Magazinrundschau - Archiv

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44 Presseschau-Absätze - Seite 4 von 5

Magazinrundschau vom 23.06.2009 - Salon.eu.sk

Zygmunt Bauman setzt seine Reflexion über die Nachwirkung der Totalitarismen in Polen fort (hier der Link zum ersten Teil) und beobachtet einen zentralen Unterschied zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus: Die Nazi-Besetzung hinterließ viele Wunden, aber nicht die mangelnde Selbstachtung die aus jahrelanger geforderter und gelieferter Heuchelei resultiert - sie war ein Kennzeichen des Stalinismus. "Die Idee, dass das sowjetische Reich eines Tages zusammenbrechen könnte, kam weder der heimischen Intelligenz mit ihrem faktischen und nüchternen Denken, noch irgendwelchen anderen der hochrespektierten 'kremlologischen' Instituten in der ganzen Welt, die mit Hirnen höchsten Kalibers ausgestattet waren - nicht einmal Jahre später, als die tönernen Füße des Regimes zu bröckeln begannen. Unter diesen Umständen wurde es zur Überlebensbedingung, mit der Lüge zu leben, und zwar für die Untergebenen des Regimes sogar noch mehr als für das Regime selbst."
Stichwörter: Bauman, Zygmunt, Stalinismus

Magazinrundschau vom 16.06.2009 - Salon.eu.sk

An neun Punkten macht der polnische Schriftsteller Pawel Huelle - für den Leser im allgemeinen und Ingo Schulze im besonderen - die doch meist positiven Veränderungen fest, die sich in Polen seit 1989 ereignet haben. Hier der sechste: "Polens größter Erfolg seit 1989 ist seine lokale Regierung. Ich weiß, wovon ich spreche, den bei den Lokalwahlen stimme ich immer für den Kandidaten, der die meisten Fahrradwege verspricht und auch wirklich anlegt. Da ich von Frühling bis Herbst Fahrrad fahre, bin ich in ausgezeichnetem Kontakt mit der Realität und kann kontrollieren, ob das Wahlversprechen eingehalten wird. Im Augenblick wächst die Anzahl der Fahrradwege in Danzig schneller als in jeder anderen polnischen Stadt, was mich schlicht und selbstsüchtig glücklich macht. (...) Ist das ein unbedeutendes Detail? Ich glaube es nicht. Lebensqualität drückt sich in genau diesen kleinen Details aus, nicht in den großen Ideen, kontinuierlichen Debatten, Forderungen und Anklagen. Darüber könnte ich endlos reden, aber gerade mit dem Loblied auf die Fahrradwege in meiner Stadt möchte ich herausstreichen, dass meine Stimme, die eines potentiellen Wählers, der sich für eine bestimmte Art von öffentlichen Ausgaben interessiert, zählt."

Magazinrundschau vom 02.06.2009 - Salon.eu.sk

Der Soziologe Zygmunt Bauman macht sich in einem (aus der Gazeta Wyborcza übernommenen) Text Gedanken über das fortwirkende Gift der Totalitarismen und wendet sich gegen Slavoj Zizek, der das Wesen der Totalitarismen nur im Gulag und in Auschwitz lokalisieren wollte, statt "über den Stacheldraht hinaus" zu blicken. "Es ist offensichtlich, dass der Täter, indem er Leid zufügt, sich moralisch befleckt ist. Aber auch die Opfer kommen durch die Zerstörung moralischer Impulse und Hemmungen nicht sicher und unbefleckt davon. Warten sie auf ihre Chance, es den Tätern in ihrer eigenen Münze heimzuzahlen? Ja, aber zuerst werden sie in die Geheimnisse eines Lebens eingeweiht, in dem diese Münze die Währung ist."

Magazinrundschau vom 31.03.2009 - Salon.eu.sk

Zsolt Holop zeichnet ein niederschmetterndes Bild der ungarischen Wirtschaft und der Politik (hier auf Englisch). Beide stehen vor dem Bankrott. Wie konnte es soweit kommen? "Es ist wert festgehalten zu werden, dass die Ungarn den Fall des Kommunismus und den Regimewechsel nicht sehr ernst genommen haben. Sie haben immer zu den Österreichern aufgeblickt - so wie die Slowaken sich immer mit den Tschechen verglichen haben - sie dachten, der Übergang zu einer Marktwirtschaft würde einfach bedeuten, dass sie bald in österreichischem Wohlstand baden. ... Eine oberflächliche Wahrnehmung der Wirklichkeit im Sozialismus und die Annehmlichkeiten der Kadar-Jahre haben die Ungarn daran gehindert, die Dinge zu sehen wie sie wirklich waren. Das könnte auch erklären, warum das Land nach der ersten Freigabe der Preise 1990 paralysiert war, während die Tschechen die Schocktherapie ohne größeren Umbruch überlebten."

