Magazinrundschau
Kompositionen im Kopf
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
13.07.2010. Das Schweizer Magazin erklärt, warum einige Akademikerkinder einfach missraten. Caffe Europa findet mit Ulrich Beck: Bei Religion kommt's auf den Mix an. Der Boston Globe erklärt, warum Fakten nicht im Widerspruch zu Überzeugungen stehen. In Le Monde fürchtet Michel Onfray die Sprache des Empire. Der New Statesman begutachtet ein neues Phänomen: Supertaskers. Das TLS liest ein Buch über die Anarchisten des 19. Jahrhunderts. Outlook India und die NYT widmen sich dem Terror in Indien, Pakistan und Jemen.
Das Magazin (Schweiz), 26.06.2010
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Polityka (Polen), 09.07.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q95/A28016/polityka.jpg)
Caffe Europa (Italien), 05.07.2010
Nach zwei Jahren ist Ulrich Becks "Der eigene Gott" ins Italienische übersetzt worden. Marco Marzano gefällt genau das, was in Deutschland kritisiert wurde: Becks Optimismus in Bezug auf den Religionen-Mix der Zukunft. "Einer der großen Vorzüge von Becks Werk ist darin zu sehen (eine wunderbare Ausnahme im gegenwärtigen Panorama linken Denkens!), dass er keine Nabelschau betreibt, dass er nie einer nostalgische Regung nachgibt. Im Gegenteil, er betont, welche Chancen der soziale Wandel mit sich bringen wird. Er sieht die alten Religionen durch den Filter der Säkularierung als Befriedungsinstrument und nicht als Konfliktherd. Er glaubt an den Triumph des persönlichen Gottes, in den alle Werte der überkommenen Religionen eingebaut werden und als Reservoir für das staatsbürgerliche Handeln dienen. Das ist ein sehr faszinierendes Szenario, vor allem für die säkularen Intellektuellen, die endlich mit Würde an die großen religiösen Traditionen anknüpfen könne."
Al Ahram Weekly (Ägypten), 08.07.2010
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Außerdem: Abgedruckt ist ein Interview mit dem kürzlich verstorbenen Islamwissenschaftler Nasr Abu-Zaid aus dem Jahr 1995, kurz nachdem ihn ein Gericht wegen Apostasie von seiner Frau zwangsgeschieden hatte. Ein mildes Urteil, wo auf Apostasie doch eigentlich der Tod steht. Aber dies immerhin hat Hauptankläger Abdel-Sabour Shahin nicht gefordert, so die Interviewerin. Darauf Abu-Zaid: "Oh, ich sollte darüber sehr glücklich sein. Ruhm für Shahin, wir sollten ihn alle um Buße bitten. Aber ich weiß wirklich nicht, auf welcher Basis er zu diesem Dispens kommt, den die Vorfahren, deren Ansichten er vertritt, sehen das ganz anders."
Boston Globe (USA), 11.07.2010
Es ist eine Tatsache, dass keine Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden wurden. Trotzdem glauben viele Leute, dass es diese Waffen im Irak gab. Woran liegt das? Joe Keohane untersucht das bekannte, aber doch immer wieder verstörende Phänomen, dass Fakten kaum jemanden von falschen Überzeugungen abbringen können. Ein Phänomen, das man bei Rechten, Linken und Unpolitischen findet, bei Ungebildeten ebenso wie bei Gebildeten: "Eine 2006 veröffentlichte Studie von Charles Taber und Milton Lodge von der Stony Brook Universität zeigte, dass politisch anspruchsvolle Denker noch weniger für neue Informationen aufgeschlossen sind als weniger anspruchsvolle. Diese Leute mögen in 90 Prozent aller Fälle Recht haben, aber ihr Selbstbewusstsein macht es ihnen nahezu unmöglich, die zehn Prozent zu korrigieren, in denen sie absolut falsch liegen."
Tygodnik Powszechny (Polen), 11.07.2010
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Erinnert wird außerdem an das Plebiszit in Ostpreußen vor genau 90 Jahren, das die Hoffnung des wiedererstandenen Polen auf einen günstigeren Verlauf der Nordgrenze begrub. Jerzy Pomianowski und Pietro Marchesani diskutieren über die Rezeption polnischer Poesie in Italien. Und Inga Iwasiow lobt den neuesten Gedichtband der deutsch-polnischen Autorin Brygida Helbig (hier ihr Blog mit Werkbeispielen).
