Libération setzt seine Serie "Raison et sentiments" fort. Diesmal
spricht der Philosoph
Eric Fiat über das "
Schamgefühl", das er aus dem Problem herleitet, Bewusstsein in einem Körper zu sein. Tiere oder Engel, also reine Körper und reine Geistwesen, hätten damit also kein Problem. Zur Frage von Schleier und Schamhaftigkeit meint Fiat: "Sich beim Tragen des Schleiers auf das Schamgefühl zu berufen, ist seltsam. Genau wie Bescheidenheit, Einfachheit und Demut gehört das Schamgefühl zu diesen
fragilen Tugenden, die wir nicht für uns in Anspruch nehmen können, ohne dass sie augenblicklich verloren gehen. Ihre
Zurschaustellung führt unweigerlich zu ihrem Verschwinden. Es ist arrogant, sich als bescheiden zu bezeichnen, und es ist komplex, sich einfach zu nennen, aber sich als schamhaft auszurufen, ist schamlos. Nehmen wir uns in Acht vor dem, was
Vladimir Jankélévitch die "Zurückhaltung, die sich durch laute Schreie ankündigt' nannte! Wenn der beschämte Mensch sich versteckt und der obszöne sich zeigt, dann beweist sich der schamhafte Mensch in Zurückhaltung. Es kann auch keine '
schamhafte Mode' geben, denn das Schamgefühl ist das einsame Gefühl eines Menschen ist, der Schwierigkeiten im Auftreten hat, wohingegen die Mode eine
kollektive Art der Zurschaustellung ist. Anders formuliert: zwischen der mit Bikini angezogenen Frau und der, die einen Burkini trägt, ist die Frau mit dem meisten Schamgefühl nicht immer die, von der man es vermutet!"