Martin Simecka ruft in die Slowakei: Will the real Robert Fico please stand up?
Stichwörter: Fico, Robert, Slowakei, Umbruch

Magazinrundschau vom 17.03.2009 - Salon.eu.sk

Michael Zantovsky erinnert sich daran, wie er in den frühen Neunzigern in New York mal einen guten Freund mit zu Woody Allen nahm. "Wir klingelten bei Mia und Woody Allen öffnete die Tür. Er sagte, Mia sei nicht da und wir sollten später wiederkommen. Ich setzte meinen Fuß in die Tür, bevor er sie zuschlagen konnte und erklärte, tatsächlich hätten wir ihn gesucht, dass wir aus der Tschechoslowakei kämen und dass mein Freund, ein Dramatiker und Präsident, ihn gern kennenlernen würde, denn er sei ein neugieriger Typ. Woody war geschmeichelt, dass wir den ganzen Weg aus der Tschechoslowakei gekommen waren um ihn zu sehen und bat uns herein, obwohl, wie ich bemerkte, er er den Alarm anließ."

Magazinrundschau vom 10.03.2009 - Salon.eu.sk

In Tschechien, Ungarn und der Slowakei wurden in letzter Zeit Gesetze zur "Bändigung der Medien" verabschiedet. Salon hat eine (englischsprachige) Presseschau aus diesen Ländern zusammengestellt. So sorgt man sich in Ungarn über einen Gesetzentwurf, der es der Nationalen Medienbehörde erlaubt, schon beim Verdacht auf einen Rechtsbruch Redaktionsbüros zu durchsuchen und Computer und Originaldokumente zu beschlagnahmen. Aus der Slowakei, wo das neue Mediengesetz – anders als in Ungarn – von der Opposition heftig bekämpft wurde, berichten einige Journalisten von ihren Erfahrungen mit dem seit über einem Jahr existierenden "Recht auf Erwiderung", das jedem, der sich in der Presse zu Unrecht dargestellt fühlt, gestattet eine "Korrektur" an gleicher Stelle veröffentlichen zu lassen, unabhängig davon, ob die Bitte gerechtfertigt ist oder nicht. "Unsere schlimmsten Befürchtungen sind aber nicht eingetroffen", meint Petr Sabata, Redakteur der Tageszeitung Pravda. "Die meisten können aus formalen Gründen abgelehnt werden." Am schlimmsten ist es in der Tschechischen Republik. Hier müssen Journalisten, die Material veröffentlichen, dass ihnen von Polizei oder Anwälten zugespielt wurde, mit hohen Strafen rechnen. In einem offenen Protestbrief an den Präsidenten Vaclav Klaus schrieben einige Verleger: "Journalisten können nur in den Besitz von Dokumenten gelangen, die bereits das Sicherheitssystem passiert haben und somit jedermann zugänglich sind."
Stichwörter: Tschechien, Jedermann, Slowakei

Magazinrundschau vom 03.03.2009 - Salon.eu.sk

Im tschechischen Magazin Respekt ärgert sich Jaroslav Formanek (von Salon ins Englische übersetzt) über Bernard Henri Levy, der Milan Kundera (hier) und Bernard Kouchner (hier) gegen journalistische Recherchen verteidigte. Zur Vorgeschichte: Kundera war vorgeworfen worden, 1950 einen Kurier des amerikanischen Geheimdienstes denunziert zu haben. Bernard Kouchner, Arzt und Außenminister in Frankreich, wurde in einem Buch von Pierre Pean vorgeworfen, er habe von der Regierung von Gabun Geld angenommen (mehr dazu hier). Beide Male erregte sich Levy über die Angreifer, diese "Einfaltspinsel und Niemande", die einen großen Mann in den Dreck ziehen wollten. Formanek findet diese Argumentation hochnäsig: "Innerhalb von wenigen Monaten hat ein führender Intellektueller Europas zum zweiten Mal eine elitistische Vorstellung davon definiert, wer und wer nicht das Recht hat, über überragende Genies zu schreiben. (...) 'Nein, ich kann mir den Autor des 'Buch der lächerlichen Liebe' nicht in der Rolle des Denunzianten vorstellen, nicht einmal in seinem früheren Leben', schrieb Levy über Kundera. Aber warum nicht? Warum sollte die Fähigkeit gute Bücher zu schreiben ein makelloses Leben garantieren? Und ist man durch die logistische Fähigkeit, medizinische Hilfe für Entwicklungsländer zu organisieren, lebenslang gegen die Versuchung gefeit, sich illegal zu bereichern?"