Mediapart (Frankreich), 11.07.2010
Die Artikel des französischen Online-Magazins Mediapart kann man in der Regel nicht lesen - Mediapart ist zahlbar, ein ziemlich einmaliges Experiment in der internationalen Medienszene. Geleitet wird es von Edwy Plenel, ehemals Chefredakteur von Le Monde. "Merci!" ruft er jetzt den Lesern zu, denn Mediapart hat die Affäre Bettencourt maßgeblich enthüllt, wurde daraufhin scharf von der französischen Regierung angegriffen - und bekam zahlreiche neue Abos: "Mediapart kann es kaum fassen. Wie sollen wir unsere Bewegung verbergen angesichts so massiver Unterstüzung, all der Abos, der Unterstützungsmails, freundlicher Kommentare, kurz: angesichts dieser ungeheuren Welle der Solidarität, die die beste Antwort auf die Attacken aus dem Elysee-Palast ist."
Le Monde (Frankreich), 10.07.2010
Unter der Überschrift "Die zwei Enden der Sprache" hält der Philosoph Michel Onfray die Dialektik französischer Sprachbetrachtung aufrecht. Nach innen ist man gegen die Regionalsprachen, nach außen - im Namen der Vielfalt - gegen das Englische: "Der Mythos der einen adamitischen Sprache scheint die Form eines Flughafenenglisch anzunehmen, das Millionen von Menschen sprechen. Und man begreift , dass die verstümmelte, amputierte, entstellte, massakrierte, abgetötete Sprache Shakespeares sich durchsetzen könnte, da man fordert, dass sie die Handelssprache sei. Sie ist die beherrschende Sprache, weil sie die Sprache der beherrschenden Kultur ist. Wer Englisch spricht, und sei es radebrechend, spricht die Sprache des Empire. Das Biotop des Englischen trägt den Namen Dollar." Um nicht englisch sprechen zu müssen, holt er gar das Esperanto aus dem Hut!
Odra (Polen), 01.06.2010
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Abgedruckt wird außerdem ein Gespräch aus dem französischen "Philosophie Magazine" zum nicht ganz unwichtigen Thema "Wer wird die Menschheit retten?". Der Umweltwissenschaftler Ludwik Tomialojc kommentiert: "Dieses Gespräch wird in unserer, durch den Antiökologismus ruhiggestellten Gesellschaft wahrscheinlich ein geringes Echo finden. Schade, denn es zeigt deutlich, dass der Ökologismus als Weltanschauung (im Unterschied zur Ökologie als Wissenschaft) sich nicht nur auf wissenschaftliche und materialistische Argumente stützt, sondern auch auf ethische. (...) In keiner anderen Sprache als der polnischen wurde der Begriff 'Ökologe' von der Bezeichnung für einen Wissenschaftler in die für einen Aktivisten umgewandelt - wohl, um die Gesellschaft leichter zu spalten."
New Statesman (UK), 09.07.2010
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Point (Frankreich), 08.07.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q39/A28036/point.jpg)
Times Literary Supplement (UK), 09.07.2010
James Hall hat die beste und anregendste Ausstellung von Renaissance-Zeichnungen seines Lebens gesehen: "Fra Angelico bis Leonardo" im Britischen Museum. Skizzen, so zeigt sich dort, galten in der Renaissance nicht als große Kunst, sondern vor allem als Brainstorming-Technik! "Vor der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhundert, als Gutenbergs Buchdruck eine höhere Papierproduktion mit sich brachte, spielten Zeichnungen eine begrenzte Rolle im künstlerischen Prozess. Die meisten Künstler-Zeichnungen wurden auf hölzernen Tafeln angefertigt, die mit Wachs oder Knochenmehl beschichtet waren und die nach dem Gebrauch gesäubert werden konnten. Da sie ihre vorläufigen Studien nicht lange bewahren konnten, brauchten die Künstler ein viel besseres visuelles Gedächtnis als diejenigen, die später mit Papier arbeiten konnten. Und sie mussten besser in der Lage sein, Kompositionen im Kopf zu planen."
