Magazinrundschau - Archiv

Český rozhlas

4 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 29.11.2022 - Cesky rozhlas

Was bedeutet der Begriff "Freiheit" in Zeiten von Klimakrise, Coronakrise und Ukrainekrieg? Darüber führt Václav Pešička im Tschechischen Rundfunk ein längeres Gespräch mit dem Ökonom und Philosophen Tomáš Sedláček. In historischer Perspektive hätten die Menschen in Europa so viel Freiheit wie nie zuvor. Aber "als freie Gesellschaft haben wir festgestellt, dass es besser ist, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen. Die gelten dann zum Beispiel für die Nutzung der Autobahn, aber vielleicht werden wir auch ein gemeinsames Rentensystem haben. Ich will mich auch nicht mit Energiepreisen beschäftigen und möchte dafür eine beaufsichtigte Kommission, die die bestmögliche Variante auswählt." Das heiße nicht, dass man dadurch an Freiheit verliere. "Schließlich muss ich ja Elektrizität nicht nutzen. Wenn ich beschließe, dass ich dem System, das die Elektrizität verteilt, misstraue, kann ich ja irgendwo in meiner Hütte mit Holz heizen. Und wenn mir die Autobahnregeln nicht gefallen, zwingt mich niemand dazu, dort zu fahren", so Sedláček. "Ich persönlich bin für einen Minimalstaat, der automatisch funktioniert wie ein Algorithmus. Die Schweizer zum Beispiel wissen oft gar nicht, wer ihr Präsident ist, weil er jedes Jahr wechselt, und das funktioniert gut." Die Tschechen, meint Sedláček, hätten an Freiheit verloren, indem sie sich, vor allem unter den letzten beiden Präsidenten, zurück nach Osten hätten ziehen lassen. "Und als Europa haben wir Freiheit auch dadurch verloren, dass wir uns von Russland billige Rohstoffe haben liefern lassen, oder durch unseren Umgang mit der Natur." Diese Art von Freiheit gehe meist selbstverschuldet verloren. "Aber jene tiefere Freiheit, die ich meine, die Religions- und Bekenntnisfreiheit, die Freiheit zu lesen und zu schreiben, die nimmt uns niemand weg, nur nutzen die Menschen sie nicht wirklich aus."

Magazinrundschau vom 29.03.2022 - Cesky rozhlas

Der Tschechische Rundfunk hat die Podcast-Reihe "Střepy" (Scherben) begonnen, in der Schriftsteller ihre Gedanken zum Ukrainekrieg äußern. Die tschechische Autorin ukrainischer Herkunft Marie Iljaschenko erzählt darin: "Eines der ersten Dinge, die man mich immer fragt, ist, ob es meiner Familie gut geht. Ich antworte dann, dass in der Ukraine nur noch ferne Verwandte und Freunde von mir leben - und dass sie alle am Leben sind. Die Leute atmen erleichtert auf, denn sie wissen nicht, das ich jetzt alle Ukrainer als meine Familie wahrnehme. Sie wissen nicht, dass ich zwar esse und schlafe, weil, wenn ich zu essen und zu schlafen aufhörte, niemandem damit gedient wäre, aber dass mir jedes zerbrochene Fenster meiner Stadt wehtut. Wenn ich den verkohlten Fernsehturm sehe, fühle ich es in den Knochen und Sehnen und Adern. Ich weiß jetzt, was Psychosomatik ist."

Magazinrundschau vom 05.01.2021 - Cesky rozhlas

Im Tschechischen Rundfunk versucht der Ökonom Tomášek Sedláček im Gespräch mit Václav Pešička eine vorsichtige Einschätzung der Pandemiefolgen. Immerhin sei es der Gesellschaft völlig selbstverständlich erschienen, den wirtschaftlich Bedrohten unter die Arme zu greifen, anders als beim Versagen in der Flüchtlingskrise, "wegen der uns unsere Kinder noch fragen werden, wie es sein kann, dass wir als christliches Europa den Flüchtlingen unsere Hilfe verweigerten." In der Covidkrise zeige sich die tschechische Gesellschaft hingegen so solidarisch, dass nicht einmal die Neoliberalen Einwände bekundeten. Was die staatlich verordneten Schutzmaßnahmen betrifft, "denke ich, selbst wenn es diesen Staat nicht gäbe, der allerlei Aktivitäten verbietet, würde ganz Ähnliches passieren: Das Gesundheitswesen würde kollabieren und die sich unter den Menschen ausbreitende Panik letztlich einen spontanen Lockdown bewirken. Sobald die Menschen die vielen Särge und überfüllten Krankenhäuser sähen, würden sie von sich aus nicht mehr in Restaurants gehen und den öffentlichen Verkehr benutzen, sondern sich womöglich zu Hause verkriechen." Und Sedláček erkennt auch die positiven Impulse. "Paradoxerweise bremst dieses Virus Dinge nicht aus, die wir schon lange vorhatten. Wir wollten stärker auf die Umwelt achten - das ist ganz automatisch und unwillkürlich passiert. Wir wollten uns stärker digitalisieren. Lesen Sie den Jahresbericht jeder beliebigen Firma, politischen Partei oder Regierungsinstitution - überall ist da Digitalisierung. Und so furchtbar viel kostet es auch wieder nicht. (…) Es könnte also tatsächlich die Entwicklung bei uns beschleunigen."

Magazinrundschau vom 15.09.2015 - Cesky rozhlas

"Den Stacheldraht haben wir im Kopf", glaubt der Politikexperte Jiří Pehe in der Onlineausgabe des tschechischen Rundfunks Český rozhlas angesichts von Umfragen, nach denen drei Viertel der tschechischen Bevölkerung wegen der Flüchtlingskrise für eine Aufhebung der Grenzfreiheit des Schengen-Raums wären, und stellt fest: "Jede größere Krise, die wir zusammen mit der westlichen Welt angehen müssen, zu der wir seit 1989 ja formal wieder gehören, bewirkt in uns eine fast krampfartige Reaktion dahingehend, dass viele Menschen die Rückkehr in den sicheren Nationalstaat herbeisehnen. Ein Grundzug des tschechischen Postkommunismus scheint zu sein, dass viele Menschen, die einen Großteil ihres Lebens in einem kommunistischen Regime mit seinen Ritualen, Gewissheiten und kulturellen Codes verbracht haben, sich nach der Wende von 1989 de facto in einem Niemandsland wiederfanden. Sie haben zwar die Rituale der Demokratie übernommen, aber sobald sich das Leben in Freiheit als zu kompliziert und anspruchsvoll erweist, flüchten sie sich in das mentale Stereotyp des vom Stacheldraht umsäumten Landes als einem Symbol der Sicherheit."