Außerdem: Die kroatische Schriftstellerin Dubravka Ugresic denkt über die Karaokekultur nach.

Magazinrundschau vom 24.02.2009 - Salon.eu.sk

Der Schriftsteller Peter Nadas hat kürzlich bei einem Treffen des - vergeblich gegen den Verfall des Forints kämpfenden - Währungsrats der ungarischen Nationalbank einen Vortrag über Vertrauen gehalten (englische Version bei salon.eu.sk). Er spricht darüber, welche Konnotation das Wort im Ungarischen, Französischen, Englischen oder Deutschen hat, wie Sprache in Europa benutzt wird (dissimulativ im Westen, simulativ in den ehemaligen Ländern des Ostblocks) und wie sich diese Art der Sprache auf die Einstellung zu Demokratie und Kapitalismus auswirkt. "Die Realität, die durch beide - ob sie nun simulieren oder dissimulieren - verborgen wird, hat eine unterschiedliche Gestalt. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems wurde der Kapitalismus entfesselt und darum haben die, die dissimulieren sofort den Sozialstaat abgebaut, während sie zur selben Zeit die umgekehrte Ordnung von Politik und Wirtschaft verfochten. Es schien als ob das Allgemeinwohl dem globalen Wettbewerb im Wege stand und lokale Interessengruppen dazu zwang, politische Entscheidungen, die mit ihren finanziellen Interessen übereinstimmten, im Namen der ganzen Gesellschaft zu treffen. Auf der anderen Seite haben die, die simulieren, keine Sekunde die Idee aufgegeben, den Staat und ihre Nachbarschaft auszurauben - im Gegenteil, sie tun, was sie können, um zu verhindern, dass ihre illegalen Aktivitäten nach den Regeln der Demokratie und des regulierten Kapitalismus legalisiert werden."

Magazinrundschau vom 10.02.2009 - Salon.eu.sk

Nach 1989 schwappten über die osteuropäischen Staaten zwei Wellen des Nationalismus, schreibt der ungarische Politikwissenschaftler Laszlo Lengyel in einem Artikel, den Salon ins Englische übersetzt hat. Jetzt könnte eine dritte Welle kommen, die ihm noch viel bedrohlicher erscheint. Denn zum ersten Mal sind es nicht die Arbeiter und kleinen Angestellen, die ihre Jobs verlieren, sondern "die Modernisierer, die Verfechter einer schnellen Europäisierung, führende Industrielle, Leute, die mit Schweizer Hypotheken Appartements gekauft haben (...) Dieses Mal sind es Bankangestellte, Autoingenieure, gut betuchte Eigentümer von Grundbesitz und respektierte Richter, die den ungarischen Stammesangehörigen, den echten Slowaken, den polnischen Aristokraten, den tschechischen Patrioten in sich entdecken werden. Jetzt können sie den Juden, den Zigeuner, den Polen, den Tschechen, die Slowaken, den Ungarn, den Europäer, den Amerikaner oder sonst jemanden als Sündenbock ansehen, der für ihr Schicksal, für den Vertrag von Trianon, für einfach alles verantwortlich ist. Es ist immer jemand anderes schuld. Es gibt keine Zukunft, aber wenn es eine gäbe, wäre es eine ungarische Zukunft. Oder eine tschechische. Oder eine polnische. Oder eine slowakische. Frohes 2009."
Stichwörter: Sündenbock, Zigeuner

Magazinrundschau vom 27.01.2009 - Salon.eu.sk

Europa ist weder militärisch noch wirtschaftlich, wissenschaftlich oder kulturell sonderlich gut aufgestellt, meint der Soziologe Zygmunt Bauman, kann den Kontinent aber trotzdem nicht genug preisen, und zwar für seine sprachliche und kulturelle Vielfalt (hier auf Englisch und hier auf Polnisch): "Der Philosoph Hans-Georg Gadamer hält diese überbordende Vielfalt für den größten Schatz, den Europa angesammelt und nun der Welt anzubieten hat. Mit und für den Fremden zu leben, ist eine grundlegende menschliche Aufgabe. Vielleicht ist dies die Grundlage für die einzigartige Stärke Europas, eines Kontinents, der zu diesem Miteinander gezwungen war. In Europa gab es immer Fremde ganz in der Nähe, in Sicht- oder Reichweite, im übertragenen und buchstäblichen Sinne. Unsere Landschaft ist von der Vielfalt gekennzeichnet, von der großen Nähe des Fremden, aber mehr noch von der Tatsache, dass wir auf engem Raum den Fremden als einen Gleichen behandeln. Europa könnte ein Laboratorium werden, in dem eine bestimmte Kunst zu leben von Menschen unterschiedlicher Religionen, Sprachen und Glücksvorstellungen entworfen und gepflegt werden könnte."