Letztlich ist Phil Baker nicht ganz glücklich geworden mit Alex Butterworth' Buch "The World that Never Was", aber einige sehr interessante Geschichten über die Anarchisten des späten 19. Jahrhunderts hat er ihm doch entnommen: "Geeint hat sie - wenn überhaupt - die Ablehnung jeder gesetzten Autorität, die Charaktere reichen hier von der Tolstoischen Figur des Peter Kropotkin bis zum wesentlich wilderen Francois Koenigstein, besser bekannt als Ravachol. Abgestoßen von Thomas Huxleys darwinistischem Essay 'Kampf ums Dasein' von 1888 war Kropotkin der große Theoretiker der gegenseitigen Hilfe und er hatte eine Schwäche für Kaninchen als Spezies. Er bewunderte sie als Symbol der Dauer, das der Selektion entgegensteht. Ravachol dagegen begann seine Karriere damit, die Leiche einer alten Frau zu exhumieren, er ermordete einen 95-jährigen Mann und startete eine Reihe von Terroranschlägen, die einige Kommentatoren dazu veranlasste, Mut, Güte und Seelengröße des Täters zu preisen."
Mit Gewinn hat J. P. E. Harper-Scott die Tschaikowsky-Biografie von Roland John Wiley gelesen, in der er erstmals Tschaikowskys Briefe an Bruder Modest, in denen er über seine Homosexualität schreibt, auf Englisch lesen konnte. Von Adam Zamoyskis Chopin-Biografie rät er dagegen strikt ab: zu altbacken.
Letztlich ist Phil Baker nicht ganz glücklich geworden mit Alex Butterworth' Buch "The World that Never Was", aber einige sehr interessante Geschichten über die Anarchisten des späten 19. Jahrhunderts hat er ihm doch entnommen: "Geeint hat sie - wenn überhaupt - die Ablehnung jeder gesetzten Autorität, die Charaktere reichen hier von der Tolstoischen Figur des Peter Kropotkin bis zum wesentlich wilderen Francois Koenigstein, besser bekannt als Ravachol. Abgestoßen von Thomas Huxleys darwinistischem Essay 'Kampf ums Dasein' von 1888 war Kropotkin der große Theoretiker der gegenseitigen Hilfe und er hatte eine Schwäche für Kaninchen als Spezies. Er bewunderte sie als Symbol der Dauer, das der Selektion entgegensteht. Ravachol dagegen begann seine Karriere damit, die Leiche einer alten Frau zu exhumieren, er ermordete einen 95-jährigen Mann und startete eine Reihe von Terroranschlägen, die einige Kommentatoren dazu veranlasste, Mut, Güte und Seelengröße des Täters zu preisen."
Mit Gewinn hat J. P. E. Harper-Scott die Tschaikowsky-Biografie von Roland John Wiley gelesen, in der er erstmals Tschaikowskys Briefe an Bruder Modest, in denen er über seine Homosexualität schreibt, auf Englisch lesen konnte. Von Adam Zamoyskis Chopin-Biografie rät er dagegen strikt ab: zu altbacken.
Outlook India (Indien), 19.07.2010
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In Pakistan hat eine unselige Allianz aus zwei sunnitischen Splittergruppen - Deobandis und Wahabiten - die restlichen 80 Prozent der pakistanischen Gesellschaft zu Ungläubigen erklärt, die getötet werden müssen, schreibt Amir Mir nach dem Terroranschlag auf einen Sufitempel in Lahore. "So sagt der Historiker Mubarak Ali, 'eine der Konsequenzen aus dem Krieg gegen Afghanistan ist die Auflösung des religiösen pakistanischen Patchworkteppichs. Während früher die Trennlinie zwischen Sunniten und Schiiten lag, verläuft sich jetzt auch zwischen Barelvis und Deobandis, die beide Sunniten sind.' Da die Barelvis moderat sind und gegen die Taliban, betrachten die Deobandis sie als Handlanger des Staates, als Häretiker, die auf jeden Fall den Tod verdienen, sagt Ali."
Außerdem: John Mary berichtet über einen Vorfall im indischen Kerala, wo einem Lehrer die Hand abgehackt wurde, weil er sich despektierlich über Mohammed äußerte. Und ein Sprecher der indischen Maoisten antwortet auf B.G. Verghese, der sich in einem kritischen Artikel strikt gegen Verhandlungen mit den Maoisten ausgesprochen hat.
New York Times (USA), 12.07.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q12/A28039/nyt.jpg)
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