantwortung der Eliten", der sogenannten Star-Architekten infrage. Hans Stimmann, langjähriger Berliner Senatsbaudirektor, bemängelte im Gespräch "das Schweigen, ja, die absolute Stille der Architekten, wenn es über ihr Bauen in autoritären Staaten geht" und bestätigte: "Kein Architekt stellt die Frage nach der moralischen Dimension seiner Planungen. Hier wird noch einmal die ganze Scheinheiligkeit deutlich, mit der manche Debatten bei uns geführt werden."

In einem kurzen Interview mit der deutschen Vanity Fair vom 19.02.2008 bekannte der Architekt Daniel Libeskind: "Ich baue nicht für totalitäre Herrscher. Für mich ist Architektur ein Bekenntnis zur Demokratie, und das bedeutet für mich eine Verpflichtung zur Ethik." In Hongkong baut er allerdings doch.

Gerhard Matzig beschrieb am 04.03.2008 in der SZ den Trend, deutsche Architekten für Parlamentsbauten in Indien, Libyen oder Vietnam zu verpflichten und fragte angesichts des neuen Regierungsviertels in Tripolis, das von den deutschen Architekten Leon Wohlhage Wernik entworfen wurde: "Wer politischen Systemen Schauräume und bauliche Elemente liefert, produziert der nicht auch eine Blaupause der Macht? Und was, wenn die Macht nicht demokratisch legitimiert ist?" So wie in China, wo Leon Wohlhage Wernik einen Fernsehturm entwarfen.


Im Vordergrund die Schwimmhalle von PTW Architects, im Hintergrund das Olympiastadion von Herzog und de Meuron

Die Proteste gegen die Misshandlung der Tibeter, die anlässlich des olympischen Fackellaufs weltweit ausbrachen, gaben der Debatte neue Nahrung. Hanno Rautenberg überlegte in der Zeit vom 27.03.2008, warum man ausgerechnet von der Architektur erwartet, dass sie ihre Geschäfte mit Autokraten reflektiert: "Vermutlich deshalb, weil ein Gebäude doch etwas anderes ist als ein Auto oder ein teures Schmuckstück. Mit allen dreien kann sich ein Herrscher schmücken, alle taugen zum Symbol der Macht. Aber nur der Architektur traut man zu, eine überindividuelle Bedeutung zu entwickeln. Sie versorgt den Staat nicht nur mit den nötigen Räumlichkeiten, sondern auch mit Bildern und Metaphern. Sie wird zum Fundament, zur Stütze, zur Säule des Systems."

In der NZZ diagnostizierte am 14.04.2008 Roman Hollenstein ein "Dilemma westlicher Architekten in China". Ihm stieß vor allem das Schweigen der Architekten über die Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter auf. Niemand spreche darüber, "dass diese architektonischen Markenzeichen nur dank einem Heer von schlechtbezahlten Wanderarbeitern möglich sind, die mit fronartiger Akkordarbeit ihre Gesundheit riskieren."


Bauarbeiter in Peking demolieren ein Gebäude. Man beachte den Mann auf dem Baggerarm über dem Abgrund.

Das am heftigsten umstrittene Gebäude ist sicher Rem Kohlhaas' Neubau des Staatsfernsehen CCTV. Schon 2002 hatte ihn Ian Buruma im britischen Guardian kritisiert: "CCTV ist die Stimme der Partei, das Zentrum der Staatspropaganda, das Organ, das einer Milliarde Menschen erzählt, wie sie zu denken haben. [...] Ich kann mir nicht vorstellen, dass Koolhaas oder Perrault eine Fernsehstation für Saddam Hussein bauen würden. Was macht das Bauen für China dann plötzlich ok?"

Am 03.05.2008, hatte Gerhard Matzig den Kolhaas'schen CCTV-Tower in der SZ als "Höhepunkt und Abbild der gesamten Diskussion um die 'Bauten des Bösen'" begriffen. In einem SZ-Interview mit Wolf Prix, dem Mitgründer des Büros "Coop Himmelb(l)au", hielt dieser es für "absurd, Rem Kohlhaas wegen des CCTV-Turms einen Vorwurf zu machen", erklärte aber trotzdem: "Wir bauen nicht in China oder Dubai".

Rem Kohlhaas selbst musste sich im Interview mit der Zeit vom 05.06.2008 die Frage gefallen lassen: "Paktieren Sie mit einer Diktatur?" Davon wollte der niederländische Architekt nichts wissen. Er fand es "ziemlich einfältig, dass der Westen immer nur kritisiert. Der Westen ist kritisch, immer nur kritisch. Diese Art von Dauerkritik führt aber nur in eine Sackgasse. (...) Wir müssen einfach anerkennen, dass die Rechte des Individuums, die uns so heilig sind, in Ländern wie China keine Tradition haben." Nur wer in China baut, kann etwas verändern, meint Koolhaas: "So wird bei CCTV (Bild, © OMA) gerade darüber diskutiert, ob man das Staatsfernsehen aufteilt, in einen traditionellen Teil und in einen modernen, der sich stark an der BBC orientiert. Und die modernen, aufgeklärten Fernsehleute sollen dann in unser Gebäude einziehen. Bei aller Bescheidenheit, für mich scheint der Bau doch einen Wandel zu markieren."

Zu den Wanderarbeitern und ihren Arbeitsbedingungen, und damit ganz allgemein zur Verknüpfung von Architektur und Verantwortung, erklärte Kohlhaas, "ich glaube, dass wir pragmatisch sein müssen".

Meinhard von Gerkan, dessen Hamburger Büro "gmp" in China mehr als 50 Bauprojekte betreibt, zeigte sich bei einer Diskussion mit Christoph Ingenhoven laut einem taz-Bericht davon "überzeugt, dass seine Bauten und der dabei initiierte Prozess des Austauschs für eine Demokratisierung Chinas nur förderlich sein könnten". "Prozess statt Boykott" war Jacques Herzogs Parole am 07.06.2008 im Interview mit der NZZ.

Wie schwer es ist, selbst auf den ersten Blick "unpolitische" Bauten zu bewerten, zeigt der chinesische Künstler Ai Wei Wei. Er hatte Herzog und de Meuron jahrelang bei Entwurf, Planung und Bau des Olympiastadions unterstützt. Doch dann erklärte er vor einem Jahr im Guardian, er werde sich das Gebäude nie ansehen und auch nicht zur Eröffnung kommen. "Die Freude des Designs ist schon da, der Rest ist Mist. Ich will mich nicht mit Olympia oder dem Staat verbünden. Ich hasse die Gefühle, die durch Promotion und Propaganda geschürt werden. Ich vermeide das instinktiv. (...) Ich mag niemanden, der schamlos seine Profession missbraucht, der kein moralisches Urteil fällt."

Matthias Korte